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Nutztierhaltung

„Eintagesküken“: das Vergasen geht weiter

Millionen von frisch geschlüpften männlichen Küken werden in der Eierindustrie jedes Jahr vergast. Ein deutsches Bundesland will diese grausame Praxis nun ändern. Doch mit Widerstand seitens der Branche war zu rechnen. Von Tobias Sennhauser (TIF).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Nordrhein-Westfalen (NRW) will als erstes Bundesland das massenhafte Töten männlicher Eintagesküken in der Legehennenproduktion verbieten. „Tiere sind Lebewesen und keine Abfallprodukte landwirtschaftlicher Produktionsprozesse“, sagt NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel. In Deutschland werden pro Jahr etwa 50 Millionen männliche Küken vergast oder zerschreddert. Hintergrund sind unterschiedliche Hühner-Zuchtlinien für die Eier- bzw. Fleischproduktion. Da männliche Küken der Eierlinien nicht für die Fleischproduktion geeignet sind, werden sie gleich nach dem Schlüpfen getötet. Im Branchenjargon spricht man von „Küken sexen“. Doch damit soll nun Schluss sein. Nach einer neuen Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft stellt das Töten der Küken keinen „vernünftigen Grund“ im Sinne des Tierschutzgesetzes dar und ist damit strafbar. Davon betroffen sind 12 Brütereien.

Andere Rechtsgrundlage in der Schweiz

Auch in der Schweiz werden männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen vergast – jährlich über 2 Millionen. Vanessa Gerritsen von der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) hält das NRW-Verbot für einen ersten Durchbruch und wichtigen Meilenstein. Für die stellvertretende Geschäftsleiterin ist klar, dass die Schweizer Politik „aus Rücksicht auf die Wirtschaft bisher kein entsprechendes Verbot erlassen“ hat. Doch im Gegensatz zu Deutschland kennt das Schweizerische Tierschutzgesetz keinen Lebensschutz für Tiere. Dafür gibt es hierzulande eine in der Verfassung verankerte Würde, die dem Tier einen Eigenwert zuspricht. Aus diesem Würdekonzept lässt sich aus Sicht der TIR der Lebensschutz zweifelsfrei ableiten. „Es ist schlicht paradox, den Eigenwert eines Lebewesens zu schützen, ihm aber keinen Existenzanspruch zuzugestehen“, meint Gerritsen.

Keine Alternativen vorhanden

„Ein Verbot ohne ein Aufbau einer Lösung für das Problem bringt nichts“, kritisiert Roman Clavadetscher das NRW-Verbot. Er ist Geschäftsführer der Schweizer Biobrüterei Bibro AG. Als mögliche Alternativen zur Tötung der frisch geschlüpften Küken sieht er die Geschlechtserkennung im Ei oder ein Zweinutzungshuhn. Bei der Geschlechtserkennung werden nur weibliche Küken ausgebrütet. Doch Ruedi Zweifel, Direktor des Kompetenzzentrums für Geflügelwirtschaft (Aviforum), dämpft gegenüber dem Schweizerbauer die Erwartungen: „Wir schätzen, dass es noch drei bis fünf Jahre braucht, bis diese Methode in der Brüterei umgesetzt werden kann“. Deshalb setzt Clavadetscher auf das Zweinutzungshuhn. Dies soll sowohl für die Eier- als auch die Fleischproduktion geeignet sein. Seit vier Jahren führte Bibro AG Mastversuche mit männlichen Küken durch. „Bei den bisherigen Zuchtlinien war dies jeweils ein Misserfolg“, gesteht Clavadetscher. Die Mastleistung liege deutlich unter jener der herkömmlichen Mastrassen. Eine neue Rasse des Zuchtgiganten Lohmann soll nächstes Jahr endlich für Profite sorgen. Auch Coop führt derzeit einen Praxisversuch mit einer neuen Hühnerrasse durch.

„Es braucht ein breites Umdenken“

11 der 12 betroffenen Brütereien in Nordrhein-Westfalen sind mit dem geplanten Verbot nicht einverstanden. Sie haben Klage eingereicht und gehen vor Gericht. Doch egal wie der Fall endet: In der Schweiz geht derweil das Vergasen weiter. Was ist mit der Politik? Auf das NRW-Verbot angesprochen meint Nationalrat Bastien Girod (Grüne) gegenüber tier-im-fokus.ch (TIF): „Ich finde das Verbot sinnvoll und könnte mir vorstellen, einen solchen Vorstoss einzureichen“. Vom Parlament erwartet Vanessa Gerritsen (TIR) allerdings wenig: „Aufgrund des in aller Regel konservativen Abstimmungsverhaltens sehen wir diese Chance derzeit als gering an.“ Freilich gibt es neben der Geschlechtserkennung und dem Zweinutzungshuhn noch eine dritte Alternative: der Verzicht auf Eier. Girod steht der veganen Ernährung positiv gegenüber, gibt sich aber pragmatisch: „Ich bin überzeugt, dass dies über gute vegane Kochkünste und letztlich über den Magen entschieden werden muss“. Es brauche ein breites Umdenken bei Mensen und Restaurants, bei der Schulung von KöchInnen sowie bei Hauswirtschaftskursen und nicht zuletzt bei der Ernährungsempfehlung des Bundes.

Weitere TIF-Materalien

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2 Kommentare

Tobi
vor 10 Jahre

hallo Christine

nein, davon wusste ich nichts. Danke für den Hinweis!

Tobi

Bober Christine
vor 10 Jahre

Hallo zäme,
immer sehr gut, eure Artikel, danke! Habt ihr zum Thema Kücken auch schon mit dem naturhistorischen Museum Kontekt gehabt, damit sie ihre Osterausstellung mit lebenden Kücken auch mit den weniger schönen Infos ausstatten? Danke und weiterhin viel Erfolg.
Christine

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