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Nutztierhaltung

Der Sperma-Wahnsinn

Die Zucht ist fester Bestandteil der industriellen Tierproduktion. Aller Anfang ist dabei die Spermagewinnung und künstliche Besamung. Am Beispiel der Schweinezucht entpuppt sich ein alltäglicher Greuel mit System. Von Tobias Sennhauser (TIF).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Beständige Zuchtarbeit sorgt in der sogenannten Nutztierhaltung für den gewünschten Nachwuchs gemäss Zuchtziel. Sie ist heute fester Bestandteil der industriellen Tierproduktion. Aller Anfang ist dabei die Spermagewinnung und künstliche Besamung. Am Beispiel der Schweinezucht entpuppt sich ein alltäglicher Greuel mit System.

Absamen

Zweimal pro Woche wird beim Zuchteber abgesamt. Bei der praxisüblichen „Handmethode“ wird mit gebeugten Fingern die Penisspitze durch rhythmische Kontraktionen stimuliert. Die Ejakulation dauert mindestens 3-5 Minuten und umfasst bis zu einem halben Liter. Sie wird in einem Beutel aufgefangen und anschliessend im Spermalabor auf Konsistenz, Farbe und Geruch hin untersucht. Ebersperma wird manchmal auch mit einer künstlichen Vagina gewonnen. Dazu bespringt der Eber ein Phantom mit einer temperierten Vagina. Ebenfalls verfügbar ist die automatisierte Spermagewinnung. Dabei wird der Penis des Ebers in einem Mantelrohr fixiert und durch elektronisch gesteuerte Kompressionen stimuliert.

Besamungsmanagement in Perfektion

Mittels Kurier wird das Ebersperma täglich von den Absamungsstationen zu den Zuchtbetrieben transportiert. Dort werden die Sauen zur Reproduktion besamt. Zu den „Besamungsutensilien“ gehören ein Katheter, womit das Sperma in den Gebärmutterhals befördert wird, sowie etwas spermafreundliches Gel. „Erfolgreiches Besamungsmanagement beginnt mit der sexuellen Stimulation der Sauen im Deckzentrum“, wird in einem Newsletter von SUISAG erklärt, dem Dienstleistungszentrum für die Schweineproduktion. Schlüsselreiz sei der soziale Kontakt zum Eber. Um die Fruchtbarkeitsleistung der Sau auszuloten, muss der Besamungszeitpunkt stimmen. Das wichtigste Brunstsymptom ist der sogenannte Duldungsreflex, wobei das Verhalten des Ebers beim Natursprung nachgeahmt wird. Toleriert die Sau etwa den Reittest – der Besamer bzw. die Besamerin setzt sich auf den Rücken der Sau – ist das Reproduktionspotenial am höchsten. Dann erfolgt die Besamung oder „Insemination“. Mit zwei Fingern werden die Schamlippen der Zuchtsau gespreizt, während mit der anderen Hand der Katheter eingeführt wird. Rhythmische Uteruskontraktionen, ausgelöst durch die sexuelle Stimulation, befördern das Sperma vom Gebärmutterhals in die Gebärmutter. ExpertInnen empfehlen die Stimulationsmassnahmen danach kurzzeitig fortzuführen. In grösseren Betrieben werden die Sexualzyklen von Zuchtsauen zeitlich gleichgeschaltet, um eine synchrone Besamung zu ermöglichen. Bei der sogenannten Brunstsynchronisation wird die Empfangsbereitschaft der Sauen mitunter hormonell koordiniert. Dies ermöglicht eine „terminorientierte Besamung“, wie es im Fachjargon heisst.

Künstliche Besamung rechnet sich

Schätzungen zufolge werden in der intensiven Schweinezucht 90% der Sauen künstlich befruchtet. Die künstliche Besamung hat grosse Bedeutung für Hybridzuchtprogramme. So kann die Zahl der Nachkommen von potenten Eltern massiv erhöht werden und darin liegt ein entscheidender Vorteil: Je mehr Nachkommen, desto rascher der Zuchtfortschritt. Doch die künstliche Besamung bringt auch wirtschaftliche Vorteile. Da Sperma leicht transportiert werden kann, können Tiere unabhängig vom Standort verpaart werden. Neuerdings kann Ebersperma auch tiefgefroren werden, was den globalen Handel ermöglicht. Zudem können – anders als beim sogenannten Natursprung – die Übertragung von Krankheiten verhindert und ökonomisch unvorteilhafte Verletzungen von Sauen vermieden werden.

Auch in der Schweiz

Die Branchenprima der Schweiz heisst SUISAG. Über 80% der Zuchtsauen werden mit ihrem Sperma besamt. 261 Eber waren vergangenes Jahr im „Besamungseinsatz“ und produzierten 34.152 Samenportionen. Ihre Samen werden im sogenannten SEMEN-Center – dem einzigen Spermalabor von SUISAG – schweizweit zentralisiert verarbeitet und verteilt. Die Zentralisierung soll unter anderem eine Senkung der Spermapreise ermöglichen. SUISAG bietet ferner Besamungskurse an. Im vergangenen Geschäftsjahr haben 39 Landwirte die Bewilligung für die „Eigenbestandsbesamung“ erhalten. Besamungsutensilien beziehen die BesamerInnen im SUISAG Online-Shop. Mit dem Tool „Besamung an der Leine“ können etwa zeitsparende Gruppenbesamungen vorgenommen werden. Das Ebersperma beziehen sie indes bequem via: fcrezn@fhvfnt.pu.

Artgerechte Perversion

In der Schweiz haben Tiere eine gesetzlich verankerte Würde. Doch diese darf bei überwiegenden Interessen missachtet werden. Dazu gehört mitunter die Gier nach Fleisch, die beim Zuchtmanagement massive Eingriffe in das Sexualverhalten erfordert. Die gemeinübliche Forderung nach „artgerechter Haltung“ greift offensichtlich zu kurz. Ein bisschen Stroh oder ein paar Streicheleinheiten können die perversen Praktiken in der Zucht nicht kompensieren. Um die vielzitierte Würde der Kreatur tatsächlich zu respektieren, braucht es entschieden mehr: eine grundsätzliche Kritik am menschlichen Nutzungsanspruch gegenüber sogenannten Nutztieren.

Literatur

Weitere TIF-Materialien

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4 Kommentare

Maik
vor 7 Jahre

Schickt mir sperma vom Eber zu geht es

Silvia Berger
vor 8 Jahre

Kann diesen Kommentaren absolut zustimmen, auch ich frage mich, wann endlich erwacht der Grossteil der Menschheit aus dieser elenden Lethargie des nichts Denken und nichts Fühlen.
Wann wird fürs eigene Tun und Handeln endlich die längst nötige Verantwortung übernommen ?
Unsere wundervollen Mitgeschöpfe so zu sehen, wir sie von uns Menschen behandelt werden, stimmt mich unermesslich tief traurig.
Silvia Berger

Tom Dura
vor 9 Jahre

Ja ich schäme mich auch.

Warum nur???

Wann hören wir endlich auf diese Geschöpfe zu quälen? Wann setzen wir Gandhis Spruch um? „Solange es Schlachthäuser gibt, wird es auch Schlachtfelder geben.“

Das hat doch irgendwie so eine tiefe Wahrheit… ach…. ich wünsch mir endlich Frieden und Liebe für alle Geschöpfe

Marc Bonanomi
vor 9 Jahre

Liebe Schweine, ich schäme mich, ein Mensch zu sein………….

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