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Ernährung & Konsum

Wie sich die Metzger ins eigene Fleisch schneiden

Es kriselt in der Fleischindustrie – zumindest medial. Doch der Medienrummel ist mitunter selbstverschuldet. Von Tobias Sennhauser (TIF).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Würste machen krank. 43% des ökologischen Fussabdrucks gehen auf den Konsum von Fleisch, Milch und Eier zurück. Antibiotika-Resistenzen gelten als die grösste biologische Bedrohung für die Schweizer Bevölkerung. Rindsburger werden mit Pferdefleisch versaut. Und Carna Grischa ist noch nicht verdaut.

Seit Jahren kriselt es in der Fleischindustrie. Die Medien seien ihnen nicht wohlgesonnen, klagt der Schweizer Fleisch-Fachverband (SFF) im Jahresbericht. Dabei ist die schlechte Presse bisweilen hausgemacht.

Selbstverschuldeter Medienrummel

So etwa, als eine ökumenische Kampagne zweier Kirchenhilfswerke den exzessiven Fleischkonsum sowie Futtermittelimporte aus dem globalen Süden anprangerte. „Ich verstehe nicht, warum Fastenopfer und Brot für alle den Leuten vorschreiben wollen, was auf ihre Teller kommt“, so SFF-Präsident Rolf Büttiker in der NZZ am Sonntag und sorgte mit der Drohung zum Spenden-Boykott für Aufruhr.

Auch als der streitbare Verein gegen Tierfabriken (VgT) in der Weihnachtszeit einen Spot mit tierindustriellen Aufnahmen und einem Aufruf zum Veganismus schaltete, tobte die Metzgerschaft. „Die im Fernsehen SRF 1 ausgestrahlte Botschaft des VgT beurteilt der SFF als böswillig irreführend, unlauter und völlig deplatziert“, hiess es in einer Mitteilung, die dem VgT nationale Medienpräsenz bescherte.

Der SFF drohte mit einer Klage. Das sei politisch motivierte Werbung, die im Staatsfernsehen nichts verloren habe. Für den VgT war das freilich ein Steilpass: „Werbung gegen Fleischkonsum ist politisch, Werbung dafür jedoch nicht“, konterte VgT-Präsident Erwin Kessler im Blick. Nun geht es vor Gericht, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Kessler zeigte den Verband wegen Verleumdung an.

Keine Argumente, sondern Ideologie

Jeder Versuch, den Bürgerinnen und Bürgern ihre Ernährungsgewohnheiten durch Bevormundung vorzuschreiben, sei mit aller Entschiedenheit zu bekämpfen, schreibt der SFF in der oben erwähnten Mitteilung weiter. „Oberste Maxime ist und bleibt die Wahlfreiheit jedes Einzelnen.“

Damit hievt der FDP-nahe Dachverband die Debatte auf eine ideologische Ebene: der Kampf um die kulinarische Wahlfreiheit. „Speziell die linke und grüne Seite ist nicht verlegen, wenn es darum geht, die eigenen Interessen über die Meinungs- und Bestimmungsfreiheit des Einzelnen zu stellen“, versucht der SFF die Kritik am Tierkonsum zu schubladisieren und pocht auf (Wirtschafts-)Freiheit.

Eine Debatte über zerstörerische Futtermittelimporte aus dem globalen Süden sowie vegane Alternativen wird damit im Keim erstickt. Dabei könnte auf Fleisch- und Futtermittelimporte verzichtet werden, würde der Fleischkonsum halbiert. Das käme auch dem Klima zugute. „Die Produktion für Steaks oder Pouletflügeli belastet das Klima stärker als alle Flugzeuge, Autos und Schiffe auf der Welt zusammen“, schreibt Wissenschafterin Julia Jawtusch im Rahmen der ökumenischen Kampagne der Kirchenhilfswerke.

Keine Rede von Nutztieren

Auch umschifft der SFF jegliche Kritik an der agroindustriellen Tierproduktion. „Die Schweiz verfügt bekanntermassen über einen der höchsten Tierwohlstandards weltweit“, behauptet der Fleischverband. Dabei klaffen Werbung und Realtität immer weiter auseinander. Wie der Tages-Anzeiger jüngst minutiös dokumentierte, entspricht das mit patriotischem Stolz gepriesene Schweizer Tierschutzgesetz keinesfalls den Vorstellungen der KonsumentInnen. Einzelhaltung, kahle Betonbuchten oder fehlender Auslauf – alles erlaubt.

Aufgedeckt vom Schweine-Report: Schweizer Schweinehaltung. Foto © tier-im-fokus.ch (tif)

Auch Labelprogramme werden überschätzt. Die Mär von IP-SUISSE oder Naturafarm – die Aushängeschilder im Schweizer Labeldschungel – legte 2014 der Schweine-Report offen. Etwa die vielzitierte Auslaufhaltung besteht aus verkoteten Betonwüsten, vollautomatischen Fressständen und Spaltenboden – keine grünen Wiesen, wie das Gerede von tierfreundlicher Haltung in der Werbung vermuten lässt. Selbst Kastenstände, worin sich Muttersauen keinen Meter bewegen können, sind bis zu 10 Tage erlaubt.

Was unser Tierschutzgesetz taugt, lässt sich auch am Medikamenten-Einsatz ablesen. Über 50 Tonnen Antibiotika werden jährlich an Nutztiere verabreicht – zunehmend werden auf Reserven zurückgegriffen. Nun bedrohen multiresistente Superkeime wie MRSA oder ESBL die antibiotischen Errungenschaften der Human- und Veterinärmedizin. Mittlerweile will der Bundesrat handeln. Doch der präventive Einsatz von Antibiotika soll erlaubt bleiben.

Essen – eine Privatsache?

Auch wenn der Fleisch-Fachverband das gerne anders hätte: Fleisch ist ein Politikum. Die Kritik ist ebenso vielfältig wie berechtigt. Die Ernährung adressiert zahlreiche Felder der Politik und tangiert die grossen Fragen der Gerechtigkeit: Menschenrechte, Tierwohl und Ökologie. In der globalisierten Fremdversorgung entrückt sie folgerichtig der Sphäre des Privaten.

Die Politisierung der Ernährung wird weitergehen. Das auch mit Schützenhilfe des SFF, der die Fleischkritik gleich selber in die Massenmedien trägt.

Der Text ist erstmals erschienen in tif-Bulletin 1/2015.

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1 Kommentar

august
vor 8 Jahre

Anschlag auf Veganz in Berlin – die Folgen pseudolinker Denunziation
21. Juli 2015Aktivismus, MenschenrechteDenunziation, Veganz

Im Juni 1942 begann die Weiße Rose, eine studentische Widerstandsgruppierung aus dem christlich-humanistischen Milieu im Dritten Reich, Flugblätter gegen die Regierung Hitler und den Faschismus zu verbreiten. Ihre ProtagonistInnen, am bekanntesten die Geschwister Scholl, wurden nach mehreren Schnellverfahren vom Volksgerichtshof Anfang 1943 zum Tode verurteilt und mittels Guillotine exekutiert. Diese Widerstandsgruppe war Teil einer mehr oder weniger vernetzten Widerstandsbewegung in ganz Europa, getragen von KommunistInnen bis zu christlich Konservativen und ehemaligen NationalsozialistInnen. Ihr gemeinsames Ziel war das Ende des Dritten Reichs. Zusammen mit den alliierten Armeen gelang dies schließlich auch.

Ein Gedankenexperiment. Sagen wir, zur Zeit der Aktivitäten der Weißen Rose würden plötzlich Flugblätter erscheinen, die die Inhalte der Flugschriften der Weißen Rose einer „Kritik“ unterzögen. Sagen wir da stünde z.B., dass die Weiße Rose sexistisch wäre, weil sie durch ihre Formulierungen Geschlechterrollen zementiere. Oder sie wäre abzulehnen, weil sie nicht antikapitalistisch sei, und nicht die Macht des Kapitals als Zugpferd hinter dem Faschismus erkannt habe. Und sie sei esoterisch religiös rechts, weil sie von dämonischen Kräften schreibe, Hitler den Satan nenne und davon spreche, dass die Herrschaft Gottes sich im Staatsgebilde widerspiegeln müsse usw. Was würden wir von solchen Flugblättern halten, deren Ziel es offensichtlich ist, die Weiße Rose zu diffamieren, d.h. anonym zu denunzieren, und ihr Unterstützung zu rauben?

Die Wirkung solcher Anti-Weiße-Rose Schriften wäre auf jeden Fall eine Schwächung der Weißen Rose und damit eine Stärkung der nationalsozialistischen Diktatur. Sie hätte die AktivistInnen der Weißen Rose zusätzlich demotiviert. Wenn man schon so viel Zeit und Energie in altruistischer Weise für das Wohl der Allgemeinheit opfert, ist es besonders frustrierend, neben den Bütteln der Staatsmacht auch noch andere anonyme DenunziantInnen zu GegnerInnen zu haben. Wenn nun diese anonymen „KritikerInnen“ von sich sagen, sie würden das nur machen, um Gutes zu tun, d.h. um drohende weitere Unterdrückungsmechanismen abseits des Nationalsozialismus aufzudecken, dann würden wir uns an den Kopf greifen. So dumm kann wohl niemand sein, um nicht zu sehen, dass diese Art von Verhalten ausschließlich negative Konsequenzen hat.

Nun, bei der Weißen Rose ist das interessanter Weise niemandem eingefallen, sich so überaus dumm und destruktiv zu verhalten. Aber ganz anders im Tierschutz. Da finden sich immer wieder einzelne Gruppen und ganze Internetplattformen, deren ausschließliches Ziel es ist, Organisationen und Individuen, die sich im Tierschutz engagieren, auf diese Weise zu desavouieren. Wir kennen eine Myriade von Beispielen.

Aber Moment, was ist der Unterschied zur Weißen Rose? Hätten diese wackeren KämpferInnen für das Gute auch im Fall der Weißen Rose ihre dubiose Rolle gespielt? Nein, haben sie nicht. Warum also Tierschutzgruppen heute schon kritisieren, aber Widerstandsgruppen damals nicht? Der Grund ist keinesfalls darin zu finden, dass die damaligen Gruppen keinen Anlass für diese „Kritik“ geboten hätten. Man muss sich nur die Flugblätter der Weißen Rose anschauen und vorstellen, sie würden heute, aber nicht gegen den Nationalsozialismus, sondern gegen den Speziesismus verteilt. Kein Zweifel, die Weiße Rose stünde in der Schwarzen Liste der DenunziantInnen an oberster Stelle.

Die einzige Erklärung für diesen Unterschied kann nur sein, dass diese DenunziantInnen der Meinung sein müssen, dass der Nationalsozialismus eben ein ernsteres Problem, ein viel größeres Unrecht gewesen sei, als die Tierausbeutung heute, und daher damals viel mehr Toleranz gegenüber der verschiedenen Formen von Widerstand nötig war. Eine interessante Schlussfolgerung. Sie besagt nämlich, dass diese „KritikerInnen“ nicht für das Gute kämpfen, sondern einfach die Tierausbeutung als ein viel weniger bedeutendes oder gar vergleichsweise unbedeutendes Problem auffassen müssen. Diese „KritikerInnen“ sind also speziesistisch motiviert, kein Zweifel. Sie sind MittträgerInnen des Systems der Ausbeutung, weil es ist ihnen sicherlich bewusst, dass sie so den Widerstand gegen dieses System schwächen und damit das Ausbeutungssystem zu erhalten helfen.

Dieser messerscharfen Logik ist nicht zu entkommen. Wenn jemand eher seine Zeit darin aufwendet, eine Tierschutzgruppe zu denunzieren, anstatt sich selbst gegen die Tierausbeutung zu engagieren, dann muss man schließen, dass dieser Person die Schädigung dieser Tierschutzgruppe wichtiger ist, als die Bekämpfung der Tierausbeutung. Die Wertehierarchie muss also speziesistisch sein, die Tierausbeutung muss für vergleichsweise unbedeutend angesehen werden. Und das wird umso klarer, wenn die Denunziation handfeste Konsequenzen für die Denunzierten hat, wie z.B. kürzlich den Buttersäureanschlag gegen den veganen Supermarkt Veganz in Berlin oder vorher einige Anschläge gegen vegane Geschäfte des Universellen Lebens. AktivistInnen, die eher so etwas tun, als ihre Energie gegen Tierausbeutung zu richten, haben eine eindeutige Priorität. Und die ist nicht das Ende der Tierausbeutung, sondern im Gegenteil, sie nehmen willig und vermutlich mit Freude in Kauf, die Tierausbeutung zu perpetuieren.

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