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Rezension

„Die Wegwerfkuh“ (Tanja Busse)

Tanja Busse legt eine Streitschrift zur modernen Landwirtschaft vor. Ihr Kernargument zielt darauf ab, dass es um die Effizienz der modernen Landwirtschaft denkbar schlecht bestellt ist – entgegen dem offensiv propagierten Selbstbild. Eine Buchbesprechung von Tom Bradschetl.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Tanja Busse, Die Wegwerfkuh, Karl Blessing Verlag 2014, gebunden, 288 Seiten, ca. CHF 25.– Mit ihrem Buch „Die Wegwerfkuh“ legt Tanja Busse eine Streitschrift zur modernen Landwirtschaft vor. Ihr Kernargument zielt darauf ab, dass es, entgegen dem offensiv propagierten Selbstbild der modernen Landwirtschaft, um ihre Effizienz denkbar schlecht bestellt ist. Es grassiere eine systemimmanente Verschwendungswirtschaft, und den Nachweis dafür liefere ihr Müll: d.h. im Fall der vorwiegend diskutierten tierlichen Landwirtschaft vor allem die unproduktiven Tiere. Die grundsätzliche Alternative, dass tierliche Landwirtschaft auch ersatzlos entbehrlich wäre, taucht bei Busse hingegen nicht ernsthaft auf. Zwar wird anerkannt, dass die VeganerInnen durchaus eine solche Erzählung aufmachen, nur genügt hier offenbar der Verweis auf individuelle Konsumwünsche, um dafür tierliche Kerninteressen zu übergehen. Man müsse lediglich mehr dafür bezahlen, damit Zweinutzungsmodelle und „schonende“ Standards rentabel werden. Die entstehenden Kosten sollten durch eine Einbindung der KonsumentInnen in die Produktionsprozesse und das Aufmachen entsprechender pathetischer „Gegenerzählungen“ motiviert werden. Im Licht dieser klassisch tierschützerischen Positionen und dem offenkundigen Desinteresse, Tiere aus dem Gewaltverhältnis des Eigentumsregimes, dem sie unterworfen sind, zu befreien, müssen Busses Sympathiebekundungen vis-à-vis der Tierrechtsposition entweder als undurchdacht oder als bloße Lippenbekenntnisse eingeordnet werden. Was nicht nur schade ist, sondern auch das Argument schwächt: Denn lässt man sich auf die grausame Klassifikation von Tieren als Produktionsfaktoren einmal ein, bleibt in vielen Fällen völlig unklar, inwiefern ihre schillerndsten Beispiele von „Verschwendung“ in der modernen Landwirtschaft – die systematische Vernichtung von Kälbern, unproduktiver Kühe und Küken – tatsächlich als Beispiele von Ineffizienz bestehen. Möglich ist allerdings auch, hier lediglich argumentative Strategie zuzugestehen. Denn das Programm des Buches, einen Dialog mit der tierlichen Landwirtschaft zu eröffnen, hätte sich andernfalls wahrscheinlich noch ungleich schneller erübrigt. Zumal sich der Dialog auch trotz der eigenen biografischen Verortung als „Bauernkind“ mit einer reformistischen Position nur selten wie ein Heimspiel anfühlen wird: Haben doch die meisten ihrer AdressatInnen schon nur dann überhaupt die Möglichkeit, ihre Argumente ernsthaft zu erwägen, wenn sie sich dafür über ihre eigenen wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Verbindlichkeiten in einer hochgradig asymmetrischen Marktsituation hinwegsetzen (können).

Erster Reformvorschlag: Kosten in die Produktion eingliedern

Wie ist es also um die Stichhaltigkeit der Reformvorschläge bestellt? Im Wesentlichen lassen sich hier zwei Ansätze ausmachen. Zunächst ist da die alte Idee, zu einem akkurateren/inklusiveren Effizienzbegriff zu gelangen, indem die von der Produktion externalisierten Kosten in die wirtschaftliche Rechnung eingegliedert werden. Etwa durch Besteuerung, Prämien oder staatlicher Verknappungen von Emissionsoptionen. So alt wie die Idee dieses „Ökokapitalismus“ ist auch die Kritik: Erstens wird das Effizienzparadigma als Ausgangspunkt Busses eigener Kritik gar nicht überwunden, sondern im Gegenteil unter veränderten Vorzeichen bekräftigt. Zweitens stellt die Frage nach Kalibrierung der Maßnahmen nichttrivialer Probleme, weil sich weder der eigentliche Wert von Externalitäten auch nur halbwegs gut bemessen lässt, noch die Reaktion der Branche auf die Instrumente und damit die Wirksamkeit der Regulierung im Vorfeld absehbar sein kann. Drittens wird sowohl die politische als auch die operative Durchsetzung angesichts der Machtverhältnisse mindestens Schwierigkeiten aufwerfen und schließlich wird viertens der Hauptwiderspruch zwischen Ökologie und kapitalistischen Wertverhältnissen verkannt: Scheint es doch mitnichten nur der Fall zu sein, dass das Kapital im Allgemeinen die Umwelt als kostenloses Rohmaterial und Stoffsenke begreift, sondern sogar gerade diejenigen am stärksten belohnt, die sie am intensivsten als solche behandeln. [1]

Zweiter Vorschlag: Mehr Menschen in Entscheidungsprozesse einbinden

Als zweiter Reformansatz steht bei Busse die Einbindung von mehr BürgerInnen in die Produktionsprozesse im Raum; sei es auch nur als TeilhaberInnen. In gewisser Weise lässt sich diese Idee als eine Variation über das Thema mit den eingegliederten externalisierten Kosten lesen: BürgerInnen sind als Teilhabende der Produktion nun in der Position, wirksam zu protestieren, wenn Kostenfaktoren „übersehen“ werden, die sie sonst als unbeteiligte Angehörige der Allgemeinheit zu tragen hätten. Insofern wäre damit durchaus eine erhebliche Verbesserung des Status quo erreicht. Allerdings gäbe es auch in solchen genossenschaftsartigen Organisationsformen einen unternehmerischen Außenbereich, den auszubeuten weiterhin im ökonomischen Interesse der Gruppe liegen würde. Ferner finden sich die Gruppen mit den gleichen Konkurrenzverhältnissen auf der globalen Ebene konfrontiert, die auch schon privatisierte UnternehmerInnen dazu veranlassen, von dieser Möglichkeit möglichst ausgiebig Gebrauch zu machen oder zumindest davon nur zu ihren eigenen Lasten absehen zu können. In genau diesem Sinn sind die kapitalistischen Produktionsverhältnisse totalitär, da sie Nischen mit alternativen, kooperativen Formen des Wirtschaftens aktiv am Florieren hindern. [2] Ausgerechnet die Gruppe der Tiere stellt aber gerade eine solche notorische Outgroup dar, deren Interessen auch in der „solidarischen Landwirtschaft“ übergangen werden, sofern sich ihre OrganisatorInnen nur über ihre Ausbeutung einig sind. Ihre relative Machtlosigkeit wird auch unter solchen Bedingungen ungebrochen fortgeschrieben und die ausgesprochene Hoffnung, dass eine Mitbestimmung der KonsumentInnen über die Produktion die Nutzungsintensität abmildern würde, wird dabei einzig von Idealismus geschürt. Wie lässt sich hier der Rückfall in die „Bauernschelte“ noch vermeiden, wenn für eine optimistische Prognose unterstellt werden muss, dass sich die KonsumentInnen als TeilhaberInnen der Landwirtschaft qualitativ barmherziger verhalten würden, als es gegenwärtig die LandwirtInnen tun? Trotz all der offenen Fragen kann das Buchprojekt insofern vorbehaltlos als Erfolg verbucht werden, als dass sich aus der Beschäftigung mit dem tierlichen Überschussproletariat der modernen Landwirtschaft die Bekanntschaft zwischen Busse und dem Bullenkalb Jonny Roastbeef ergeben hat. Diesem ist nun anstelle der Tötung in seinen frühen Lebenstagen eine Lebenszeit in einer Bio-Herde vergönnt – solange es halt beliebt.

Fussnoten

[1] Differenzierter zu konkreteren Ansätzen dieser Art siehe Dick Nichols, „Appendix“, in ders., Environment, Capitalism & Socialism, Sydney 1999. [2] Vergleiche hier die Totalitarismusanalyse in Herbert Marcuse, Der Eindimensionale Mensch (bis S. 21 in der DTB-Ausgabe von 1998).
Tom Bradschetl studiert und ist bei Grüne Woche Demaskieren und Tierfabriken Widerstand aktiv.
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