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Nutztierhaltung

Kein Tier ist für ein Leben an der Kette geboren

Von einem freien Leben auf der Weide können die rund 1.5 Millionen Rinder, die für die Milch- und Fleischindustrie in der Schweiz gehalten werden, nur träumen. Ein Beitrag von Susanne Leuenberger von tier-im-fokus.ch (TIF) zur Anbindehaltung.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Träume haben, das ist wohl etwas vom Wenigen, das ihnen übrig bleibt. Schätzungsweise 60 Prozent dieser Tiere lebt in Anbindeställen. Das bedeutet für jedes einzelne dieser Rinder: 275 Tage im Jahr auf einer 2 m2 Fläche zuzubringen, am Hals mit Kette oder Rahmen angebunden, Reihe an Reihe mit anderen Tieren, tagein tagaus. Ohne Bewegungsspielraum, ohne soziale Beziehungen. Es drohen Verletzungen der Zitzen durch Tritte der zusammengepferchten Tiere. Im Idealfall gibt es ab und an eine Auszeit auf der Weide. Oft muss aber ein Laufhof oder ein überdachter „Aussenklimabereich“ genügen. In der konventionellen Viehhaltung – dazu gehören 90 Prozent aller Milch- und Fleischbetriebe – ist lediglich ein Auslauf an insgesamt 90 Tagen im Jahr vorgeschrieben.

Leben auf Strom

Ansonsten ist freies Bewegen nicht vorgesehen. Im Gegenteil: In der Anbindehaltung kommen „Kuhtrainer“ zur Anwendung: Hinter dem Namen steckt kein Fitnessgerät. Nein: Es handelt sich um unter Strom stehende Metallbügel, die die Tiere durch Stromschläge zwingen, beim Stuhlgang und fürs Urinieren bis an den Mistkanal zurückzutreten. Der Kuhtrainer hilft den Milchproduzenten, die Exkremente der Tiere effizient zu beseitigen, die Hygiene zu gewährleisten und Klauenprobleme aufgrund fäkal verunreinigter Stallböden zu vermeiden. Alles zum Wohl der Tiere? Schwerlich. Gründe der betrieblichen Effizienz stehen im Vordergrund. Und es kommt noch schlimmer. Die Stromstösse können durch jede freie Bewegung ausgelöst werden. Die Kühe „lernen“ so, unter Verkrampfung ihre natürlichen Bewegungen zu unterdrücken. Seit 2013 sind Kuhtrainers bei Neubauten verboten, ältere Betriebe dürfen diese aber weiterhin einsetzen.

Bewegungstier

Freies Bewegen, frische Luft und soziale Kontakte sind in der Anbindehaltung ein Fremdwort. Dies bewog den Schweizer Tierschutz (STS) dazu, diese Art der Tierhaltung als tierschutzwidrig zu bezeichnen: „Eine Kuh läuft gerne herum, geht gerne auf die Weide, hat Gspänli. Sie einfach nur anzubinden, ist tierschutzwidrig“ meint Tierschutzpräsident Hans-Ulrich Huber. Die EU denkt über ein Verbot der Anbindehaltung nach, in Dänemark ist sie ab 2016 untersagt. Die vom Tierschutz geäusserte Kritik hat auch den Bund dazu bewegt, die Anbindehaltung nicht mehr finanziell zu unterstützen. Die Investitionshilfe für sogenannt „Besonders Tierfreundliche Tierhaltung“ (BTS) wird nur noch beim Neubau von sogenanannten „Laufställen“ gewährt. Auch die meisten Kantone vergeben keine Gelder mehr für Anbindeställe.

Tierwohl ist anders

Gegen diese „Steuerung der Verwaltung durch den Tierschutz“, wie es der Berner SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal bezeichnet, regt sich nun aber Widerstand. In zwei Motionen forderte von Siebenthal den Bundesrat auf, bei Neubauten eine gleichberechtigte Vergabe von Bauhilfen und Subventionen durch Bund und Kantone zu gewährleisten. Gleichzeitig bildete sich im Sommer 2014 die „IG Anbindestall“. Auch diese fordert Zuwendungen von Bund und Kantonen für Anbindeställe. Die Befürworter bringen Tradition, bessere Beobachtungsmöglichkeiten, umgängliche Tiere, weniger Klauenprobleme, weniger Ammoniakemissionen, den Schutz schwacher Tiere und das Vermeiden von Enthornung ins Spiel. Aber auch nicht angeführte Kostenfragen in Bezug auf Baufläche werden eine Rolle spielen. Dagegen heisst es auf der Homepage: „Die Tiere im Stall sind wohl“. Begründet wird dies allerdings nicht. Tierwohl ist etwas anderes. Bisher stiess das Anliegen der IG beim Bund auf taube Ohren: Eine Änderung des aktuellen Anreizsystems sei nicht geplant. Doch die Lobby wächst: Die IG zählt heute 400 Mitglieder.

Freiheit bleibt ein Traum

A propos Tierwohl: Der Bund fördert die „Laufstallhaltung“ als „besonders tierfreundliches Stallhaltungssystem“. Obwohl auch hier von freier Bewegung und einem artgerechten Leben schwerlich die Rede sein kann. Denn die Laufstallhaltung birgt neben weiterhin stark eingeschränkter Bewegung viele Gefahren für die Tiere: Verletzungen durch Tritte, Enthornung zur Verhinderung gegenseitiger Verletzung, hohe Emissionen. Hier stellt sich die Frage: Welches Tier würde das Leben im Stall einem Leben auf der Weide vorziehen? Auch wenn Tierschutz, Verwaltung und Interessenverteter der Milch- und Fleischindustrie in der Beurteilung nicht einig gehen. Gemein ist ihnen, dass die Frage des Tierwohls stets der Ausbeutung und Instrumentalisierung der Rinder im Rahmen der Tierindustrie weichen muss. Artgerechtigkeit und Tierwohl sind zweitrangig. Solange Tiere in den Produktionsablauf der Agrarindustrie eingebunden sind, sind sie vor allem eines: Milchmaschinen und Fleisch. Von einem freien, guten Leben auf der Weide können sie weiterhin nur träumen. Dieser Text ist erstmals im Bulletin 02/2015 erschienen.
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