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Interview

„Man kann sich nicht für Tierrechte einsetzen und die Menschenrechte ignorieren. Das geht nicht.“

Ahmad Safi hat vor einigen Jahren die Palestinian Animal League (PAL) gegründet, die einzige Tierrechtsorganisation Palästinas. Im April 2016 kommt er im Rahmen einer Vortragstour in die Schweiz und wird darüber berichten, wie es ist, in einem besetzten Land Tierschutz zu betreiben. Lesen Sie dazu ein Interview, das Klaus Petrus mit Safi in Ramallah geführt hat.

Text: Tier im Fokus (TIF)

KLAUS PETRUS: Ahmad Safi, Du sagst: Menschen- und Tierrechte müssen Hand in Hand gehen. Wieso das? AHMAD SAFI: Weil es hier wie dort um Gewalt geht. Und weil es da einen Zusammenhang gibt: Oft mündet die Gewalt gegen Tiere in der Gewalt gegen Menschen. Und: Wer kein Problem damit hat, Menschen zu quälen, wird wohl auch vor Tieren keinen Halt machen. Wir können nicht das eine angehen und das andere einfach ignorieren. Wo setzt ihr an? Bei den Jugendlichen. Wir gehen an die Schulen und Unis, halten Vorträge über Tierrechte und Veganismus und motivieren die Kids, eigene Projekte auf die Beine zu stellen. Wie zum Beispiel einen Tag der offenen Tür, wo sie über Tierschutz und gesundes Essen informieren. Wie kommt Tierschutz in einem Land an, in dem die Menschen seit Jahrzehnten unter fremder Besatzung leben? Ich weiss, worauf Du hinauswillst. Und tatsächlich bekommen wir das oft zu hören: „Wieso helft ihr nicht zuerst den Menschen?“ Das Wichtigste ist: Wir kommen nicht daher und schreiben den Leuten vor, wie sie mit ihren Tieren umgehen oder wie sie sich ernähren sollten. Das würde unserer Kultur zuwiderlaufen. Sondern? Wir versuchen herauszufinden, welches die Bedürfnisse der Menschen sind. Dann überlegen wir, wie sie sich mit den Interessen der Tiere vereinbaren lassen. Am Ende ist das Ganze idealerweise eine Win-Win-Situation, für die Menschen und für die Tiere. Hast Du ein Beispiel? Nehmen wir die Strassenhunde, von denen es bei uns immer mehr gibt. Für die Menschen werden sie zu einem echten Problem, denn viele fürchten sich vor ihnen. Kommt hinzu, dass Hunde in arabischen Gesellschaften schon aus religiösen Gründen keinen besonders guten Ruf haben, sie gelten nämlich als „unrein“. Nun haben wir jüngst eine Kampagne lanciert. Es geht darum, die Strassenhunde zu kastrieren und zu impfen. Zugleich – und fast noch wichtiger – versuchen wir den Menschen ein anderes Bild von Hunden zu vermitteln. Und wir möchten sie davon überzeugen, dass Strassenhunde für sie einen wichtigen Nutzen haben. Sie verjagen nämlich die Wildschweine, die sich an die Ernte der palästinensischen Bauern machen. So haben alle etwas davon. Zurück zum Tierschutz und der israelischen Besatzung… Die Strassenhunde sind ein gutes Beispiel dafür. Wie das? Unsere Kampagne hat mit vielen Hindernissen zu kämpfen. Religiöse oder kulturelle Vorurteile sind bloss die eine Sache. Eine andere sind die „Kriegshunde“. Sie werden von israelischen SiedlerInnen und der Armee gegen die palästinensische Bevölkerung eingesetzt, sei es an Kundgebungen, bei Hausdurchsuchungen oder Verhören. Ja, diese Hunde werden regelrecht auf uns abgerichtet! Das wurde inzwischen auch von Menschenrechtsorganisationen – im Übrigen selbst von israelischen – ausreichend dokumentiert. Kein Wunder, haben die PalästinenserInnen vor diesen Hunden Angst. Aber nicht nur das: Auf diese Weise wird ihr Vorurteil, dass Hunde aggressiv, unfreundlich und „schlecht“ seien, noch mehr zementiert. Und genau dagegen müssen wir dann in unserer Kampagne ankämpfen. Daneben gibt es aber auch ganz praktische Hindernisse. Wie zum Beispiel die eingeschränkte Bewegungsfreiheit? Ja. Um bei den Strassenhunden zu bleiben: Wir haben unsere Kampagne in Tulkarm gestartet, das ist eine Stadt im Nordwesten der Westbank, unmittelbar an der Grenze zu Israel. Sie ist fast vollständig umschlossen von Mauern, welche die israelische Regierung errichtet hat, und damit nur schwer zugänglich. Seit den Unruhen im Herbst 2015 ist das noch schlimmer geworden, denn oft sperrt das israelische Militär ganze Strassenabschnitte und wir kommen nicht mehr in die Stadt hinein. So wird unsere Arbeit immer wieder verzögert. Es gibt in Israel einen regelrechten Vegan-Hype und auch die Tierrechtsbewegung erlebt einen Aufschwung. Ist eine Kooperation mit israelischen Tierrechtsorganisationen für Euch keine Option? Könnte das Eure Arbeit in der Westbank nicht erleichtern? Nein, das ist definitiv keine Option. Wir werden nicht mit israelischen Tierrechtsorganisationen zusammenspannen, solange die Besatzung andauert. Denn genau das ist ja – jedenfalls aus unserer Sicht – der entscheidende Punkt: Es geht hier nicht nur um Tiere, hier geht es auch um die Missachtung von Menschen- und Bürgerrechten, es geht um Ausgrenzung, Diskriminierung, Unterdrückung. Ich kann – irgendwie – nachvollziehen, dass israelische Tierrechtsgruppen aus strategischen Gründen nicht über die Politik ihrer Regierung reden möchten. Aber für uns, wie gesagt, geht das nicht an, wir würden die Besatzung damit bloss „normalisieren“. Was meinst Du damit? Angenommen, wir würden mit Tierrechtsorganisationen in Israel kooperieren und gegen die Tierausbeutung kämpfen, ohne nur ein einziges Wort über die Besatzung Palästinas zu verlieren oder diese zu kritisieren. Was wäre das für ein Signal? Wir – ich meine: wir PalästinenserInnen – würden dann so tun, als wäre die Besatzung gar nicht so wichtig oder gar nicht so schlimm oder eben: ganz normal. In Wahrheit ist das schiere Gegenteil der Fall, und das muss laut und deutlich thematisiert werden, immer und überall. Wie gesagt: Wir können uns nicht für Tierrechte einsetzen und dabei die Menschenrechte ignorieren. Oder auch umgekehrt. Das geht einfach nicht. Davon bin ich fest überzeugt.
Die Palestinian Animal League (PAL) wurde 2011 von Ahmad Safi mitbegründet und ist die einzige Tierschutzorganisation in einem besetzten Gebiet. Sie setzt sich für Tierrechte und Veganismus ein und arbeitet eng mit der lokalen Bevölkerung und v.a. mit Jugendlichen zusammen. PAL hat Projekte insbesondere in der Westbank zur Situation der Esel und Strassenhunde. Dazu hat die Organisation anfangs 2016 eine Kampagne lanciert, die Klaus Petrus im Auftrag des Büro für Mensch-Tier Beziehungen (METIBE) und NetAP – Network for Animal Protection dokumentiert hat.

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1 Kommentar

Weisskopf Ramon
vor 7 Jahre

Lesenswert. Das mit den ‚Kriegshunden‘ finden ich schwierig. Tolle Arbeit wird geleistet. Danke.

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