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Interview

„In der Höhle des Löwen“

Mit ihren 300.000 BesucherInnen gehört die BEA zu den grössten Messen der Schweiz. Die Landwirtschaft ist dort besonders stark vertreten und tut viel für ihr Image. Und hier, mitten drin, gibt es einen Stand der besonderen Sorte: Gegen einen Batzen können sich die BEA-BesucherInnen ein Video über die dunkle Seite der Schweizer Nutztierhaltung anschauen. Wir haben uns mit dem TIF-Aktivisten Florian Keller über diese Aktion unterhalten.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Ein Tierrechtsstand von Tier im Fokus (TIF) an der BEA – geht es da um Information oder um Provokation? FLORIAN KELLER: In einer Gesellschaft, in der die Gewalt an Tieren derart „normal“ ist wie in der unsrigen, ist jede Information bis zu einem gewissen Grad auch eine Provokation. Wir üben grundsätzliche Kritik an der Tierausbeutung. Und das ist nun einmal unbequem. Trotzdem, die BEA dürfte ein besonders hartes Pflaster sein. Hier präsentieren sich die Zuchtverbände mit über 600 Tieren, viele Anbieter landwirtschaftlicher Produkte sind da und auch die Agrarpresse ist sehr präsent. Und genau an diesem Ort zeigt TIF den BEA-BesucherInnen ein Video, das hinter die Kulissen der sogenannten Nutztierhaltung blickt. Ja, wir begeben uns in die Höhle des Löwen. Denn Kritik an der Art, wie wir mit Tieren umgehen, hat hier eigentlich gar keinen Platz. Deshalb ist es wichtig, dass wir vor Ort sind. Wie kommt das bei den Leuten an? Unterschiedlich. Die Reaktionen der Bäuerinnen und Bauern sind teils heftig. Wir wurden auch schon beschimpft. Was irgendwie verständlich ist, denn sie fühlen sich durch unsere Aktionen in ihrer Existenz bedroht. Kommt hinzu: Niemand kennt die Situation in Schweizer Ställen besser als die Landwirte. Sie wissen aus erster Hand, dass hier so einiges im Argen liegt. Was ist mit den anderen BEA-BesucherInnen? Sie reagieren überraschend positiv. Die meisten Leute finden gut, was wir hier machen. Sie wollen informiert werden, denn tatsächlich wissen viele nicht so genau, was sich hinter dem beschönigenden Wort „Nutztierhaltung“ wirklich verbirgt. Allerdings gibt es auch einige, die sich denken: Vor allem im Ausland ist es schlimm, wie mit Tieren umgegangen wird, bei uns dagegen haben sie es doch gut. Umso wichtiger ist, dass in unserem Video viele Aufnahmen aus der Schweiz zu sehen sind. Also vor der eigenen Haustür, sozusagen. Wie viele Menschen erreicht Ihr mit dieser Aktion? Im Schnitt zwischen 50 und 60 Leute pro Tag. Ich denke, es werden noch mehr, denn bisher war das Wetter eher schlecht. Ich gehe davon aus, dass am Ende der BEA bis 800 Menschen unser Video gesehen haben. Und was denkst du, was bleibt bei ihnen zurück? Wir haben ein Formular, das die Leute ausfüllen können, nachdem sie sich das Video angeschaut haben. Da stehen auch Fragen zur Aktion und welche Konsequenzen sie daraus ziehen werden. Wie gesagt, viele finden gut, was wir machen. Doch nicht alle sind offenbar bereit, ihren Konsum tierlicher Produkte grundsätzlich zu hinterfragen. Wie erklärst du dir das? Viele – besonders jüngere Menschen – scheinen regelrecht aus allen Wolken zu fallen, wenn sie die tragische Realität hinter der Schweizer Heidiland-Fassade zu Gesicht bekommen. Und vielleicht können sie auch nicht sofort eine Verbindung zwischen ihrem alltäglichen Konsumverhalten und der dokumentierten Gewalt herstellen. Ich denke aber auch, dass manche Menschen generell nicht zu viel Eigenverantwortung übernehmen möchten. Sie sagen zwar: „Gut, dass ihr darüber informiert!“, oder auch: „Toll, wie sich andere für Tiere einsetzen!“ Sie selber wollen aber so weitermachen wie bisher. Doch gibt es auch etliche, die uns im Gespräch gesagt haben: Ich werde es mal einen Tag oder gar eine Woche lang mit vegan versuchen. Das ist sehr erfreulich.“ Eine häufige Reaktion auf Schockbilder besteht ja auch darin, dass man „bessere“ Haltungsbedingungen fordert – aber nicht mehr. Ja, wir hören in diesem Zusammenhang oft: „Ich selber kaufe nur beim Bio-Bauern ein“, oder: „Ich kenne einen Nachbarn, bei dem ist alles anders, die Tiere haben dort ein freies Leben“ – und so weiter. Auf der anderen Seite muss ich auch sagen: Wir verwenden ganz bewusst keine Aufnahmen von krassen Tierquälereien. Vielmehr versuchen wir, die „Normalität“ zu zeigen, in welcher 60 Millionen Tiere leben, die allein hierzulande jedes Jahr für unsere Ernährung umgebracht werden. Dies allein sollte schockierend genug sein. Falls Tiere ethisch gesehen wirklich zählen, falls sie mehr sind als eine blosse Ware, dann müssen wir aufhören, sie zu züchten, zu mästen und zu töten. Wenn sich die BEA-BesucherInnen nach unserem Video diesen Gedanken machen, haben wir schon viel erreicht.“
Während zehn Tagen verteilen wir von 9 bis 18 Uhr an der diesjährigen BEA zwischen dem 29. April und dem 8. Mai 2016 an unserem Stand (F5 22) Infomaterial und zeigen kritische Aufnahmen aus den Schweizer Ställen. Schon im Vorfeld war in den Medien über unsere Aktion zu lesen. Finanziert wurde sie über ein Crowdfunding.
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1 Kommentar

Renato Werndli
vor 7 Jahre

Bravo TiF. Es ist ausserordentlich wichtig, dass die Missstände im Nutztierbereich aufgezeigt werden. Schon dass wir nur schon in der kleinen Schweiz jährlich 60 Millionen Nutztiere züchten, mästen und umbringen nach kurzem Leben in engen Ställen, nach quälerischen Transporten und nach Schlachtung für 8% bei vollem Bewusstsein, ist per se schon ein Missstand, der sich selbst durch ausnahmsweise gut Haltung nicht wesentlich korrigieren lässt. Nur Veganismus gibt echtes Gegensteuer…

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