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Haustiere im Porträt

Glaser. Le Monument. Der Soldat.

Er wurde militärisch erzogen, für die Zucht instrumentalisiert und sollte schliesslich geschlachtet werden: Glaser, der Hengst. Seinen Lebensabend durfte er bei der Stiftung Stinah verbringen, wo sich seine Persönlichkeit endlich entfaltete. Von Claudia Steiger.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Glaser wurde 1980 im damals militärisch geführten Staatsgestüt geboren. Dort stand der Hengst im Dienst der Eidgenossenschaft. Schwarz. 171cm gross. Sein Schritt kurz, nicht dem Zuchtziel entsprechend. Jedoch stach er als geschicktes, mutiges und sehr zuverlässiges Springpferd hervor. Nie unter der Bestnote im Stil: Immer willens, alles zu geben. Aufrecht. Mit 15 Jahren wurde Glaser kastriert. Die Zucht hatte sich in eine andere Richtung entwickelt. Er wurde an eine Reitschule verkauft. Dort arbeitete er noch einige Jahre als Springlehrpferd, um hernach AnfängerInnen und Menschen mit Behinderung das Reiten zu ermöglichen. Er kannte in diesen acht Jahren als Schulpferd nur Anbindehaltung und Halle. Als seine Kräfte nachliessen, sollte Glaser geschlachtet werden. Am Abend vor der Schlachtung ereilte mich ein Hilferuf. Obwohl ich Glasers Besitzer nicht erreichen konnte, fuhren mein Partner und ich am nächsten Tag um 4 Uhr zu seinem Hof, um Glaser zu helfen. Wir drei hatten Glück: sein Besitzer willigte ein, ihn der Stiftung Stinah abzugeben.

Militärischer Gehorsam

Zu Beginn unserer Beziehung nahm Glaser die typisch militärische Haltung ein, sowohl im Körper als auch im Geist. Er vermied, wie während Jahren gelernt, jede aktive Kommunikation mit uns. Er wartete für alles auf einen Befehl. Aber auch als Befehlsempfänger behielt er seine stolze Haltung und sein Selbstwertgefühl; eine Kombination, die bei Pferden sehr selten ist. Glaser brauchte lange, bis er zuliess, dass wir uns auf einer freundschaftlichen Ebene begegnen konnten und realisierte, dass er für seine Bedürfnisse einstehen durfte. Und trotz der allmählich beanspruchten Freiheiten behielt er über all die Jahre diese unglaubliche Zuverlässigkeit bei. Als eines Nachts jemand unseren Weidezaun ganz oben auf dem Berg geöffnet und die Bänder auf den Boden gelegt hatte, nahmen alle Pferde Reissaus. Nur Glaser blieb, kam runter zum Hof und weckte mich mit lautem Gewieher. Nie hätte er sich angemasst, das Band zu überschreiten. Er war dazu erzogen worden, keine vom Menschen gesetzte Grenze, und sei sie noch so lächerlich, zu übergehen.

Einzigartig, unvergesslich

Pferde entwickeln tiefe Beziehungen zueinander, wenn man sie lässt. Irgendwann öffnete sich auch Glaser. Doch das war zunächst eine Tragödie. Die von ihm auserwählte Stute wollte im heissen Sommer 2003 nachts zwischen Stall und Weide pendeln. Er aber erlaubte sich nicht, den Offenstall ohne Befehl zu verlassen. Während des ersten Monats schrie er deshalb jede Nacht durch. Derart laut und panisch, dass die Leute aus dem Dorf zusammenkamen. Später war er nie ohne seine erwählte Stute anzutreffen. Er trug sie auf Händen und hielt ihr bis zu seinem Tod die Treue. Glaser war unerschrocken, voller Kraft, pflichtbewusst und ein grosser Gentleman. Er war so klar in seiner Haltung, so unbeirrbar, so bereit, sein Schicksal anzunehmen, auch wenn es unerträglich schien. Er war der Mann der kleinen Gesten, die Grosses bedeuteten. Heute vergeht kaum ein Tag, an dem mich nicht irgendetwas freudvoll an ihn erinnert. Claudia Steiger gründete Stinah gemeinsam mit ihrem Partner im Jahr 1995. Daneben ist sie vollberuflich Anwältin in Zürich, engagiert sich in der Wohnschule für Kinder und betreibt beim Naturnetz Natur- und Umweltschutz.
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2 Kommentare

Myriam Gehri
vor 7 Jahre

Claudia und STINAH sind die besten!!!

Ursina
vor 7 Jahre

Jööööö, wie berührend die Geschichte von Glaser.
Schön, dass es Euch gibt! Danke!!!

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