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Nutztierhaltung

Sackgasse Schweizer Eierproduktion

Über 70 Prozent der Hühnereier, die in der Schweiz als Konsumeier über den Ladentisch gehen, werden durch die einheimische Produktion gedeckt. Worauf man hierzulande stolz ist. Die "frohe Botschaft" täuscht aber über eine basale Abhängigkeit vom Ausland hinweg: Schweizer Legehennen produzieren nur Eier und haben als Endglied einer Generationenkette keinen Nachwuchs. Ein Bericht von Martina Späni (tif).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Hierzulande ist man stolz darauf, dass über 70 Prozent der konsumierten Schaleneier durch schweizerische Eigenproduktion gedeckt werden kann. Immerhin liegt der Stückpreis der über den Ladentisch verkauften Schweizer Eier im Vergleich zu den Produkten aus dem Ausland um das Zwei- bis Dreifache höher. Der Absatz klappt trotzdem. Offenbar gelingt es, mit dem Verkauf von Schweizer Eiern auch deren Mehrwert zu kommunizieren. [1]

Das Schweizerische der Schweizer Eier

Was ist überhaupt ein Schweizer Ei? Genau das wollte die Schweizerische Eier-Produzentenorganisation GalloSuisse von 400 Schweizer Haushalten wissen.

Das Ergebnis der Umfrage: „Konsumentinnen und Konsumenten wollen lupenreine Schweizer Eier von Hühnern, die hier geboren und aufgezogen worden sind – und von Schweizer Elterntieren stammen“. Und: Sie „erwarten von einem Schweizer Ei, dass es von artgerecht gehaltenen ’schweizerstämmigen‘ Hennen gelegt worden ist – oder es hat keine Berechtigung, ‚Schweizer Ei‘ genannt zu werden.“ [2]

In der gleichen Befragung wird auch deutlich, dass drei Viertel der Deutsch- und ein Drittel der Welschschweizer den Transport von lebenden Tieren vom Ausland in die Schweiz entschieden ablehnen, die Hälfte möchte ihn am liebsten verbieten: das sei „grausam“, „katastrophal“, eine „Tierquälerei“.

Diese Umfrageergebnisse sprechen eine klare Sprache: Die schweizerische Eierproduktion soll grundsätzlich eine nationale und vom Ausland unabhängige Angelegenheit bleiben. Und zwar aus tierethischen Gründen.

Diese Einschätzung aus dem Jahre 2000 wurde seitdem immer wieder bestätigt, so unlängst durch einen Bericht des Schweizer Tierschutz (STS) zum „Tierschutz im Lebensmittel-Detailhandel 2010“, wo es zusammenfassend heisst: „Das Tierwohl und die Schweizer Herkunft geniessen in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert.“

Das wissen auch die Discounter. So wurde den hierzulande lebenden Hühnern, „die von Schweizer Elterntieren stammen“, von GalloSuisse kurzum ein Schweizer Pass ausgestellt. Was natürlich bloss ein Werbegag ist, der sich weniger an den Grundsätzen der Objektivität orientiert, sondern an guten Geschichten, die uns ein gutes Gewissen bescheren sollen.

Tatsächlich bedient die Rede von Schweizer Hennen, die Schweizer Eier legen und von Schweizer Elterntieren stammen, eine nach wie vor gängige, aber reichlich veraltete Vorstellung von einem natürlichen Fortpflanzungskreislauf. Er sieht wie folgt aus:

Abb. 1: Vorindustrieller Fortpflanzungs- und Nutzungskreislauf; Darstellung: tier-im-fokus.ch (tif)
  1. Die Hennen legen Eier.
  2. Einen Teil dieser Eier verspeist der Mensch.
  3. Aus dem andern, vom Hahn befruchteten Teil der Eier schlüpfen Küken.
  4. Ein Teil der Küken – vor allem die überzähligen männlichen – werden gemästet, geschlachtet und von Menschen konsumiert.
  5. Ein anderer Teil der Küken wächst zu Hennen und Hähnen heran.
  6. Die Hennen legen Eier
  7. usw.

Nach diesem Zyklus kann jedes Tier potentiell ein Elterntier werden. Was in Abbildung 1 beschrieben wird, ist jedoch eine vorindustrielle Hühnerhaltung, die mit der heutigen Geflügelwirtschaft in etwa noch so viel zu tun hat wie eine mechanische Schreibmaschine mit einem PC. [3]

Die Schweizer Henne: „Endprodukt“ einer Generationenkette

Die heutige Nutzung von Legehennen kann nicht mehr als Kreislauf beschrieben werden. Vielmehr handelt es sich um eine Generationenfolge, die just dort abbricht, wo das vermarktete Konsumei produziert wird. Das ist in Deutschland nicht anders als in China, auf den Philippinen oder in der Schweiz.

Wenn es um Fragen der Bewirtschaftung des Legehuhns geht und nicht um platte Werbeslogans, heisst das Tier entsprechend nicht mehr Henriette und hat auch keinen Schweizer Pass, sondern ist ganz einfach ein „Endprodukt“ einer bis ins kleinste Detail kontrollierten Generationenabfolge (Aviforum 2010: Kapitel 4.2, S. 2; Kapitel 7.9, S. 1). [4]

Die industrielle und gänzlich vom Ausland abhängige Fortpflanzungskette für das Schweizer Legehuhn durchläuft folgende Etappen:

(1) Die Urgrosseltern der schweizerischen Legehennen werden im Ausland in einem Basiszuchtbetrieb geboren.

(2) Der Nachwuchs dieser Urgrosseltern – das sind die Grosseltern der Schweizer Legehennen –, werden ebenfalls im Ausland geboren und in einem Linienzuchtbetrieb aufgezogen.

(3) Diese Grosseltern haben wiederum Nachwuchs; es handelt sich um die sogenannten „Schweizer Elterntiere“. Auch sie werden im Ausland geboren und in den ersten 48 Lebensstunden in die Schweiz transportiert. Sobald sie geschlechtsreif sind, erzeugen sie in einem Vermehrungszuchtbetrieb Bruteier. Diese Bruteier, in denen männliche wie weibliche Küken stecken, gelangen in einen Brüter.

(4) Die männlichen Küken, gewissermassen die Brüder der Schweizer Legehennen, sind weder für die Ei- noch für die Fleischproduktion geeignet; sie werden unmittelbar nach dem Schlupf, weil ökonomisch wertlos, getötet. Allein in der Schweiz kostet dieser Fehler im System jährlich über 2 Millionen Küken das Leben.

(5) Die weiblichen Küken werden in Aufzuchtbetrieben aufgezogen und nach spätestens 18 Wochen in die Eierproduktionsbetriebe verlegt. Dort legt jede Henne rund 300 Eier für den menschlichen Verzehr, sie hat keinen Nachwuchs und wird bereits nach einem Jahr als „Althenne“ entsorgt.

Abb. 2: Stationen und Generationenfolge des mobilen Wirtschaftsgeflügels; Darstellung: tier-im-fokus.ch (tif)

Diese Generationenfolge verläuft alles andere als trivial nach dem Motto: Wo ein Urenkel, da auch eine Urgrossmutter. Vielmehr geht es um den ökonomischen Mehrwert, der durch diese Generationenkette erzeugt werden soll. Die Urgrosseltern sind dafür verantwortlich, dass der weibliche Urenkel sehr viel mehr Eier legen kann als sie selbst. Das Geheimnis dieser Leistungsoptimierung ist in der Genetik zu suchen, die der Mensch technologisch in Form von Züchtungen auszureizen weiss.

Die industrielle Nutzbarmachung des biologischen „Materials“

Der Kern des Systems ist die Elastizität des biologischen „Materials“. Genutzt wird ein Phänomen, das in der Genetik Heterosis-Effekt (auch Kreuzungseffekt) genannt wird: Der Nachwuchs von gekreuzten reinerbigen Tieren (oder auch Pflanzen) ist bezogen auf bestimmte Merkmale durchschnittlich leistungsfähiger oder vitaler als die Elterngeneration selbst.

Dieser Effekt wird in der Hybridzucht eingesetzt und mit experimentell-statistischen Mitteln mit Blick auf die durchschnittliche Legeleistung von Tierherden genutzt (Hunton 2006). Im Bereich der industriellen Nutzung geht es dabei immer um dasselbe: Aus weniger Futter und menschlicher Arbeit sollen immer schneller mehr Eier, mehr Fleisch etc. entstehen. Also: Tiefe Produktionskosten bei gleichzeitig hoher Produktion in möglichst kurzer Zeit.

Vergleich zwischen Rassehühnern und Legehybriden; Quellen: Aviforum (2010): Kapitel 4.3, S. 4; Nutzung von Legehennen (BVET)

  • Eine Legehybridhenne legt heute durchschnittlich doppelt so viele Eier (300 Stück) wie der Durchschnitt der Rassehennen (154 Stück).
  • Um 60 Gramm Eimasse zu produzieren, braucht eine Legehybride rund die Hälfte weniger Futter als ein Rassehuhn (139 Gramm gegenüber durchschnittlich 308 Gramm eines Rassehuhns).
  • Legehybridhennen legen rund 2 Monate früher Eier als Rassehühner (18. Woche gegenüber 24. Woche).
  • Was ungefähr gleich geblieben ist, ist einzig der Futterverbrauch pro Tier und Tag (rund 130 Gramm pro Tag).

Merkmale und Folgen der globalen Eierproduktion

Dermassen viele Eier sind also nur von Hennen zu haben, deren Legeleistung vorgängig über mehrere Generationen gezielt aufgebaut wurde. Dass Legehybride ohne Nachwuchs bleiben und getötet werden, wenn sie ihren Dienst an der Menschheit getan haben, ist dabei fest einkalkuliert. Die Folgen sind gravierend:

• Fehlender Tierschutz

Moderne Hühner leben nach Generationen getrennt und werden von Stall zu Stall, von Betrieb zu Betrieb, von Land zu Land weitergereicht und oft über hunderte oder gar tausende von Kilometern verfrachtet (dazu die anschauliche Grafik, in der auch die Masthühner einbezogen werden). Die Vorgaben des Schweizerischen Tierschutzgesetzes können im Vergleich zum Ausland noch so gut sein, sie erreichen die in ausländischen Ställen lebenden Tiere nicht, auf denen die schweizerische Eierproduktion letztlich aufbaut.

Aber auch die Umsetzung des Schweizerischen Tierschutzgesetzes wirft Fragen auf: Damit der Import der Küken von Elterntieren möglich ist, gibt es in der Schweizerischen Tierschutzverordnung eine Ausnahmeregelung (Art. 162 TSchV): Die für „Nutztiere“ übliche, maximale Transportzeit von 6 Stunden gilt nicht für Elterntierküken und andere Legeküken, die importiert werden. Vielmehr dürfen sie bis zu 48 Stunden von den Linienzuchtbetrieben in die schweizerischen Vermehrungsbetriebe unterwegs sein.

Das Anliegen der von GalloSuisse befragten KonsumentInnen, wonach der Transport von Jungtieren abzulehnen sei (siehe oben), wird mit anderen Worten weder durch die Produzentenorganisation noch durch die gesetzlichen Erlasse ernst genommen.

• Zerstörung sozialer Verbände

Glucke mit Küken © tier-im-fokus.ch (tif)

Die Glucke gilt – jenseits aller ökonomischen Zusammenhänge – als Inbegriff der fürsorglichen Mutter. Auch vermögen Küken nach dem Schlupf sofort ihrer Mutter zu folgen, da sie die Laute der Glucke bereits im Ei von anderen Umweltgeräuschen zu unterscheiden lernen.

Diese Tiere, die also ein ausgeprägtes Sozialverhalten haben, das sich insbesondere auch auf den Nachwuchs bezieht, werden in der Tierindustrie in Verbänden von Gleichaltrigen gehalten: Die für die Eierproduktionsbetriebe vorgesehenen „Lebensgemeinschaften“ schlüpfen allesamt am gleichen Tag in einem künstlichen Brüter, dann werden die Hühner in Aufzuchtbetriebe verschoben, später in die Eierproduktionsbetriebe verlegt und nach der Phase der Eierproduktion getötet.

In der modernen Eierproduktion herrscht ein Regime vor, welches das einzelne Tier als fabrikähnlichen Zellverband betrachtet, der in der Lage sein muss, Eier für den menschlichen Verzehr zu produzieren und der, harten betriebswirtschaftlichen Kriterien folgend, fast beliebig manipuliert werden darf.

• Tötung von Lebewesen aus Gründen fehlender Rentabilität

Mit der Legehennen-Produktion ist die Tötung der männlichen Küken verbunden, eine Folge der züchterisch eingefädelten „Arbeitsteilung“ zwischen Lege- und Masthühnern: Mit den Fleisch- oder Masthybriden, die speziell auf viel Fleisch gezüchtet werden, können die männlichen Legeküken nicht mithalten. Weil sie sich nicht gewinnbringend bewirtschaften lassen, werden sie entsorgt.

• Zerstörung der autarken, lokalen Märkte

Mit dem Schlagwort vom „Schweizer Ei“ wird die Vorstellung der KonsumentInnen bedient, dass es sich bei der schweizerischen Produktion von Lebensmitteln um einen biologischen, ja geradezu „natürlichen“ Kreislauf handelt, der auf Schweizer Boden stattfindet.

Mit Schweizer Legehennen wird jedoch kein Nachwuchs generiert. Der Import von Elterntieren aus dem Ausland ist vielmehr eine notwendige Voraussetzung für den heimischen Eiermarkt.

Auch das Kompetenzentrum für Geflügelwirtschaft Aviforum spricht in diesem Zusammenhang von „klaren Abhängigkeitsverhältnissen“. In der Schweiz werde „nicht eigentlich gezüchtet, sondern ’nur‘ vermehrt, d.h. mit importierten Elterntieren werden Bruteier erzeugt, aus denen auschliesslich die Endprodukte schlüpfen“ (Aviforum 2010: Kapitel 4.2, S. 2).

Nicht nur die Schweiz, sondern die Märkte fast aller Länder sind von dieser Abhängigkeit gekennzeichnet. Die arbeitsteilige Abfolge bei der industriellen Bewirtschaftung des Geflügels ist überall auf der Welt dieselbe geworden. Und wo sie sich noch nicht durchgesetzt hat, überrollt sie den Markt der vorindustriellen Geflügelhaltung. Auch Chinas Eierproduktion folgt dem gleichen System.

• Monopolisten und Aufgabenkumulation

Zwei Giganten beherrschen die Legehennenzucht und damit die globale Eierproduktion; ein dritter ist jüngst dazugekommen. Sie sind im Besitz jener Basiszuchtbetriebe und Grosselterntiere, auf denen die lokalen Betriebe in der weiten Welt aufbauen.

Dazu gehört die zur deutschen Erich Wesjohann Gruppe zählende Lohmann Tierzucht. Sie redet von sich selbst als „Weltmarktführer“. Zur Erich Wesjohann Gruppe zählen auch die Zuchtbetriebe Hy-Line und H&N, die in den vergangenen Jahren aufgekauft wurden. Rund 70 Prozent der weissen Hühnereier, die auf dieser Welt gelegt werden, basiert auf den Zuchtlinien dieser Gruppe.

Ein anderer Gigant ist die niederländische Hendrix Genetics. Dieser Familienkonzern beherrscht 65 Prozent des Brauneiermarktes durch seine Grosselterntiere und bietet nach eigenen Angaben die Basis für 50 Prozent der weltweiten Eierproduktion. Zu Hendrix Genetics gehören die dazugekauften „alten“ Zuchtbetriebe Bovans, Hisex, Dekalb, ISA, Warren, Shaver und Babcock und andere, die neuerdings unter dem Dach „Institut de Sélection Animale“ (ISA) vermarktet werden.

Im Jahr 2008 gründete die französische Groupe Grimaud überraschend ein neues Zuchtunternehmen namens Novogen, um am globalen Wettbewerb der Eierproduktion zu partizipieren.

Diese Firmenkomplexe sind nicht einfach nur im Besitz der Basis- und Linienzuchtbetriebe, sie sind auch in der Futtermittelproduktion tätig, der Erforschung von Tierkrankheiten, der Entwicklung und dem Vertrieb von pharmazeutischen Produkten für die Tierindustrie. Und sie beteiligen sich aktiv, wenn es um die Einrichtung von Grosseltern- und Elternbetrieben sowie um Brütereien im Ausland geht (Gura 2007; 2008). Zudem stellen sie die für die Entwicklung von Grippemitteln genutzten Eier en gros zur Verfügung.

• Seuchengefahr

Grosselterntiere, Elterntiere und auch Legeküken werden zu Hunderttausenden per Flugzeug und Camions weltweit herumtransportiert. Am Zielort angekommen, werden die Elterntiere zur Herstellung der lokalen Legetierbestände genutzt, wobei letztere auf engstem Raum bis zu einer Million Legetiere leben, wenn auch nicht im gleichen Stall, so doch am gleichen Ort. Ein idealer Brut- und Mutationsplatz für Viren, meinen Seuchenexperten (kagfreiland 2006; Lorenzen 2008).

Entsprechend stehen die Zuchtbetriebe in der Verantwortung, wobei das eher sekundär sein dürfte, denn mit der Gesunderhaltung der Basiszuchtlinien steht und fällt der globale Marktanteil – und damit auch das Überleben der Zuchtgiganten. Die seuchenpolizeilichen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Basiszuchten sind deshalb so erschlagend wie vielsagend (vgl. Filières Avicoles, September 2008, S. 14). [5]

Und was ist mit Bio-Eiern?

Selbst die Bio-Branche, die in der Schweiz immerhin mit 17 Prozent am Eiermarkt partizipiert (für das Jahr 2009), ist der globalen Dynamik der Legehennenindustrie unterworfen (Bio Suisse, Facts & Trends 2010, S. 14). Der Grund ist einfach: Auch Bio-Legehennen sind in der Regel Hybridhühner, die von Zuchtgiganten stammen. Dazu gehören die Hybriden von Lohmann Tierzucht oder Hendrix Genetics.

So wirkte beispielsweise Bio Suisse am Bau der zweiten Biobrüterei, in denen schweizerische Bio-Legehennen und Bio-Mastküken schlüpfen, beratend mit. Diese Brüterei ist zugleich eine eigenständige Tochterfirma der schweizerischen Animalco AG, an der wiederum Lohmann Tierzucht beteiligt ist (Lohmann Poultry News 2/2009, S. 12f. und 3/2009, S. 5).

Das Biolabel kann sich zwar auf das Wohlergehen der importierten Elterngeneration und der Legehennen positiv auswirken. Die Biobranche vermochte aber bislang die Gesamtdynamik dieses Gefüges nicht zu verändern – mehr noch, sie wird von den grossindustriellen Züchtern unterwandert.

„Bio“ bedeutet dabei keineswegs ein umfassender Schutz für die Tierbestände. Welche schwache Bindung das Label im Hinblick auf das einzelne Tier hat, weist etwa auch die Tatsache auf, „dass überzählige Bio-Küken in der konventionellen Produktion abgesetzt werden können“ (Lohmann Poultry News 2/2009, S. 12).

Zudem erreicht auch Bio die Tiere in den Basiszuchtbetrieben des Auslands nicht. Doch solange die KonsumentInnen nicht wissen, dass auch für Bioeier Elterntiere importiert werden, muss an dieser Werbefront die Schlacht gar nicht erst geschlagen werden.

Die Eierproduzenten der Bio-Branche kämpfen jedoch gegen den Makel der Kükenvernichtung und gegen viele Krankheiten, die sich dadurch ergeben haben, dass die Legehybriden eigentlich für die Käfighaltung entwickelt wurden – und damit für Stallungssysteme, bei denen die Tiere keinen Kontakt mit der natürlichen Umgebung haben.

Kein Ausweg aus der Misere?

„Das Ganze ist schon lange pervers“, sagte vor Jahren der Leiter eines deutschen staatlichen Forschungsbetriebes gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (12.03.2006, Nr. 10). Dieses vernichtende Urteil galt den Mechanismen der globalen Hühnerwirtschaft. Seinen Namen wollte er aber lieber nicht in der Zeitung lesen.

Zur Einsicht, dass der Eierkonsum entsprechend abnorm ist, kann tatsächlich nur kommen, wer das System zur Kenntnis nimmt. Darüber wird aber geschwiegen. Und so werden Eier auch weiterhin als ein natürliches Ernährungskraftwerk für Menschen beworben, das erst noch lokal produziert wird.

Angesichts der globalen Erscheinungen und ethischen Folgen, die mit der Produktion von Eiern einhergehen, liegt es nahe, für ein Moratorium oder gar einen Ausstieg aus dem Konsum zu plädieren. Denn Alternativen gibt es.

Fussnoten

[1] Eine 10er Packung importierter Schaleneier kostet beispielsweise bei Coop CHF 2.50 (Stückpreis CHF –.25). Eine 6er Packung GarantieSuisse-Eier CHF 3.40 (Stückpreis CHF –.56). Und eine 4er Packung Bio-Knospe-Eier CHF 3.35 (Stückpreis CHF –.83). (Preise vom 20.09.2010)

[2] Die Frage, was ein Schweizer Ei sei, klingt ein wenig danach, als ob es „unschweizerische“ und „schweizerische Schweizer Eier“ gibt. Der vermeintliche Kategorisierungsunsinn ist vor dem Hintergrund der Produktionsproblematik von Legehennen zu verstehen: Immer mehr Eierproduzenten in der Schweiz importierten billige Junghennen aus dem Ausland und konkurrierten damit die Junghennenproduktion im Inland. Dieser Trend setzte sich jedoch nicht durch, vielleicht nicht zuletzt aufgrund der Ergebnisse der besagten Umfrage. Die Importproblematik ist damit jedoch alles andere als gelöst.

[3] Den in Abb. 1 dargestellten Kreislauf halten im Bereich des domestizierten Geflügels nur noch die Vereine für Rassengeflügel aufrecht. Das Rassegeflügel ist wirtschaftlich aber bedeutungslos geworden und die Vermehrung wird ausschliesslich als Hobby- und Liebhaberzucht betrieben. Zweck des Vereins Rassegeflügel Schweiz ist gemäss Art. 2 insbesondere die „Erhaltung der genetischen Vielfalt“, was auf dem Hintergrund der fortschreitenden genetischen Verengung der Wirtschaftsgeflügelzucht zu lesen ist. Eine Ausnahme ist allerdings zu nennen: In der Bio-Branche wird angesichts der vielfältigen Probleme versucht, die Rasse „Schweizer Huhn“ als Zweinutzungshuhn neu zu lancieren.

[4] Wieso „Endprodukte“, wie Legehennen und Masthühner in den schweizerischen „Geflügel-Merkblättern“ bezeichnet werden? Der Begriff wird im Zusammenhang mit den Impfprogrammen bemüht: Legehennen und Masthühner haben, im Unterschied zu den „Zuchttieren“, keinen Nachwuchs. Sie stellen das Ende der industriellen Wertschöpfungskette dar und werden entsprechend anders abgeimpft (Aviforum 2010: Kapitel 7.9, S. 1).

[5] Auskunft darüber gibt z.B. die Schilderung eines Besuchs in einer der Versuchsanstalten in Frankreich, die seit 2005 zu Hendrix Genetics gehört: Vor dem Eintritt zieht man sich um; man erhält eine Kopfbedeckung, einen weissen Arbeitskittel und Schuhe. Der Zugang zum ersten Gebäude erfolgt durch ein desinfizierendes Fussbad (ein „profond pédiluve bétonné“). Anschliessend werden die Kleider ein zweites Mal gewechselt: Es wird geduscht, die Haare werden gewaschen, und dann wird man von Kopf bis Fuss, samt Unterwäsche, neu bekleidet. Jede Person, die hier arbeitet, macht dies täglich. Während der täglichen Arbeit darf die „ferme“ nicht verlassen werden. Die Mensa für die Angestellten hat ein einziges Fenster, das nicht geöffnet werden kann. Die Zugänge zu den Ställen sind so konstruiert, dass „aucun flux d’air contaminé ne peut y entrer“. Alle Luft wird gefiltert. (Filières Avicoles, Septembre 2008, S. 14).

Quellen

Aviforum (2010), Merkblätter Geflügelhaltung, Loseblatt-Sammlung.

GalloSuisse (2000), Meinungsumfrage: Wann ist ein Schweizer Ei schweizerisch? 19. Oktober 2000.

Gura, S. (2007), Das Tierzucht-Monopoly. Konzentration und Aneignungsstrategien einer aufsteigenden Macht in der globalen Ernährungswirtschaft. Liga für Hirtenvölker und Nachhaltige Viehwirtschaft 2007.

Gura, S. (2008), Das Tierzucht-Monopoly. Die globalisierte Livestock Genetics“-Industrie verstärkt die Probleme der Tierproduktion, in: Der kritische Agrarbericht 2008.

Hunton, P. (2006), 100 Years of poultry genetics, in: World’s Poultry Science Journal, 62/2006.

Kagfreiland (2006), Hühnermist. Warum „kagfreiland“ fordert, das Freilandverbot für Geflügel sofort aufzuheben, Report Vogelgrippe.

Lorenzen, S. (2008), Evolution und Ausbreitung des Vogelgrippe-Virus H5N1 Asia sowie Aspekte der Biosicherheit, in: Tierärztliche Umschau 63/2008.

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5 Kommentare

daniel
vor 7 Jahre

Danke für den Artikel Martina, 5 Jahre ist dieser Artikel nun schon alt, geändert hat sich seither überhaupt gar nichts. So zumindest mein Gefühl, bitte korrigiert mich!

Danke für deinen Kommentar Florian, würde mich interessieren wo du einen Hof hast, würde sehr gerne Eier von dir beziehen. In der Migros zahle ich pro Bio Ei um die 80 Rappen, wäre also locker bereit mindestens so viel für ein wirklich nachhaltiges Ei zu bezahlen.

Seit dem kürzlich ausgestrahlten Kassensturz Bericht über das vergasen von männlichen Küken ist dieses Thema mal wieder aktuell aber keineswegs neu wie ich mit entsetzen herausfinden musste. Ich würde mir eine Art Webshop wünschen in welchem Landwirte ihre Produkte dem Endverbraucher direkt anbieten, neben den Grossverteilern vorbei. Müsste eigentlich eine Win/Win Situation sein.

florian
vor 8 Jahre

gutten tag ich halte 70 hühner darunter 14 hähne fiele dieser tiere sind aus natur bruten entstanden die eier verkaufe ich direkt ab hof da das aber nicht gut funkioniert verkaufe ich die eier auch noch in die bäckerei die werwenden die eier im lebensmittelladen zum direkt verkauf aber auch in der backstube sie bezahlen mir 0.45fr ab hof kosten die eier 0.50fr ich habe mahl nachgerechnet:
23 eier tag das macht järlich 8359 eier. an dieser mänge verdiene ich 3761.55 fr. ein tier frist jedes jahr 41kg mehl 41 kg mahl die anzal hühner (70)=2780kg järlich ein kg futter kostet ca 1fr. 3761.55-2780=981.55 also verdiene ich nicht mal 1000 fr im jahr

noch eine nebensächliche frage welche rasse ist die gluke auf dem bild?

martina
vor 13 Jahre

Danke für die Kommentare!

An Herbert: Ich schliesse mich deiner Empfehlung an: Fragen zu stellen ist wichtig (und auch spannend: Was wissen Kleinproduzenten und HändlerInnen eigentlich über „ihre“ genutzten Tiere? Ein Beispiel aus meinen Normandie-Ferien: Der Fischer, der 600 kg Schnecken aus dem Wasser zog, wusste nicht, wie lange diese Tiere am Land überleben. Der Verkäufer auf dem Markt wusste es: Drei Tage. So gesehen lagen sterbende Tiere auf seiner Auslage. Aber das ist wieder ein anderes Unterkapitel.)

Und ja, wir werden auch noch speziell und ausführlicher zur Hühnermast schreiben. Einen „Vorgeschmack“ auf das Thema findest Du in unseren beiden Beiträgen:

Herbert
vor 13 Jahre

Martina: gratuliere zu diesem ausgezeichneten Artikel! Da habe ich ein paar (leidige) Tatsachen dazugelernt … vermutlich schreibst du noch eine Ergänzung zur Hühnermast?

Daniel: ja, ich kenne Bio-Bauern, die das im Kleinmassstab nebenbei betreiben. Diese paar wenigen Eier gehen jedoch oft im Direktverkauf weg und landen nicht auf dem Markt: also am Marktstand fragen, das gibt ein bisschen Druck!

Daniel Andres
vor 13 Jahre

so, und nun möchte ich wissen, ob es überhaupt noch Bauern gibt, die z.B. auf dem Markt wirklich Eier von Hennen verkaufen, die nicht bloss Eierlege-Maschinen sind.

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