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Mensch & Tier

Endstation Veganismus: Warum das Ziel jederzeit ersichtlich sein muss

Der Tierethiker Jean-Claude Wolf hat für tier-im-fokus.ch (tif) einen provokativen Artikel verfasst. Darin erklärt er, weshalb wir einen Mittelweg brauchen zwischen traditionellem Tierschutz und der radikalen Forderung nach Abschaffung der Tierausbeutung. Wolfs Vorschlag: eine Moral des gut, besser, am besten. Was eine durchaus kontroverse Sache ist, wie der Kommentar von tif-Mitglied Urs Müller zeigt.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Der vorliegende Artikel ist ein Kommntar zu Jean-Claude Wolfs Traditioneller Tierschutz, radikaler Tierschutz und der ethische Meliorismus.

Weitere Kommentare gibt es von Sebastian Leugger, Martin Pätzold und Gary Steiner.

Die aktuelle Debatte in der Tierrechtsbewegung ist in vielerlei Hinsicht längst fällig und notwendig. Ein wichtiger und positiver Aspekt ist sicherlich, dass sich die Bewegung mittlerweile weitgehend einig darüber ist, was ihre Ziele sind, nämlich Schutzrechte für empfindungsfähige Tiere und die Abschaffung der Tiernutzung. Doch ein Konsens besteht nur in theoretischer Hinsicht, denn bezüglich der Praxis, der Frage nach der besten Strategie, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Bewegung gespalten.

Im Wesentlichen besteht diese Spaltung in der Uneinigkeit über die Frage, ob man die Abschaffung der Tiernutzung direkt fordern und nur Änderungen anstreben sollte, die der Tierindustrie tatsächlich schaden, oder ob man mittels den derzeitigen, in ihrer Wirkung aber umstrittenen Tierschutzreformen arbeiten sollte.

In diesem Kommentar möchte ich meine Sicht hinsichtlich dieser in Jean-Claude Wolfs Text Traditioneller Tierschutz, radikaler Tierschutz und der ethische Meliorismus diskutierten Debatte, insbesondere seine Thesen zum ethischen Meliorismus, kurz ausführen und einige Bemerkungen anfügen.

Die ethische Grundlage von Tierrechten

Es erscheint mir zunächst angemessen, Wolfs Unterscheidung zwischen der Strategie des Abolitionismus und derjenigen des Selbsteigentums von Tieren zu beurteilen. Was fordern diese konkret?

Der Abolitionismus fordert nicht die Verbesserung der Tiernutzung, sondern deren Beendigung, während laut Wolfs Unterscheidung die Strategie des Selbsteigentums von Tieren die Anerkennung aller empfindungsfähigen Tiere als Wesen, die sich selbst gehören, fordert. Das hat zur Folge, dass der Mensch kein Recht hat, diese für seine Zwecke zu gebrauchen, dass also jene Tiere Schutzrechte gegenüber dem Menschen haben.

Meiner Ansicht nach ist dieses Verständnis des Selbsteigentums von Tieren der ethische Unterbau des Abolitionismus. Der grundsätzliche ethische Gedanke besteht ja darin, dass empfindungsfähige Tiere, also Wesen mit einem subjektiven Wohlbefinden, als Wesen mit eigenen Interessen unsere Achtung verdienen und nicht ein Mittel für menschliche Zwecke sind. Die Ausweitung des Personenbegriffs auf solche Tiere bei Tierrechtsphilosophen wie Leonard Nelson oder Gary L. Francione, sowie das Subjekt-eines-Lebens-Kriterium von Tom Regan besagen im Grunde genau das.

Der Abolitionismus will den Eigentumsstatus von empfindungsfähigen Tieren abschaffen und fordert explizit die Anerkennung der Individualrechte dieser Tiere. Meiner Auffassung zufolge sind die Inhalte und Forderungen beider Strategien demnach so gut wie identisch und deshalb scheint es mir unnötig, eine solche Trennung vorzunehmen.

Das Ziel des ethischen Meliorismus

Gut, besser, am besten? © tier-im-fokus.ch (tif)

Mit dem ethischen Meliorismus ist die Strategie gemeint, eine moralische Stufenleiter einzuführen, wonach der strikte Dualismus der ethischen Werte „gut“ und „schlecht“ durch Abstufungen wie „gut, besser, am Besten“ erweitert wird.

Im Kontext der aktuellen tierrechtsstrategischen Diskussion verstehe ich als das zentrale Motiv von Wolfs ethischem Meliorismus die Infragestellung der Kompromisslosigkeit in Teilen der Tierrechtsbewegung, Zwischenstufen zum Veganismus als akzeptable Ziele zu halten. Dies führt, wie Wolf schreibt, zu einer Ablehnung durch die Gesellschaft, da diese radikale Forderung dem heutigen moralischen Common Sense widerspricht.

Im ethischen Meliorismus sieht Wolf nun einen möglichen Weg für die Tierrechtsbewegung, dieser Ablehnung zu entgehen. Ich erachte eine gewisse Rücksichtnahme auf den moralischen Common Sense strategisch als vorteilhaft, möchte jedoch einen Punkt betonen, der mir hierbei überaus wichtig erscheint. Das ist der Punkt der Zielsetzung.

Die Zielsetzung der Tierrechtsbewegung, also die Abschaffung der Tiernutzung, sollte notwendigerweise auch im ethischen Meliorismus elementar und klar ersichtlich sein. Damit, so habe ich es aufgefasst, ist auch Wolf einverstanden, wenn er schreibt, dass die ethische Stufenleiter und damit das Wissen um das „moralisch Beste“, also die vegane Lebensweise, bekannt sein muss und es die Aufgabe der Tierrechtler ist, den Menschen „den Weg vom Guten zum Bessern und Besten immer wieder klar vor Augen zu führen“.

Die praktischen Konsequenzen

Die Vorgehensweise des ethischen Meliorismus impliziert nun, dass der Veganismus zwar weiterhin das Ziel darstellt, aber der Weg dahin über die schrittweise Verminderung des Konsums von Tierprodukten laufen kann – dass es eben ein „gut, besser, am Besten“ des Konsumverhaltens gibt.

Im konkreten Falle eines Gesprächs mit einem Nicht-Veganer würde das bedeuten, dass man ihm das Ziel der veganen Lebensweise zwar klar vor Augen führt, ihm aber gleichzeitig nahe legt, sofern ihm der direkte Schritt zum Veganismus zu schwer erscheint (was bisher oft der Fall war), eine schrittweise Reduzierung des Konsums von Tierprodukten in Angriff zu nehmen. Dabei wäre es meiner Meinung nach von Vorteil, die Reduzierung schon mit dem Veganismus zu verbinden, zum Beispiel durch die Einführung einzelner veganer Wochentage.

Ich finde das Aufzeigen des „moralisch Besten“ auch deshalb notwendig, weil damit der moralische Common Sense der Gesellschaft für den Veganismus sensibilisiert wird, was eine Erweiterung in seine Richtung verbessert. Wenn man den Veganismus nur nebensächlich erwähnt und nicht stark fördert, dann werden die Vorurteile und die Ablehnung der Gesellschaft weiterhin bestehen bleiben.

Ziel der Tierrechtsbewegung ist schliesslich die Verankerung der Anerkennung der Tierrechte im moralischen Common Sense und nicht seine Destabilisierung und Zerstörung.

Ein geeigneter Weg zum Ziel

Die Aneignung der Strategie eines ethischen Meliorismus im Sinne Wolfs erscheint mir anhand der Gründe, die dafür sprechen, für die Sache der Tierrechtsaufklärung dienlich. An der ethischen Zielsetzung der Tierrechtsbewegung ändert diese Strategie aber nichts. Wolfs allgemeine Kritik an radikalen, ethischen „Alles oder Nichts“ Forderungen kann ich unterschreiben, auch wenn es Menschen gibt, bei denen solche direkten Forderungen erfolgreich sind. Aber das ist auch durch den ethischen Meliorismus nicht ausgeschlossen, denn das Ziel des „moralisch Besten“ ist jederzeit klar.

Sofern die vegane Lebensweise die notwendige Hervorhebung und Förderung durch den ethischen Meliorismus erhält, sehe ich darin eine geeignete Strategie. Denn sie wird den Grenzen der menschlichen Bereitschaft zur Veränderung gerecht; und sie obliegt auch nicht der Gefahr, auf dem Weg vom Ziel abzukommen. Man kommt letztendlich nur dann zum Ziel, wenn man den richtigen Weg einschlägt und nicht vor dem Ziel stehen bleibt.

Urs Müller ist Aktiv-Mitglied von tier-im-fokus.ch (tif) und studiert derzeit an der Uni Luzern Philosophie. Weitere Texte von ihm:

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