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Nutztierhaltung

Verwaiste Nachkommen auf Vorrat

Dass ihr Vater schon eine Weile tot ist, wenn sie zu Tausenden auf die Welt kommen, kann vorkommen. Und die Mutter nicht ihre leibliche ist ebenso. Ein Artikel von Klaus Petrus (tif) über künstliche Besamung und Embryotransfers.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Für 55 Franken inkl.

Dass ihr Vater schon eine Weile tot ist, wenn sie zu Tausenden auf die Welt kommen, kann vorkommen. Bereits wenige Minuten nach dem Akt, der auf einer künstlichen Sprungeinrichtung vollzogen wird, wird die Portion auf 196 Grad gekühlt. Und kann so nahezu beliebig lang gelagert werden.

In der Schweiz sind es momentan 9 Bullen, die das Sperma für die künstliche Befruchtung von rund 200.000 Kühen liefern. Voriges Jahr kam jeder von ihnen mindestens 10.000 Mal zum Einsatz, weitere 143 „Supermunis“ wurden zwischen 1.000 und 10.000 Mal benutzt. Insgesamt werden hierzulande jedes Jahr 600.000 Kühe künstlich besamt.

Die Handarbeit verrichten speziell ausgebildete Landwirte oder „Besamer“: Die Portion mit 12 Millionen befruchtungsfähigen Spermien wird vor Ort in 38 Grad warmem Wasser aufgetaut und mit einem Spezialinstrument durch die Vagina in die Gebärmutter der Kuh eingeführt. Im Schnitt kostet eine Besamung CHF 55.–, inklusive Anfahrt. Spermien, die künftige Milchkühe produzieren, sind teurer.

Kompetenzzentrum für leistungsfähige Spermien

Für Produktion, Lagerung und Vertrieb des Erbmaterials sorgt in der Schweiz Swissgenetics, eine Genossenschaft, die 2010 ihr 50-jähriges Jubiläum feierte. Mit Sitz im bernischen Zollikofen, bietet der Fachverband inzwischen mehr als 40 Rassen an und ist für vier Fünftel der Besamungen verantwortlich. Bestellungen können online aufgegeben werden, die Produkte sind in der „Stierengalerie“ einsehbar.

Fast eine Million Spermaportionen verkauft Swissgenetics im Jahr. Die Rendite hängt stark von der Qualität und Potenz der Bullen ab. Derzeit setzt das Unternehmen auf Savard, ein Red-Holstein-Stier, der nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit am meisten eingesetzt wird. Überhaupt kommt das Geschäft über die Landesgrenzen hinaus in Gang, 2009 wurde erstmals mehr exportiert als importiert. Nach Angaben von Swissgenetics geht mittlerweile jede dritte Samendose ins Ausland, 100.000 Portionen wurden allein in Polen abgesetzt.

ET für die Elite

Savard trägt in seinem Namen das Kürzel „ET“, es steht für Embryotransfer. Damit gehört er zur Elite. Der Stier war einst das Kalb einer Mutter, die als züchterisch besonders wertvoll galt. Das Prinzip ist simpel: Die befruchteten Eizellen der Kuh werden mit einem Schlauch herausgespült, bevor sie sich in der Gebärmutter einnisten können. Dann werden sie für den späteren Bedarf eingefroren oder aber direkt in eine „Leihmutter“ gepflanzt, die den Embryo auszutragen hat.

Auf diese Weise soll die Spenderkuh vor den Strapazen der Schwangerschaft verschont werden. Und lässt sich umso schneller wieder besamen. Man will von den besten Kühen mehr haben als das jährliche Kalb.

Auch in Sachen ET ist Swissgenetics im Geschäft. Das Unternehmen nahm 2009/10 rund 170 Transfers vor. Was vergleichsweise wenig ist, immerhin leben in der Schweiz fast 800.000 Kühe. Allerdings sei das ganze Drum und Dran mit bis zu 1.500 Schweizer Franken immer noch sehr teuer. Zudem ist nicht jede Kuh eine „Supermutter“ und nicht jede eignet zum Austragen. Manchmal ist der Gebärmutterkanal zu eng und der Embryo kann nicht eingesetzt werden. Nach zwei oder drei weiteren Fehlversuchen landen die Tiere in der Metzgerei.

Wohlbefinden im Minusbereich

Noch vor drei Jahrzehnten wurde den Kühen der Bauch aufgeschnitten, heute verläuft ein Embryotransfer klinisch rein. Das Prozedere scheint ihnen gleichgültig zu sein, Schmerzen haben sie keine, heisst es. Das könne man an Augen und Ohren ablesen.

Ähnlich keimfrei geht es auf den Besamungsstationen zu, wie schon Heini Hofmann in seinem Klassiker „Die Tiere auf dem Schweizer Bauernhof“ zu berichten wusste: „Willig lassen sich die kolossalen Genmaschinen im automatischen Bewegungskarussell der Besamungsstation an der Nasenringkette spazieren führen, um nachher in der Sprunghalle ebenso willig ein Phantom zu besteigen und einen vorgewärmten Kunststoffbeutel als Rindervagina anzuerkennen, um sich anschliessend, nach getanem Tagwerk, im Stall zur Ruhe zu bewegen.“

„Natürlich“ ist all das nicht, aber dafür normal für Wesen, deren Sinn es ist, optimal vertwertbare Nachkommen zu erzeugen. Dass sie nicht darunter leiden, keine Schmerzen haben und ihre Arbeit „willig“ verrichten, ist nicht bloss eine stilisierte, sondern gleichermassen verkürzte Sicht auf das viel zitierte Wohlbefinden der Tiere. Als gehörte ein natürliches Fortpflanzungsverhalten nicht genauso dazu wie ein intaktes Sozialleben. Das gilt nicht nur, aber im Besonderen für ausgeprägte Herdentiere wie Rinder es sind. Oder für Pferde, Schweine und Ziegen, bei denen die künstliche Besamung inzwischen ebenfalls an der Tagesordnung ist.

Seine „Gespielinnen“ bekommt der „gehörnte Freier“ jedenfalls nicht zu Gesicht, wie Hofmann sich ausdrückt. Dass ein derart massiver Eingriff ins Sexualverhalten dieser Tiere mit der Zerstörung sozialer Ordnungen Hand in Hand geht, scheint Teil der Verwertungslogik zu sein. Und trifft auch die Nachkommen: Um Einbussen in der Milchgewinnung zu verhindern, werden den Kühen ihre Kälber schon kurz nach der Geburt weggenommen. Dass die Jungen ein Swissgenetics-ET-Erzeugnis sind, ist dabei nebensächlich, sie sind ohnehin verwaist und kennen weder Vater noch Mutter.

Der Text ist erstmals erschienen in tif-Bulletin 1/2011.

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1 Kommentar

maro
vor 12 Jahre

die kühe werden vom sperma eines „supermunis“ künstlich besamt und diese kühe gebären dann, teilweise, wieder weibliche kühe (töchter) und genau diese töchter werden wieder mit dem gleichen sperma des selbigen „supermuni“ besamt !
Das ist gängige praxis und kultiviert inzest und inzucht ?!?

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