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Interview

„Die Zeichen der Zeit stehen auf vegetarisch“

Klimawandel, Abholzung von Regenwäldern, Überfischung der Meere, Übersäuerung des Bodens, Verbrauch grundlegender Ressourcen wie Wasser, Land und Energie: Unsere Ernährung hat verheerende Folgen für die Umwelt, ist immer häufiger zu lesen. Doch was steckt wirklich dahinter? Klaus Petrus von tier-im-fokus.ch (tif) im Gespräch mit dem Ernährungsexperten Markus Keller.

Text: Tier im Fokus (TIF)

KLAUS PETRUS: Der Treibhauseffekt, die Abholzung von Regen- und Mangrovenwäldern, ein gewaltiger Verbrauch an Landflächen, hohe Wassermengen, die benötigt werden. Und das alles wegen unserer Ernährung, ist immer häufiger zu lesen. Was hat Essen mit Ökologie zu tun?
MARKUS KELLER: Die Ernährungsweise, die wir in den Industrieländern praktizieren, hat weitreichende globale Auswirkungen, insbesondere auf die Umwelt. So entfallen in einem durchschnittlichen deutschen Haushalt etwa 20 Prozent der Treibhausgas-Emissionen auf den Ernährungsbereich. Fast die Hälfte davon stammt aus der landwirtschaftlichen Produktion tierischer Lebensmittel. Auch in anderen Bereichen sind es vor allem die tierischen Lebensmittel, die einen hohen Ressourcenverbrauch und damit ökologische Schäden verursachen.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel. Es gibt Berechnungen, denen zufolge für ein Kilogramm Rindfleisch bis zu 15.000 Liter Wasser benötigt werden. Das ist eine schier unvorstellbare Menge! Wie kommen diese Berechnungen eigentlich zustande?
Den Berechnungen zum Wasserverbrauch von Lebensmitteln (und auch von Konsumgütern) liegt das Konzept des „virtuellen Wassers“ zugrunde. Dabei wird in einer umfassenden Bilanz ermittelt, welche sichtbare und – auf den ersten Blick – unsichtbare Wassermenge tatsächlich pro Produkt insgesamt verbraucht wird.

Im Falle von Rindfleisch ergibt sich der Wasserverbrauch somit nicht nur aus dem Trinkwasser der Tiere, sondern auch aus dem Niederschlag und der Bewässerung der Felder und Wiesen, auf denen die Futterpflanzen für die Rinder angebaut werden.

In einem erweiterten Ansatz wird auch das Wasser eingerechnet, das im weiteren Produktionsprozess anfällt, beispielsweise für die Reinigung während Schlachtung und Verarbeitung. Von den etwa 15.000 Litern Wasserverbrauch für ein Kilo Rindfleisch entfallen fast 99 Prozent auf den Futtermittelanbau.

Häufig werden konventionelle Produktionsweisen mit dem ökologischen Landbau verglichen. Dabei soll „Bio“ in ökologischer Hinsicht besser dastehen. Trifft das in dieser Allgemeinheit tatsächlich zu?
Der ökologische Landbau ist eine ressourcen- und umweltschonende Art der Landwirtschaft. Dabei werden möglichst geschlossene Stoff- und Energiekreisläufe angestrebt und der Einsatz externer Produktionsmittel, wie chemisch-synthetische Pflanzenbehandlungsmittel und synthetische mineralische Stickstoffdünger, ist weitgehend untersagt.

In der Tierhaltung werden möglichst betriebseigene Futtermittel eingesetzt, wodurch die Bestandsgrößen flächengebunden und dem Standort angepasst sind. Rückstände aus chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln bzw. Nährstoffüberschüsse aus Gülle gelangen so nicht in die Umwelt.

Bei der Emission von Treibhausgasen schneidet der ökologische Landbau meist besser ab als vergleichbare konventionelle Systeme, beispielsweise aufgrund des geringeren Einsatzes von fossilen Energieträgern, die u.a. für die Herstellung von synthetischen Pflanzenschutzmitteln und Stickstoffdüngern verbraucht werden. Auch der geringere Tierbesatz pro Flächeneinheit verringert den Ausstoß von Klimagasen.

Allerdings gibt es auch Zielkonflikte. So können durch die Steigerung der Tierleistung die Treibhausgas-Emissionen pro Kilogramm Endprodukt, wie Fleisch und Milch, verringert werden. Die Haltung von Rindern und Schweinen auf Vollspaltenböden weist gegenüber ökologischen Systemen mit Einstreu deutlich geringere Emissionswerte, insbesondere aus Lachgas, auf. Beides kollidiert jedoch mit Tierschutzaspekten, die den Klimaschutzzielen keinesfalls untergeordnet werden sollten.

Es gibt immer mehr Studien, die unterschiedliche Ernährungsstile miteinander vergleichen. Der Fleischkonsum steht, auch in ökologischer Hinsicht, besonders in der Kritik. Was ist eigentlich mit Milch und Milchprodukten? Wie sieht deren Öko-Bilanz aus?
Gut untersucht sind auch hier wieder die Emissionen der Treibhausgase. Da Milchprodukte von Wiederkäuern stammen, ist die Herstellung mit dem Ausstoß von Methan verbunden. Das Gas entsteht im Verdauungssystem (Pansengärung) der Tiere und wird außerdem aus dem Wirtschaftsdünger (Gülle, Mist) freigesetzt. Methan ist etwa 25-mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid.

Je stärker Milchprodukte im Verarbeitungsprozess konzentriert werden, umso größer wird der „Treibhausgas-Rucksack“. Pro Kilogramm Milch fallen etwa 900 Gramm CO2-Äquivalente an, bei Quark und Frischkäse sind es bereits 1,9 Kilogramm, bei Sahne 7.6 und bei Butter 23.8 Kilogramm. Die relativ energieaufwändige Margarine verursacht im Vergleich dazu lediglich 750 Gramm CO2-Äquivalente pro Kilogramm.

Dann wäre es also am besten, wenn wir uns vegan ernähren würden?
Aus ökologischer Sicht ist eine vegane Ernährungsweise mit den geringsten Umweltbelastungen verbunden. Allerdings gibt es gerade auch vegane Lebensmittel, die sehr stark verarbeitet sind und daher einen hohen Ressourcen- und Energieaufwand erfordern. Ich denke hier vor allem an die immer bunter werdende Palette der rein pflanzlichen Fleisch-, Milch- und Käsealternativen. Empfehlenswert ist, diese Produkte in Maßen zu verzehren und ökologisch erzeugte Varianten zu bevorzugen.

Das ist die ökologische Perspektive. Wie sieht es ernährungswissenschaftlich aus? Häufig wird die vegane Ernährung ja als „Mangelernährung“ dargestellt.
Die wissenschaftlichen Daten zeigen, dass mit einer gut zusammengestellten rein pflanzlichen Lebensmittelauswahl der Nährstoffbedarf – mit Ausnahme von Vitamin B12 – in allen Lebensabschnitten ausreichend gedeckt werden kann.

C. Leitzmann & M. Keller, Vegetarische Ernährung, Stuttgart: Ulmer Verlag 2010, 366 S., ca. CHF 35.–

Allerdings zeigen Studien, dass ein Teil der Veganer auch mit anderen potentiell kritischen Nährstoffen unzureichend versorgt ist. Vegan lebende Menschen sollten sich deshalb gut informieren und Ernährungsberatung von fachlich kompetenten Ökotrophologen bzw. Ernährungswissenschaftlern in Anspruch nehmen. Besonders wichtig ist das in Zeiten erhöhten Nährstoffbedarfs, wie Schwangerschaft, Stillzeit und Kindheit.

Demgegenüber weisen Veganer ein deutlich geringeres Risiko für zahlreiche ernährungsassoziierte Krankheiten, wie Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf als die Durchschnittsbevölkerung. Meist schneiden sie noch etwas besser ab als die Lakto-Ovo-Vegetarier.

Sie haben die Vitamin-B12-Versorgung angesprochen. Was hat es damit auf sich?
Tatsächlich ist Vitamin B12 der kritische Nährstoff bei veganer Ernährung und erfordert besondere Beachtung. Da mit einer Ernährung, die ausschließlich aus pflanzlichen Lebensmitteln besteht, keine sichere Vitamin-B12-Versorgung erreicht werden kann, müssen vegan lebende Menschen das Vitamin supplementieren. Das kann über entsprechend angereicherte Lebensmittel – von denen gibt es allerdings auf dem deutschen Markt nur wenige – und vor allem über Nahrungsergänzungsmittel, wie Vitamin-B12-Tabletten oder -Tropfen erfolgen. Die angeblich geeigneten Vitamin-B12-Quellen wie Sauerkraut, fermentierte Sojaprodukte, Spirulina, Sanddorn, Bier oder die eigene Darmflora, sind bestenfalls sehr unsichere Lieferanten der für den Menschen geeigneten Form des Vitamins.

Wäre es denn überhaupt möglich, die Weltbevölkerung vegan zu ernähren?
Das ist eine sehr wichtige Frage, die derzeit noch kontrovers diskutiert wird, die wir aber in unserem Institut genauer untersuchen werden. Trotzdem können wir die Antwort bereits jetzt ungefähr einschätzen.

Im Jahr 2009 betrug die Weltgetreideernte etwa 2.5 Milliarden Tonnen bei einer Weltbevölkerung von fast 7 Milliarden Menschen. Rein rechnerisch standen damit jedem Erdenbürger etwa ein Kilogramm Getreide pro Tag zur Verfügung. Ein Kilogramm Getreide enthält etwa 3.300 Kilokalorien (kcal) und rund 90 Gramm (g) Protein. Beide Werte liegen deutlich über der in Deutschland, Österreich und der Schweiz empfohlenen Tageszufuhr für normalgewichtige Erwachsene mit entsprechender körperlicher Aktivität von 2.300 kcal für Frauen und 2.900 kcal für Männer bzw. 50 g Protein für Frauen und 60 g Protein für Männer.

Das bedeutet, mit Getreide allein wäre bereits eine mehr als ausreichende Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsenergie und Protein möglich. Da Getreide weltweit nur etwa die Hälfte der Gesamtnahrungszufuhr darstellt, wäre es durchaus möglich, die doppelte Anzahl an Menschen ausreichend mit Nahrung zu versorgen. Die andere Hälfte der Lebensmittel besteht aus Hülsenfrüchten, Kartoffeln und anderen Stärkeknollen, Nüssen, Ölsamen, pflanzlichen Ölen, Gemüse und Obst sowie allen Produkten vom Tier. Die tierischen Produkte haben übrigens an der Versorgung der Weltbevölkerung nur einen Anteil von weniger als einem Fünftel.

Rein rechnerisch ist eine Ernährung der Weltbevölkerung auf veganer Basis somit bereits mit den heute verfügbaren Erntemengen mehr als möglich. Allerdings ist die Realität wesentlich komplexer als unser Rechenbeispiel, unter anderem wegen der Ver(sch)wendung von Getreide zur Fütterung in der Massentierhaltung und der Verfügbarkeit und Verteilung von Lebensmitteln in den einzelnen Weltregionen.

Zurück zur Realität. Wenn es um eine Veränderung unseres westlichen Ernährungsstils geht: Wo liegt der grösste Handlungsbedarf?
Wir müssen vor allem unseren viel zu hohen Konsum tierischer Lebensmittel reduzieren. Wir brauchen einen nachhaltigen Ernährungsstil und das bedeutet schlichtweg eine überwiegend pflanzliche Ernährungsweise mit frischen, naturbelassenen Lebensmitteln, die möglichst aus ökologischer Erzeugung stammen.

Derzeit wird wenn überhaupt vor allem über die ökologischen Auswirkungen unserer Ernährungsgewohnheiten diskutiert. Wie wichtig sind dabei auch andere Gesichtspunkte, wie etwa die tierethische Perspektive? Immerhin steht am Anfang des Problems unser Umgang mit den Tieren.
Wenn tierethische Aspekte bei den Menschen im Vordergrund stehen würden, wäre die Welt schon längst vegan oder zumindest vegetarisch. Leider ist das aber bei den wenigsten Menschen der Fall, denn beim eigenen Teller hört die Verantwortung auf, respektive endet das Gewissen. Angesichts der über 50 Millionen Tiere – Fische und andere Meerestiere nicht mitgerechnet –, die jedes Jahr allein in der Schweiz zu Ernährungszwecken geschlachtet werden, stellt dies eine unglaubliche Verdrängungsleistung dar.

Manchmal sieht es so aus, als würden sich fast alle um nachhaltige Ernährung kümmern: Tierschutz ist Umfragen zufolge den allermeisten ein wichtiges Anliegen, aber auch Bio und Fairtrade spielen eine Rolle. Sie haben es eben schon angedeutet: Die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Sind Sie dennoch optimistisch, dass sich in dieser Hinsicht in absehbarer Zukunft etwas ändern wird?
Auf jeden Fall! Es ist zwar sehr bedauernswert, wie weit die von Verbrauchern geäußerten Bekundungen und das tatsächliche Konsumverhalten noch immer auseinander liegen. Dennoch: In Deutschland sinkt der Fleischkonsum seit Mitte der 1980er Jahre und eine fleischfreie Lebensweise gilt inzwischen zumindest in den Städten, vor allem bei jungen Menschen, Frauen und gehobenen Bildungsschichten, als gesund und trendy.

In einer aktuellen Emnid-Umfrage sagten 51 Prozent der 1.002 Befragten, dass sie in Zukunft weniger Fleisch essen wollen. Angesichts des steigenden Fleischhungers in den aufstrebenden Schwellenländern wie China und Brasilien ist es auch mehr als geboten, dass wir in den westlichen Wohlstandsländern mit gutem Beispiel vorangehen und unseren Fleischkonsum deutlich einschränken. Die Zeichen der Zeit stehen auf vegetarisch – auch wenn noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist.

Markus Keller (geb. 1966), ist promovierter Ökotrophologe und Leiter des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung (Ifane) in Gießen. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit sind die Themen alternative Ernährungsformen, Vegetarismus sowie nachhaltige Ernährung; dazu zahlreiche Vorträge, Seminare, Interviews und Veröffentlichungen. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Vegetarierbund Deutschland. Anfang 2010 ist sein neues Fachbuch „Vegetarische Ernährung“ (Co-Autor Prof. Claus Leitzmann) im UTB-Verlag erschienen.

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5 Kommentare

Lendle Gabriele
vor 12 Jahre

tolles Interview mit guten Informationen ! Danke. Die Sache mit dem B12 Mangel ist ernst zu nehmen. Ich hatte die B12-Zufuhr anfangs als Veganerin vernachlässigt und hatte einen gewaltigen Mangel bekommen…., der allerdings ganz leicht wieder behoben werden kann. Wichtig ist, daß man es unbedingt untersuchen lässt.

Adriano
vor 12 Jahre

Jean Ziegler sagt es: „Jedes Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.“ Menschenmord durch Tiermord.

Dagmar Oest
vor 12 Jahre

„Rein rechnerisch ist eine Ernährung der Weltbevölkerung auf veganer Basis somit bereits mit den heute verfügbaren Erntemengen mehr als möglich“. So gesehen ist die heutige, omnivore Ernährung ein Verbrechen an allen Hungernden dieser Welt!

Dagmar Oest
vor 12 Jahre

„Rein rechnerisch ist eine Ernährung der Weltbevölkerung auf veganer Basis somit bereits mit den heute verfügbaren Erntemengen mehr als möglich“. So gesehen ist die heutige, omnivore Ernährung ein Verbrechen an allen Hungernden dieser Welt!

Dagmar Oest
vor 12 Jahre

„Rein rechnerisch ist eine Ernährung der Weltbevölkerung auf veganer Basis somit bereits mit den heute verfügbaren Erntemengen mehr als möglich“. So gesehen ist die heutige, omnivore Ernährung ein Verbrechen an allen Hungernden dieser Welt!

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