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Nutztierhaltung

Wenn Weibchen Männchen machen: Elefanten in der Manege

In Sachen Tierhaltung gilt der Circus Knie als vorbildlich und fortschrittlich. Vorbei sind die Zeiten, als z.B. die Elefanten über Stunden angekettet wurden und in der Manege den Handstand machen mussten. Heute setzt man auf "sanfte, artgerechte" Dressur, heisst es. Die Realität ist aber oft eine andere. Von Roger Furrer und Klaus Petrus (tif).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Vorbildlich und fortschrittlich

In Sachen Tierhaltung gilt der Knie, Nationalzirkus der Schweiz, als vorbildlich, wie der Zirkusbericht 2010 des Schweizer Tierschutz STS festhält: Unter den Voraussetzungen eines fahrenden Unternehmens biete er den Tieren „möglichst optimale Bedingungen“, zudem sei der Zirkus bestrebt, „neue Erkenntnisse in der Tierhaltung umzusetzen“.

Damit spielt der STS u.a. auf die Haltung der Asiatischen Elefanten an. Noch 2004 hielt die Tierschutzorganisation in einem Report fest, dass sie 20 Stunden am Tag im Stall eingesperrt seien, davon 15 Stunden mit Ketten an den Füssen. Heute ist das anders: Aus dem Stall ist ein grossräumiges, helles Zelt geworden, die Tiere werden nur noch 20 Minuten täglich zur Pflege angekettet.

Vorbei auch die Zeiten, als die Dickhäuter in den einarmigen Handstand gingen oder den Kopfstand machten: „Das hat sich alles weiter entwickelt“, sagt Franco Knie, Technischer Direktor des Unternehmens, in einer DVD von NZZ Format über Zirkustiere aus dem Jahr 2007: „Ich versuche jetzt mehr die Schönheit der Tiere zu zeigen, die Harmonie, die Arbeit zwischen Mensch und Tier.“ Er wolle keine Sachen mehr machen, die das Tier überfordern. Wie zum Beispiel den Kopf- oder Handstand. [1]

Artgerechte Dressur

Tatsächlich ist man sich darin inzwischen weitgehend einig: Solche Turnübungen sind mit einer „sanften“ Dressur nicht zu haben. Zudem können sie zu Gelenkschäden oder Verletzungen der Tiere führen. Alles in allem seien diese Darbietungen einfach nicht „artgerecht“: Kein Elefant macht normalerweise und aus freien Stücken den Handstand, ein solches Verhalten gehört nicht ins natürliche Repertoire der Tiere.

Besonders neu sind diese Einsichten nicht, sie lassen sich bequem in einem Wildtier-Lexikon nachschlagen. Das weiss auch der Circus Knie. Auf seiner Website definiert er Artgerechtheit als eine Form der Tierhaltung, die sich „an den natürlichen Lebensbedingungen der Tiere orientiert und ihnen somit ermöglicht, natürliche Verhaltensweisen beizubehalten“. Damit dies gewährleistet ist, leistet sich das Zirkusunternehmen einen Fachmann der besonderen Sorte: „Der Circus Knie ist der einzige Zirkus mit einem Kurator“, hebt Knie hervor. Zur Zeit hat Kurt Müller dieses Amt inne, er kümmert sich ums Tiermanagement und berät das Unternehmen in ernährungsphysiologischen und verhaltensbiologischen Fragen.

Dass gerade Wildtiere wie Elefanten für den Zirkus eine besondere Herausforderung sind, weiss Müller nur allzu gut: „Es gibt in der Elefantenhaltung natürlich Defizite.“ Die versuche man aber zu eliminieren. Wichtig ist dabei offenbar auch eine fach- und artgerechte Dressur: Man will den Tieren kein Verhalten aufzwingen, das sie von Natur aus nicht zeigen.

So tönt es bei vielen Zirkusunternehmen. Die Realität ist, schaut man genauer hin, oft eine andere.

Männchen machen im Reich der wilden Tiere

An der diesjährigen Generalprobe präsentierte der Knie einen Elefanten, der auf einem Podest „Männchen macht“. Die Berner Zeitung (BZ) berichtete über das Ereignis und titelte sinnreich: „Schwere Nummer“. [2] Die Frage, ob diese Dressur „artgerecht“ ist, beantwortet Müller gegenüber tier-im-fokus.ch (tif) mit einer Fotografie eines ostafrikanischen Elefanten, der sich auf seine Hinterbeine stellt und mit dem Rüssel einen Ast ergreift.

Solche Bilder findet man auch in Fachbüchern, sie sollen dokumentieren, dass sich männliche Elefanten in der freien Wildbahn auf diese Weise Zugang zu saftigen Blättern oder Früchten eines höher gelegenen Astes verschaffen. Andere bekannte Abbildungen zeigen Bullen während der Paarung, bei der sie sich ebenfalls auf die Hinterbeine stellen. Dass diese Form von „Männchen machen“ im natürlichen Verhaltensrepertoire der Tiere angelegt ist, scheint demnach erwiesen. Und wollte wohl auch Kurator Müller mit seiner Fotografie belegen.

„Hoch die Beine, Delhi, hoch!“

Mit der Zirkuswelt hat das allerdings nichts zu tun, und zwar aus einem einfachen Grund: Während es für Bullen zumindest nicht unüblich ist, sich unter natürlichen Bedingungen kurz auf die Hinterbeine zu stellen, ist das bei Elefantenkühen ganz anders, denn ihnen behagt das „Männchen machen“ offenbar gar nicht: „Normalerweise beherrschen weibliche Elefanten dieses Kunststück nicht“, sagt Georges Frei von Elefanten in Zoo und Zirkus. Zwar konnte er schon beobachten, wie sich jüngere Weibchen manchmal an einen Stein abgestützt auf die Hinterbeine stellen, um einen Ast zu erreichen. Ausgewachsene Elefantenkühe würden im Gegensatz zu den Bullen aber nicht „hochgehen“. Frei spricht aus Erfahrung, er war jahrelang Elefantenpfleger im Zoo Zürich. Und hat früher selbst beim Circus Knie gelernt, wie man weiblichen Elefanten das „Männchen machen“ beibringt.

Wenn es ums natürliche Verhalten geht, macht also das den Unterschied: Ob tatsächlich Männchen „Männchen machen“ oder Weibchen dazu gezwungen werden.

Der Elefant auf Müllers Fotografie ist freilich ein Bulle, was sich am Verhältnis der Länge der Stosszähne zur Körperlänge zeigt, wie Georges Frei sagt. In Knies Manage dagegen gibt es schon seit Mitte der 1980er Jahren keine männlichen Elefanten mehr. Das räumt auf Nachfrage auch der Kurator ein: Der Elefant, der für Knie das Männchen macht, ist eine Dame, sie heisst Delhi und stammt ursprünglich aus Hannover. Dass sich, wie Frei berichtet, manchmal weibliche Jungelefanten abgestützt auf die Hinterbeine stellen, ist dabei nebensächlich, denn Delhi ist nicht bloss kein Bulle, sondern bereits 42 Jahre alt.

Zum Plausch des Publikums und zum Wohl der Tiere?

Artgerecht ist diese Nummer also nicht, selbst an Knies eigenen Ansprüchen gemessen. Dass bei der Rechtfertigung von Dressuren zwar das natürliche Verhalten der Tiere als Massstab herbei zitiert wird, zugleich aber längst verfügbare wissenschaftliche Einsichten ignoriert werden, mag erstaunen und an der Glaubwürdigkeit zweifeln lassen.

Es zeigt aber auch, wie schillernd und unbestimmt letztlich Begriffe wie „artgerecht“ sind. Was heute noch als artgerecht verteidigt wird, lässt sich vielleicht schon in der kommenden Saison auch mit Biegen und Brechen nicht mehr rechtfertigen. So ist es noch nicht lange her, als beim Circus Knie Elefanten auf einem Podest sitzend in eine Mundharmonika bliesen. So etwas würde man heute nicht mehr anbieten.

Ein Fortschritt auf dem Weg zum Wohle der Zirkustiere? Diese Frage voreilig zu bejahen, könnte von Grundsätzlichem ablenken: Gehören Tiere in den Zirkus? Die Tierhaltung im Zirkus sei „ein ständiges Ringen um eine laufende Verbesserung“, räumt zwar auch der Knie ein. Daraus aber den Schluss ziehen, dass sich Tiere dort niemals richtig wohl fühlen können, sei falsch. Nicht zu reden von Forderungen nach einem „Zirkus ohne Tiere“. Den Slogan „Artgerecht ist nur die Freiheit“ empfindet man als zu emotional, zu radikal. Und umgeht damit die Frage, was Tiere eigentlich in der Manege noch verloren haben.

Diese Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts aufzuwerfen und offen zu diskutieren, hat aber nichts Subversives an sich. Das gehört einfach zu einer moralischen Güterabwägung, die in anderen Bereichen gang und gäbe ist: Hier die Beeinträchtigung des Wohlergehens von Lebewesen, dort unser kurzer Plausch, den wir uns auch anders holen können. Ist das fair?

Mögen Zirkusunternehmen, wenn es um die Haltung ihrer Tiere geht, nach wie vor von Spezialgesetzen profitieren, in moralischen Dingen darf die Manege nicht zum Sonderfall werden. Zauber hin, Zauber her.

Fussnoten:

[1] Zirkustiere, NZZ Format 2007 (DVD, ca. 70 Min.). Der Text zum Film lässt sich hier nachlesen.

[2] Quelle: Berner Zeitung (BZ), Freitag, 25. März 2011, S. 40.

Asiatische Elefanten

Gewicht
männlich: bis 5.800 kg
weiblich: bis 5.000 kg

Geschlechtsreife
in Freiheit: 8-15 Jahre
in Gefangenschaft: ab 4 Jahren

Tragezeit: durchschnittlich 22 Monate

Säugezeit: 2-3 Jahre

Lebenserwartung
in Freiheit: 40-60 Jahre
in Gefangenschaft:
als „Wildtier“ importiert: 50-80 Jahre
als „Arbeitselefant“: ca. 42 Jahre
im Zoo geboren: ca. 19 Jahre

Bestand Asiatischer Elefanten
in Freiheit: 35.000
in Gefangenschaft:
als „Arbeits- oder Touristenelefanten“: 15.000
in europäischen Zoos, Parks und Zirkussen: 450

Quellen: Elefanten in Zoo und Zirkus // Elefanten-Schutz Europa e.V. // Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. // tierportraet.ch // Spiegel Online

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