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Rezension

„Vom Frosch“ (Bernd Hüppauf)

Manchmal ein verwunschener Prinz, manchmal des Teufels, ein andermal ein Forschungsobjekt und dann wiederum ein schrilles Werbesujet für die ökologische Ethik. Der Germanist Bernd Hüppauf hat dem Frosch eine 400-seitige Kulturgeschichte gewidmet. Und Klaus Petrus von TIF hat sie gelesen.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Bernd Hüppauf, Vom Frosch, Bielefeld 2011, ca. CHF 22.– Manchmal ein verwunschener Prinz, manchmal des Teufels, ein andermal ein Forschungsobjekt par excellence oder ein schrilles Werbesujet für die ökologische Ethik, aber immer vom Menschen bedroht: Bernd Hüppauf hat eine 400-seitige Kulturgeschichte des Froschs geschrieben. In vier umfangreichen Kapiteln zeichnet der emerierte Germanist von der New York University Bilder von diesem Tier, wie sie über die Jahrhunderte hinweg namentlich in der westlichen Theologie, Magie, Literatur und Wissenschaft entworfen wurden. Dass der Frosch Symbol der Verbundenheit zwischen Mensch und Tier ist und zugleich Abwehr – ja, sogar Ekel – erzeugt, zieht sich wie ein roter Faden durch dieses quellenreiche Buch.

Zwischen Verteufelung und alchemistischer Verzauberung

So galten Frösche und Kröten im Mittelalter als Inbegriff des „Bösen“, denn sie waren nicht bloss kalt und glitschig, sondern lebten im trüben, dunklen Sumpf, sie mieden also das „göttliche Licht“ und stanken zudem „höllisch“ nach Schwefel (61ff.). Auch die christliche Theologie verteufelte die Frösche, ihre Fruchtbarkeit und Fähigkeit zur Verwandlung stand für die sündhafte Versuchung schlechthin – nicht so in Ostasien, wo der Frosch gerade ob seiner Fruchtbarkeit seit jeher als Tier des Glücks und des Geldes gilt oder im alten Ägypten, wo das massenhafte Auftreten der Tiere im Frühjahr als eine Art „Auferstehung“ gedeutet wurde (31ff.). Dem christlichen Konstrukt vom „Untier“ stand indes schon früh ein Volksglaube gegenüber, der den Fröschen durchaus magische Kräfte zutraute. Sie galten zwar weiterhin als hässlich und wurden teils sogar gefürchtet, was ihrer alchemistischen Verwendung aber keineswegs im Wege stand: Mit dem Fett von Fröschen, so glaubte man, konnte man den Feind erblinden lassen, ihre Haut half gegen Rheuma, ihr Laich gegen Ausschlag und ihre Schenkel band man den Kindern um, wenn sie zahnten. Auch konnten sie, an die Türen genagelt, zu Schutzgeistern von Haus und Vieh werden.

Die Zähmung des Froschs in Literatur und Forschung

Derlei Stilisierungen findet Hüppauf auch in der Literatur, die über weite Strecken aber gerade darauf angelegt ist, das Böse, Hässliche und zugleich Magische am Frosch zu entzaubern – und das nicht bloss im berühmten Märchen der Gebrüder Grimm, wo sich der Königssohn mit den „schönen und freundlichen Augen“ der Prinzessin offenbart, nachdem er von ihr – als Frosch – an die Wand geworfen wird. Zwar mag bisweilen das Magische wiederkehren, wie etwa in Patrick Süskinds Das Parfum, dessen Held namens Grenouille alle Eigenschaften einer „Froschfigur“ aufweise. Zur Hauptsache gehe es in der Literatur seit der Frühen Neuzeit aber um eine didaktisierende „Zähmung“ des Frosches mitsamt seinen Mythen (138). Für eine solche Zivilisierung findet der Autor allenthalben Belege, so auch im Buch Die Blechtrommel von Günther Grass, das insofern ein „Romanfrosch“ sei, als der Held Oskar Matzerath zumindest ein Frosch sein „könnte“. Wesentlich mehr Quellen bietet die Wissenschaftsgeschichte, die Hüppauf gekonnt zu einem Bild des Froschs als zerlegbares Forschungsobjekt verdichtet, das auch dann noch zu leben scheint, wenn ihm längst die Haut vom Leib gezogen wurde (230ff.). Für die Erforschung der Elektrizität – vom Anatomen Luigi Galvani um 1780 eher zufällig in Gang gesetzt – war der „Laborfrosch“ ein besonders verheissungsvolles Modell und passte bestens ins Konzept eines cartesisch-mechanistischen Weltbildes, das in vielerlei Hinsicht bis heute andauert. So wurde vor einigen Jahren an der Hiroshima Universität der durchsichtige und farbig leuchtende „Glasfrosch“ präsentiert, an dem sich die Entwicklung der Organe und die Wirksamkeit von Chemikalien bequem beobachten lässt – ein weiteres Erzeugnis einer Wissenschaft, welche „die Tradition der Herrschaft über die Natur, die sich durch keine Ethik einschränken lässt, unbeeindruckt fortsetzt“ (288f.).

Der Frosch und die Fundamentalökologie

Genau gegen dieses „Nützlichkeitsdenken“ schreibt Hüppauf in seinem letzten Kapitel an, das die Überschrift „Der Ökofrosch“ trägt und durchaus philosophische Züge aufweist. Im Wesentlichen plädiert er für eine Fundamentalökologie, die den Anthropozentrismus endgültig hinter sich lässt (312ff.). Darunter fasst er auch all jene tierethischen Ansätze, die manche nicht-menschliche Tiere deswegen moralisch höher bewerten, weil sie über bestimmte kognitive Eigenschaften wie z.B. Bewusstsein verfügen. Auf diese Weise würden sie „wie Menschen“ behandelt, was jedoch kein Schritt in Richtung Emanzipation des Tieres sei, „sondern der Höhepunkt des Anthropozentrismus“ (307). Stattdessen, so Hüppauf, gelte es, Natur und Tiere vom menschlichen Nutzungsanspruch zu befreien; das allerdings würde von uns eine „veränderte mentale Einstellung“ erfordern (312). Konkret meint der Autor ein anderes Verhältnis zum Körper oder zur Leibhaftigkeit, die der Mensch auch mit dem Frosch – so unähnlich sie einander sein mögen – teilt. Damit gesellt sich Hüppauf zu den VertreterInnen der „somatischen Ethik“ (316) und redet einer besonderen Form der Empathie das Wort, mittels derer wir das Innenleben der Anderen nachvollziehen können, so wir nur in der Lage sind, ihre körperlichen Bewegungen nachzuvollziehen.

Von Spiegelneuronen und somatischer Ethik: ein zu grosses Projekt?

Mit Hüppaufs Buch hat der Frosch endlich seine Kulturgeschichte erhalten, die reich an Daten, Geschichten und bisweilen auch Assoziationen ist. Am Ende steht das Faktum, dass gegenwärtig infolge der Umweltzerstörung weltweit ganze Froschpopulationen aussterben. Ob es Hüppauf – wie er dies in Aussicht stellt – gelingt, mit dieser Kulturgeschichte eine Ethik anzustossen, welche die Frage nach der Zukunft der Natur ins Zentrum rückt, ist indes zu bezweifeln. Dafür müsste seine „Fundamentalökologie unter besonderer Berücksichtigung von Frosch und Kröte“ (312) im Detail ausgearbeitet werden und z.B. gegen bisherige biozentrische oder radikal physiozentrische Positionen abgegrenzt werden. Auch die für seinen Ansatz offenbar zentrale Idee einer Empathie, die im „Verstehen des Körpers“ (323) besteht, bleibt letztlich zu vage. Zwar beruft sich Hüppauf auf die inzwischen modische Theorie der Spiegelneuronen, um unsere Empathiefähigkeit biologisch-organisch zu fundieren. Inwieweit dieser Rückgriff aber noch im Einklang mit seiner nicht minder zentralen Überzeugung steht, dass sich die „Verantwortung für die Natur nicht durch Biologie begründen“ lässt (317), ist unklar. Zu einem Advokaten von Fröschen und Kröten kann man freilich auch ungeachtet philosophischer Ungereimtheiten werden.
Bernd Hüppauf hat in Würzburg, Göttingen und Tübingen Germanistik, Philosophie und Geschichte studiert und mit einer Arbeit über Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ promoviert. Diverse Gastprofessuren in Deutschland und den USA, ab 1993 Professor für Germanistik an der New York University und Herausgeber u.a. von Frosch und Frankenstein (2008). Ein Video-Interview mit Hüppauf zum Buch findet sich hier.
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