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Rezension

„Die Essensvernichter“ (Stefan Kreutzberger & Valentin Thurn)

Stefan Kreutzberger und Valentin Thurn haben weltweit recherchiert und sind in ihrem Buch "Die Essensvernichter" zum Schluss gekommen: Rund die Hälfte aller Lebensmittel landet im Müll. Für die beiden Journalisten ist der Fall klar: Ernährung darf nicht länger Privatsache sein, sie muss schleunigst zum Politikum werden. Eine Rezension von Tobias Sennhauser (tif).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Stefan Kreutzberger und Valentin Thurn, Die Essensvernichter, Köln 2011, ca. CHF 19.–

50 Prozent aller Lebensmittel landen im Müll, behaupten Stefan Kreutzberger und Valentin Thurn. Diese Nahrungsmittelverschwendung sei ein riesiger energetischer Unsinn. Für sie ist deshalb klar: „Essen ist keine Nebensache“, sondern muss dringend zum Politikum werden. Das Autoren-Duo liefert in ihrem 2011 erschienen Werk Die Essensvernichter Fakten und Folgen eines Wirtschaftssystems, das auf Überproduktion ausgerichtet ist. Sie präsentieren aber auch Lösungsansätze für eine gerechtere, nachhaltige Nahrungsmittelproduktion.

Zielpublikum

Die Essensvernichter ist eine Pflichtlektüre für faktenhungrige KonsumkritikerInnen. Genauso dürften sich ökologisch orientierte PolitikerInnen angesprochen fühlen, werden doch zahlreiche Möglichkeiten diskutiert, wie auf parlamentarischer Ebene die Agrarwende eingeleitet werden könnte. Im Grunde ist das Buch aber für sämtliche Bevölkerungsschichten gedacht, denn es will (zusammen mit dem Film zum Buch: Taste The Waste) nichts weniger als eine Bewegung für nachhaltige Ernährungsgewohnheiten entfachen und, wie die Autoren betonen, zum „Sprachrohr für den gemeinsamen Protest“ werden (S. 24). Die Essensvernichter ist gut 300 Seiten schwer, kommt mit zahlreichen Farbfotos und illustrativen Grafiken daher und beinhaltet eine kommentierte Weblink-Liste, umfangreiche Quellenangaben sowie ein Begriffsregister.

Inhalt

Das Buch besteht aus drei Teilen, die mit rund 100 Seiten alle ungefähr gleich stark gewichtet sind und sowohl aus Hintergrundberichten als auch Reportagen bestehen. Der erste Teil thematisiert das Konsumverhalten der westlichen Länder. Danach gehen die Autoren auf die sozio-politischen und ökologischen Konsequenzen der globalisierten Nahrungsmittelproduktion ein. Der letzte Teil bietet schliesslich eine „Anleitung zum Aktivwerden“ (S. 9), und zwar sowohl für die Politik als auch für private KonsumentInnen. 1. Von Überproduktion und Verschwendung Der erste Teil zeigt auf, was es bedeutet, in einer Konsum- bzw. Wegwerfgesellschaft zu leben. Rund 30 Prozent der Lebensmittel in den Regalen der Supermärkte werden nicht verkauft und müssen fortgeworfen werden. 20 bis 30 Prozent der gekauften Lebensmittel wandern unangetastet in den privaten Müll. Beispielsweise werden alleine in Deutschland jährlich über 500.000.000 Kilogramm Brot vernichtet. Durch diese Nahrungsmittelverschwendung ist eine neue Bewegung entstanden: Mülltauchen oder Containern genannt (engl. Dumpster Diving). Bei diesem politischen Protest wird der Müll der Supermärkte nach Essbarem durchsucht, statt im Laden einzukaufen und auf diese Weise zur Verschwendung beizutragen. Die Abfallberge kommen nicht von ungefähr: Gemäss den Autoren gibt es in der Agrarwirtschaft eine „Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage, eine Überproduktion durch feste Lieferverträge und Agrarsubventionen sowie genormte Qualitätsstandarts.“ (S. 51). Diese Überproduktion an Nahrungsmitteln muss die Verluste der gesamten Produktionskette kompensieren. Konkret gehen bei der Ernte, bei der Tiermast (Verlängerung der Nahrungsmittelkette), bei der Verarbeitung, im Handel und bei den EndverbraucherInnen Nahrungsmittel unnötig verloren. Zum besseren Verständnis der aktuellen Konsum- bzw. Wegwerfgesellschaft dokumentieren die Autoren ausserdem die „Geschichte des Überflusses“ (S. 91ff.): Seit den 1950er Jahren begannen sich Supermärkte durchzusetzen, während Quartierläden langsam verschwanden. Gleichzeitig wurde die staatliche Subventionspolitik erneuert, um mittels garantierter Abnahmepreise sowohl die Produktion als auch den globalen Handel anzukurbeln. Weitere wichtige Schritte hin zur Wegwerfgesellschaft waren neue Konservierungsmethoden wie die Tiefkühlung oder Dosennahrung sowie das Aufkommen von Fast-Food-Ketten in den 1970er Jahren. 2. Die globalen Folgen des Konsumwahns Der zweite Teil von Die Essensvernichter schildert das Wesen der modernen Agrarwirtschaft und beleuchtet die soziopolitischen sowie ökologischen Konsequenzen der globalen, industriellen Massenproduktion im Nahrungsmittelsektor. Nach Ansicht der Autoren sind „multinational agierende Konzerne der Agrarwirtschaft“ die Initiatoren und Profiteure dieser verschwenderischen Verkaufspolitik und haben „keinerlei Interesse an einer Einschränkung des Konsums und einer Begrenzung der Produktion“ (S. 121f.). Zu diesen Saatgutmultis gehören Monsanto, DuPont oder Syngenta mit Sitz in der Schweiz. Durch das firmeneigene Hybridsaatgut, das jedes Jahr neu gekauft werden muss, geraten die BäuerInnen in Abhängigkeiten, die durch die oftmals nötigen Herbiziden und Pestiziden zusätzlich verstärkt werden. Als das „tragischste Beispiel für die verheerenden Folgen unserer Lebensmittelverschwendung“ (S. 124) bezeichnen die Autoren die hoch subventionierte, weltweite Fischerei. Diese Industrie sei besonders bedenklich, denn „drei Viertel der europäischen Fischbestände sind offenkundig überfischt“ (S. 125). Von wissenschaftlicher Seite ist das Problem längst bekannt und entsprechend düster lauten die Prognosen: Der Kollaps der kommerziellen Meeresfischerei wird auf das Jahr 2048 angesetzt. Die industrielle Nahrungsmittelproduktion schädige aber auch das Klima, beispielsweise durch die sogenannte Nutztierhaltung. So produziert die Viehwirtschaft Lachgas, Methan, Stickoxide, Nitrate und Ammoniak, die allesamt klimaaktiv bzw. bodenverseuchend wirken. Gemäss FAO stammen 18 Prozent der weltweiten Treibhausgase aus der Viehwirtschaft, das ist mehr als der gesamte Transportverkehr ausmacht. Immer mehr Menschen sind zudem der Meinung, dass die Überproduktion in westlichen Ländern den Hunger in den sogenannten Entwicklungsländern fördere. Überschüssige Fleischwaren werden zu Dumpingpreisen in Afrika verhökert, wodurch die lokale Wirtschaft zusammenbricht. Zudem ist von einem neuen „Agrarkolonialismus“ (S. 183) die Rede, da sich vermehrt private InvestorInnen aus reichen Ländern billiges Land mit geringen Umweltauflagen sichern. Bei diesem „Land Grabbing“ werden lokale KleinbäuerInnen in den Ruin getrieben und anstelle von Nahrungsmitteln für die lokale Bevölkerung wird etwa lukrativeres Kraftfutter für westliche „Nutztiere“ produziert. 3. Was wir ändern können und müssen Auf den letzten 100 Seiten des Buches finden sich zahlreiche Tipps, wie die Nahrungsmittelverschwendung eingedämmt werden kann. Die Autoren präsentieren zunächst eine Reihe von Ansätzen für Staat, Wissenschaft und Politik. Beispielsweise müssten „Agrarsubventionen, die nicht einer nachhaltigen Landwirtschaft dienen, sondern zur Überproduktion verleiten, […] abgeschafft werden“ (S. 197). Ebenso dürfe der grossflächige Monokulturanbau nur noch unter strengen Umwelt- und Sozialauflagen erfolgen. Eine weitere Möglichkeit, um von staatlicher Seite her aktiv zu werden, wäre die Einführung von Steuern. Dänemark beispielsweise hat im Oktober 2011 eine Fettsteuer eingeführt, um den „Konsum von Lebensmitteln mit einem hohen Gehalt an gesättigten Fettsäuren wie beispielsweise Butter, Käse und Fleisch“ (S. 200) zu senken. Mit Hilfe eines 5-Punkte-Programmes sollen zudem die KonsumentInnen nachhaltig in die Pflicht genommen und der indirekte Energieverbrauch durch den Konsum von frischen, regionalen sowie saisonalen Produkten gesenkt werden. Die Reduktion des Fleischkonsums sowie weniger Restaurantbesuche bezeichnen die Autoren als „ökologisch verträgliche Verbrauchsmuster“ (S. 243); zudem würden Bio-Produkte helfen, den Einsatz von künstlichem Dünger zu reduzieren. Nicht zuletzt könne man mit effizienten Haushaltsgeräten, energiebewusstem Kochen oder Ökostrom die Emissionsbilanz deutlich verbessern. Die Autoren belassen es aber nicht bei diesen Verbesserungsvorschlägen. Vielmehr wird die Ernährung als politische Einflussnahme präsentiert, welche die KonsumentInnen mit Macht und Verantwortung beschert. So sei der Faire Handel der „Grundstein für das Konzept des politischen, kritischen oder strategischen Konsums“ (S. 267).

Kommentar

Kreutzberger und Thurn betreten in ihrem Buch (und dem bereits erwähnten Film Taste The Waste) politisches Neuland, denn im Parlament wird die Nahrungsmittelverschwendung grösstenteils ignoriert. Mit Die Essensvernichter wird die Ernährung endlich als Privatsache verworfen und unmissverständlich zu einem Politikum deklariert. Sehr gelungen ist die Aufteilung der komplexen Thematik in die drei Teile (westliche Wegwerfgesellschaft, Folgen der Überproduktion, Handlungsansätze). Der erste Teil kommt beschreibend daher, der zweite kritisch und bewertend, der letzte schliesslich ist konstruktiv und lösungsorientiert. Bei der nachhaltigen Ausrichtung des Buches mutet es jedoch etwas fragwürdig an, dass grossflächige Monokulturen nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern – sofern mit Umweltauflagen behaftet – als legitim erachtet werden. Aus Sicht der Biodiversität oder der Umwelt sind Monokulturen jedoch grundsätzlich zu hinterfragen, denn die intensive Produktion ist besonders anfällig für Schädlinge. Auch gegenüber tierlichen Lebensmitteln geben sich die Autoren eher konservativ: Die sogenannten Nutztiere werden genauso wie Fische als Konsumgüter präsentiert, deren Kauf wir aus ökologischen Gründen reduzieren müssen. Das Problem des Nutzungsanspruches des Menschen auf Tiere, der in hiesigen Kulturkreisen vermehrt kritisch hinterfragt wird, findet bei der vorwiegend ökologischen Ausrichtung des Buches keinen Platz. Verbesserungswürdig ist auch der Spagat zwischen Sachbuch und dem „Buch zum Film“, wie ihn die Autoren angestrebt haben. Obwohl die LeserInnen bereits in der Einleitung darauf vorbereitet werden, dass beides „teilweise miteinander verwoben“ (S. 9) ist, hätte man mit etwas Mehraufwand inhaltliche Wiederholungen vermeiden können.

Fazit

Mit den zahllosen Fakten über Nahrungsmittel- und Energieverschwendung, den konkreten Forderungen an Wirtschaft und Politik sowie den präzisen Konsumtipps für PrivatverbraucherInnen bietet Die Essensvernichter reichlich Gründe zum Nachdenken und Handeln.
Stefan Kreutzberger ist freier Journalist mit Schwerpunkten in der Umwelt- und Verbraucherproblematik sowie Autor u.a. von „Die Öko-Lüge“. Ein Fernsehinterview mit Kreutzberger zur Lebenmittelproblematik findet sich hier. Valentin Thurn ist freier Filmemacher für ARD, ZDF und ARTE und hat u.a. den TV-Beitrag Essen im Eimer: Die grosse Lebensmittelverschwendung (2010) produziert. Ein Fernsehinterview u.a. zum Film Taste the Waste findet sich hier.

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2 Kommentare

siggifreud
vor 8 Jahre

(…) Bei einer Gesamtbetrachtung der Lebensmittelwirtschaft wird deutlich, dass legales Wegschmeißen von genießbarer Nahrung sich kaum mit dem Staatsziel der Erhaltung und Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlage und des Umweltschutzes, noch mit einer sozialverträglichen und ökonomisch sinnvollen Wirtschaft vereinbaren lässt, was der französische Gesetzgeber erkannt hat. Eine Vernichtung der Überproduktion von Nahrungsmitteln, die mehrheitlich zuvor vom Steuerzahler subventioniert wurden, verschwenden nicht nur Steuergelder, sondern zugleich Ressourcen. Gleichzeitig werden Menschen, die sich gegen die sogenannte „Wegwerfgesellschaft“[59] zivilgesellschaftlich zusammenschließen, kriminalisiert und droht ihnen bei sehr restriktiver Auslegung des Gesetzes eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten für den Diebstahl im besonders schweren Fall gem. § 243 Abs. I Nr. 1. StGB. (…) aus „Containern – strafbar und strafwürdig? Eine rechtliche Betrachtung des Containers, seiner Sanktionen und Rechtfertigungen.“:

http://www.magazin-restkultur.de/grauzone-containern-kann-denn-muell-mitnehmen-suende-sein/

Martin Pätzold
vor 12 Jahre

>>Nach Ansicht der Autoren sind “multinational agierende Konzerne der Agrarwirtschaft” die Initiatoren und Profiteure dieser verschwenderischen Verkaufspolitik und haben “keinerlei Interesse an einer Einschränkung des Konsums und einer Begrenzung der Produktion” (S. 121f.).<<

Wenn unverkauftes Brot und Brötchen u.a. deshalb jeden Abend von den Bäckereien weggeworfen werden, weil die Verbraucher sich zu fein sind, sie zu kaufen, wenn sie vom Vortag stammen, dann liegt die Schuld nicht (nur) bei Konzernen, sondern auch bei den Konsumenten. Das sollte nicht vergessen werden.

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