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Nutztierhaltung

Tonnenweise Antibiotika im Stall

Die Widerstandsfähigkeit von Bakterien gegen Antibiotika nimmt zu: eine Gefahr für Mensch und Tier. Gleichwohl kommen nicht nur in Spitälern, sondern vor allem in den Ställen weiterhin tausende Tonnen von Antibiotika zum Einsatz. Wollte man das ändern, müsste man die Produktionsbedingungen der gegenwärtigen Tierhaltung umkrempeln. Das aber ist utopisch. Von Klaus Petrus und Tobias Sennhauser.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Unerwünschte Resistenzen

Wieder einmal geben Antibiotika im Stall zu reden. Auch in der Schweiz. Zwar nimmt die Menge der an „Nutztiere“ verabreichten Wirkstoffe ab. Waren es 2008 um die 73 Tonnen Antibiotika, sind es einem neuen Bericht des Bundesamts für Veterinärwesen (BVET) zufolge noch 66 Tonnen, oder wie die Branche rechnet: 90 Milligramm pro Kilogramm Schlachttier. Dennoch gibt es Grund zur Sorge: Offenbar nimmt die Widerstandsfähigkeit (Resistenz) von Bakterien gegen bestimmte Antibiotika zu.

Dazu gehören Fluoroquinolen, das sind Wirkstoffe, die vor allem in der Hühnermast zum Einsatz kommen: 7 von 10 bakteriell erkrankten Masthühnern werden in der Schweiz damit behandelt. Den Tieren schadet das nicht, meinen gewisse Fachleute. Das Problem sei ein anderes: Fluoroquinolen sind auch für den Menschen von grosser Bedeutung. Sie gelten in der Humanmedizin als „Reserven“ und werden eingesetzt, wenn andere Antibiotika nicht wirken – oder wenn sich eben Resistenzen herausgebildet haben. Ist aber ein Bakterium einmal resistent, kann die Krankheit, die es auslöst, oft nicht mehr erfolgreich behandelt werden.

Vom Stall in den Spital

Rund 1.000 PatientInnen erkranken jährlich an schweren Infektionen mit Antibiotika-resistenten Bakterien, in manchen Fällen verläuft die Krankheit tödlich. Zu diesem Ergebnis kam bereits 2006 eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierte Studie. Besonders gefürchtet sind die Methicillin-resistenten Staphylokokken, kurz MRSA genannt. Die Bakterien gelten als „multiresistent“, was bedeutet, dass sie gegenüber einer ganzen Gruppe von Antibiotika unempfindlich sind. Darunter ist auch das bei Menschen und Tieren oft verwendete Penicillin.

Für gesunde Menschen sind MRSA kein Gefahr, wohl aber für SpitalpatientInnen mit Immunschwäche oder offenen Wunden. In die Krankenhäuser eingeschleppt werden die Bakterien von Menschen, die engen Kontakt zu Tieren haben. In Holland beispielsweise, wo jedes fünfte Schwein von MRSA betroffen ist, werden SchweineproduzentInnen vor der Einlieferung ins Spital auf den Keim untersucht.

Auch in Deutschlands Ställen nimmt MRSA bedrohlich zu. So wies jüngst eine landesweite Untersuchung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) nach, dass 40 Prozent des Putenfleisches, 20 Prozent des Hähnchenfleisches und 10 Prozent des Schweinefleisches mit dem Keim belastet sind.

Spätestens seit 2009 sind MRSA-Fälle auch in der Schweiz bekannt. Wie in Holland, sind primär Schweine betroffen. Das Ausmass hält sich im Vergleich zu anderen Ländern zwar noch in Grenzen. Auch soll seit 2006 ein speziell eingerichtetes Resistenz-Monitoring das Auftreten resistenter Bakterien überwachen. Eine Ausbreitung von Keimen wie MRSA lässt sich damit aber nicht stoppen, teilte das Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) 2009 mit. Tatsächlich haben sich die MRSA-Fälle bei Mastschweinen im vergangenen Jahr verdoppelt, und auch die Spitäler beklagen eine rasante Verbreitung von MRSA bei immungeschwächten PatientInnen. In der bereits erwähnten SNF-Studie ist davon die Rede, dass sich die zusätzlichen Behandlungskosten für MRSA bis 2015 auf 140 Millionen Schweizer Franken belaufen werden.

Ursache Nummer 1: Industrielle Nutztierhaltung

„Mit dem leichtfertigen Einsatz von Antibiotika in der Tiermast sollte man schleunigst aufhören. Er hat dazu geführt, dass Krankheitserreger im menschlichen Körper gegen Antibiotika immun geworden sind“, gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon 1977 zu bedenken. Viel getan hat sich in der Zwischenzeit allerdings nicht. Zwar sind in einigen Ländern – wie seit Januar 1999 auch in der Schweiz – Antibiotika als Leistungsförderer („Doping“) verboten. Der vorsorgliche, also prophylaktische Einsatz solcher Wirkstoffe ist jedoch immer noch üblich und erfolgt geradezu flächendeckend.

So etwa in der Kälbermast. Normalerweise werden die Tiere im Alter von zwei bis drei Wochen vom Bauernhof, auf dem sie geboren wurden, in die Mastanlagen transportiert. Dort kommen sie mit Jungtieren unterschiedlichster Herkunft in Kontakt. Weil das Immunsystem der Kälber zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgreift ist und sie gegen die Erreger ihrer Artgenossen anfällig sind, werden ihnen in aller Regel bereits beim Einstallen grosse Mengen an Antibiotika verabreicht. Dass die Landwirte diese Wirkstoffe aus Kostengründen zu früh absetzen und damit Resistenzen zusätzlich gefördert werden, kann in Fachkreisen nicht ausgeschlossen werden.

Der prophylaktische Einsatz von Antibiotika ist auch bei Masthühnern und Mastschweinen verbreitet. Nicht selten erhalten sie einen regelrechten Mix aus bis zu zehn unterschiedlichen Wirkstoffen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Präparate, die der Nahrung oder dem Trinkwasser beigemischt werden. In der Schweiz sind das rund zwei Drittel der insgesamt 66 Tonnen Antibiotika. Knapp 10 Prozent davon sind Wirkstoffe, die in das Euter von Ziegen, Schafen und Kühen gespritzt werden. Dazu gehören an erster Stelle die schon erwähnten, auch in der Humanmedizin eingesetzten Penicilline. Sie sollen bakteriellen Euterentzündzungen (Mastitis) vorbeugen, an denen auf hohe Milchleistung gezüchtete Kühe häufig leiden.

Die Konsequenzen ziehen

Dass der immense Antibiotika-Einsatz mit der modernen Zucht und intensiven Haltung zu tun hat, ist ein offenes Geheimnis. Tiere, die auf Hochleistung getrimmt sind, erkranken noch früher – zumal auf Betrieben, wo sie auf engstem Raum gehalten werden und sich die Erreger im Nu verbreiten können.

Wollte man den Antibiotikaverbrauch in der Nutztierhaltung reduzieren, müsste man diese „Produktionsbedingungen“ ändern, folgern die ExpertInnen. Zum Beispiel habe sich gezeigt, dass Kälber, die von der Geburt bis zum Schlachtermin auf demselben Hof bleiben, weniger Antibiotika brauchen – vorausgesetzt, sie werden gut betreut und sorgfältig beobachtet. Ein solches Betriebsmanagement sei allerdings aufwändig und dementsprechend kostenintensiv. Weniger Antibiotika im Stall hiesse also auch: Die KonsumentInnen müssten bereit sein, mehr Geld für ihr Fleisch auszugeben. Aber das wollen sie offenbar nicht.

Wie problematisch – ja geradezu utopisch – die Idee einer grundsätzlichen Veränderung der „Produktionsbedingungen“ der derzeitigen Nutztierhaltung ist, zeigt sich auch an diesem: Die allermeisten Tiere, die wir uns zu Nahrungszwecken halten, stammen nach wie vor aus Hochleistungszuchten. Bei Schweinen, Masthühnern und Legehennen sind das fast 100 Prozent der Tiere, Bio macht da übrigens keine Ausnahme.

Es sind dies – wie die Biologin Ruth Harrison einmal sagte – „Tiermaschinen“, die darauf selektioniert sind, in kurzer Zeit viel Fleisch-, Lege- oder Milchleistung zu erbringen. Die Folge sind Gelenkschäden, Leberverfettungen, Euterentzündungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ein qualvoller Tod – alles Ausprägungen eines zuchtbedingten Tierleids, das wir in Kauf nehmen, wenn wir Tiere auf Nahrungsmittellieferanten reduzieren. Und das sich auch mit Tonnen von Antibiotika nicht aus der Welt schaffen lässt.

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1 Kommentar

achim
vor 12 Jahre

merci!

sehr informativer bericht

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