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Rezension

„Green is the new red“ (Will Potter)

Die Tierrechtsbewegung ist zunehmend staatlichen Repressionen ausgesetzt. In einigen Ländern gilt sie inzwischen sogar als terroristische Bedrohung Nr. 1. Was steckt dahinter? Wenn es einer wissen kann, dann der amerikanische Journalist Will Potter. Er befasst sich schon seit Jahren mit radikalen Bewegungen und hat nun über den "Ökoterrorismus" ein Buch geschrieben. Eine Rezension von Tobias Sennhauser (TIF).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Will Potter, Green is the new red, City Lights Publishers (2011), ca. CHF 30.–

Der Tierschutzprozess in Österreich hat es einmal mehr gezeigt: Soziale Bewegungen wie die Tierrechtsbewegung sind zunehmend staatlichen Repressionen ausgesetzt. In einigen Ländern gelten sie inzwischen sogar als terroristische Bedrohung Nr. 1 und werden – wie in den USA – pauschal dem „Öko-Terrorismus“ zugeordnet. Was steckt dahinter? Der amerikanische Journalist Will Potter befasst sich bereits seit vielen Jahren mit der sogenannten radikalen Umwelt- und Tierrechtsbewegung und spricht in Anlehnung an die „Red Scare“ – die antikommunistische Hysterie in den 1940er und 1950er Jahren – von einer „Green Scare“, die darauf angelegt ist, Ängste vor diesen Sozialen Bewegungen zu schüren und sie so in der breiten Öffentlichkeit zu kriminalisieren.

Zielpublikum

Das 2011 erschienene Buch Green is the new red von Will Potter richtet sich an InteressentInnen von sozialen Bewegungen, die mehr über das Phänomen Öko-Terrorismus erfahren möchten. Ferner stellt die Lektüre für AktivistInnen ein wichtiges Dokument dar, das über die Hintergründe und Geschichte der radikalen Umwelt- und Tierrechtsbewegung sowie über Repression in den USA informiert.

Das Buch wurde bis dato nicht übersetzt und muss deshalb im englischen Original gelesen werden. Fortgeschrittene Englisch-Kenntnisse sind von Vorteil – bei den zahlreichen juristischen Fachausdrücken ist ein Wörterbuch teilweise unumgänglich.

Die Lektüre umfasst knapp 300 Seiten, die sich aus Inhalt, umfangreichen Quellenangaben und einem Begriffsregister zusammensetzen.

Inhalt

In Green is the new red beschreibt Will Potter, wie die radikale Umwelt- und Tierrechtsbewegung in den USA mittels geschickter Terrorismus-Rhetorik und kriminalisierenden Gesetzen gezielt in Verruf gebracht werden sollen.

Zu Beginn der Lektüre richtet der Autor sein Augenmerk auf die Definition von „Terrorismus“, wobei offenbar keine allgemein anerkannte Version existiert. Vielmehr beruft sich jeder Staat auf seine eigene Interpretation. Potter sieht jedoch bei den verschiedenen Terrorismusdefinitionen gemeinsame Merkmale: Terroristische Akte seien politisch motivierte, gewalttätige Handlungen mit der Absicht, durch die symbolische, sichtbare Gewaltanwendung die Regierungspolitik zu beeinflussen. Dadurch, dass die Opfer meist unschuldige ZivilistInnen sind, schüren terroristische Akte Ängste (lat. terror: Angst, Furcht) in der Bevölkerung (S. 37f.).

Springender Punkt bei jeder Terrorismusinterpretation ist die Definition der Gewalt. Potter beruft sich bei dieser Frage auf den amerikanischen Politikwissenschaftler Gene Sharp, der seit über 40 Jahren die theoretischen Grundlagen für gewaltfreie Revolutionen ausarbeitet. Für Sharp sei Gewalt physische Gewalt an Personen, die zu Verletzungen oder zum Tod führen (S. 39). Gewalt an Sachen existiert folglich nicht.

Egal, wie man „Gewalt“ definiert – Tatsache ist, dass die radikale Umwelt- und Tierrechtsbewegung durch vielfältige Formen des politischen Aktivismus Unternehmen wie zum Beispiel für das Tierversuchslabor Huntingdon Life Siences (HLS) ökonomisch massiv bedrohen. Deshalb sollten die Bewegungen mit Hilfe des Labels Öko-Terrorismus juristisch bekämpft werden, ist Potter überzeugt (S. 103).

Unter dem Begriff „Öko-Terrorismus“ werden meist Aktionen von Gruppierungen wie Animal Liberation Front (ALF) und Earth Liberation Front (ELF) sowie der Kampagne Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC) zusammengefasst. Deren Richtlinien besagen allerdings unmissverständlich, dass bei ihren Aktionen kein menschliches oder nichtmenschliches Lebewesen zu Schaden kommen darf. So wurde bis heute durch den sogenannten Öko-Terrorismus niemand getötet (S. 47f.). Anstelle von Mord und Todschlag beinhalten öko-terroristische Akte üblicherweise Tierbefreiungen oder ökonomische Sabotage – alles Aktivitäten, die gemäss der Definition von Sharp nicht als gewalttätig gelten.

Nichtsdestotrotz werden radikale Umwelt- und Tierrechtsgruppen in den USA als die gefährlichste inländische Terrorbedrohung eingestuft und mit Hilfe von neuen Gesetzen kriminalisiert. Der „Animal Enterprise Protection Act“ (AEPA) wurde 1992 zum Schutz der Tierindustrien eingeführt und war primär gegen Untergrund-AktivistInnen gerichtet. Mit diesem Gesetz entstand ein neues Verbrechen: Terrorismus an Tierunternehmen (animal enterprise terrorism) (S. 103f.).

Doch die SHAC-Kampagne, die vor allem legale Protest-Aktionen durchführte, konnte mit diesem Gesetz nicht gestoppt werden. Gemäss den Recherchen von Potter setzte sich das FBI deshalb zusammen mit VertreterInnen des Justizdepartements vor dem Kongress dafür ein, AEPA dahingehend zu erweitern, dass auch legal agierende SHAC-AktivistInnen angeklagt werden konnten (S. 104). Das Resulat war ein neues Gesetz mit dem Namen „Animal Enterprise Terrorism Act“ (AETA), das 2006 in Kraft trat.

AETA sei derart vage formuliert, dass damit auch ziviler Ungehorsam kriminalisiert werden könne, kritisiert der Autor. Zudem bedrohe es den Grundrechtekatalog in der amerikanischen Verfassung (first amendment) (S. 138). Potter ist darüber hinaus der Ansicht, dass Gesetze wie AETA nicht auf demokratische Weise zustande kommen. Vielmehr würden finanzstarke Industrien wohlgesinnte PolitikerInnen im Wahlkampf unterstützen, die im Gegenzug für die gewünschten Gesetze sorgen (S. 166). Darartige juristische Bedenken räumt auch Dennis Kucinich ein, ein Vertreter im Repräsentantenhaus und Veganer. Dieser weist gemäss Potter darauf hin, dass Delikte wie Diebstahl, Hausfriedensbruch, Sabotage oder Einschüchterung bereits unter Strafe stehen, und zwar unabhängig davon, ob die Handlungen politisch motiviert sind (S. 169). Ein Hausfriedensbruch solle folglich auch bei einer Undercover-Recherche wie ein Hausfriedensbruch bestraft werden – und nicht wie ein terroristischer Akt.

Zum Schluss versucht Potter, Parallelen zur sogenannten „Roten Angst“ (red scare) aufzuzeigen. Im Kalten Krieg sah sich die USA vom Kommunismus bedroht. Dabei handelte es sich nicht um eine reale Gefahr, vielmehr wurden die amerikanischen Werte durch ein anderes Glaubenssystem bedroht. Ebenso sei der Öko-Terrorismus keine reale Bedrohung, sondern ein kultureller Krieg, ein Krieg der Werte (S. 243).

Kommentar

Green is the new red bietet mit den fundierten Hintergrundinformationen eine gelungene Einführung in das Phänomen Öko-Terrorismus. Im Gegensatz zu anderen Publikationen zu diesem Thema kommt dieses Buch mit einer persönlichen Note daher, denn Will Potter hat als Journalist zahlreiche AktivistInnen sowohl beim Protest als auch vor Gericht persönlich begleitet.

Hervorzuheben ist, dass der Autor den Öko-Terrorismus nicht isoliert betrachtet, sondern das Phänomen im politischen und historischen Kontext beleuchtet. So zeigt er auf, dass mit den AbtreibungsgegnerInnen in den USA eine gewalttätige, politisch motivierte Bewegung existiert, die bereits mehrfach für Mordanschläge verantwortlich gemacht wurde und vom FBI trotzdem nicht auf die Liste der innländischen Terrorbedrohungen gesetzt wurde. Historische Parallelen zu anderen Befreiungsbewegungen sieht Potter im afrikanischen Apartheidregime und bei Martin Luther King (1929-1968), dem amerikanischen Bürgerrechtler und Pionier des zivilen Ungehorsams. Bereits King sei der Ansicht gewesen, dass Profite und Eigentumsrechte stärker gewichtet werden als Menschen, wodurch Rassismus, Materialismus und Militarismus unmöglich überwunden werden können.

Überzeugend ist auch der Schluss des Buches, in dem Potter Gemeinsamkeiten zur Roten Angst aufzeigt, die philosophischen Grundlagen der radikalen Umwelt- und Tierrechtsbewegung darlegt und den LeserInnen vor Augen führt, dass die neuen Gesetze wie der „Animal Enterprise Terrorism Act“ nicht nur AktivistInnen bedrohen, sondern auch die Demokratie.

Will Potter ist ein mehrfach ausgezeichneter unabhängiger Journalist aus Washington, D.C. Der Schwerpunkt seiner Artikel ist der „Ökoterrorismus“ und dessen Auswirkungen auf Soziale Bewegungen wie die Tierrechts- und Umweltbewegung. Potter ist zudem Redaktor der Website Green is the new red, wo sich zahlreiche seiner Blogs sowie Interviews und TV-Auftritte finden.

Hören Sie zu diesem Thema auch den Podcast von Klaus Petrus mit Martin Balluch.

Beteilige dich an der Diskussion

4 Kommentare

Tierrechtsgruppe Zürich
vor 11 Jahre

Diesen Sonntag 10. Juni 2012 findet um 19:00 im Volkshaus in Zürich eine Buchvorstellung mit dem Autor Will Potter statt! Weitere Infos unter:
http://tierrechtsgruppe-zh.ch/?p=1796#more-1796

Pete Schuler
vor 11 Jahre

Hey vielen dank für die Info über dieses Buch . Schade ist es nur auf Englisch erhältlich, wäre super wenns dass auf Deutsch gäbe . Habe das Buch „Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen“(beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere) welches auch zu empfehlen wäre . Habe letzteres Martin Balluch`s Buch „Tierschützer . Staatsfeind“ gelesen und bin momentan am Buch von Chris Moser(die kunst widerstand zu leisten) dran am lesen . Ist alles sehr sehr erschreckend , kann dass in der Schweiz auch passieren ? besten grüsse Pete ….ANIMAL LIBERATION – HUMAN LIBERATION .

achim-david
vor 11 Jahre

danke tobi! sehr interessant …

Marc Bonanomi
vor 11 Jahre

Das ist zum Heulen, was da geschieht, in den USA und In Österreich. Wer Macht hat, macht die Gesetze, und setzt sie mit Gewalt durch. Eine Horrorvorstellung!
Danke für die Inhaltsangabe des Buches. Nötig wäre ein entsprechendes Buch für Schweizer Verhältnisse.
Herzlich: ein erschreckter Marc

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