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Rezension

„Animals, Equality and Democracy“ (Siobhan O’Sullivan)

Es ist nicht bloss so, dass wir Menschen und Tiere anders behandeln, wir gehen auch mit Tieren ganz unterschiedlich um. Während wir manche Hunde verhätscheln, gebrauchen wir andere für Experimente. Die australische Tierethikerin Siobhan O'Sullivan geht diesem Phänomen nach und kommt zum Schluss: eine solche Ungereimtheit sollte in einer Demokratie keinen Platz haben. Eine Rezension von Klaus Petrus (TIF).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Siobhan O’Sullivan, Animals, Equality and Democracy, Palgrave 2011, ca. CHF 90.–

Zweierlei Widerspruch

Unser Umgang mit Tieren, so Siobhan O’Sullivan, werde von wenigstens zwei Ungereimtheiten geprägt. Die eine betrifft das Verhältnis zwischen uns Menschen und anderen Tieren. Dieser externe Widerspruch (external inconsistency) kommt etwa dann zum Ausdruck, wenn wir gleichermassen empfindungsfähige Wesen nur deshalb anders behandeln, weil einige von ihnen der Spezies homo sapiens angehören, die anderen dagegen bloss Tiere sind. Es sei diese Art von Ungereimtheit – üblicherweise auch „Speziesismus“ genannt –, mit der sich die Tierethik in den letzten Jahrzehnten besonders auseinandergesetzt hat. Allerdings mit bescheidenem Erfolg, wie O’Sullivan meint. Für sie ist die Vorstellung, dass sich der Mensch grundsätzlich von allen übrigen Tieren unterscheidet und daher moralisch mehr zählt als sie, derart tief in uns verankert, dass sich auf absehbare Zeit bezüglich des externen Widerspruchs nichts Grundsätzliches ändern wird.

Die zweite Ungereimtheit bezeichnet O’Sullivan als internen Widerspruch (internal inconsistency). Er betrifft die ungleiche Art und Weise, wie wir mit nichtmenschlichen Tieren umgehen. Auch das ist im Grunde ein längst bekanntes Phänomen: Während wir einige von ihnen hätscheln und vermenschlichen, sperren wir andere ihr Leben lang ein, mästen und schlachten sie. Dabei betrifft diese Ungereimtheit nicht bloss unterschiedliche Tierarten, die wir den (von Menschenhand gezimmerten) Kategorien „Haustiere“ und „Nutztiere“ zuordnen, wie etwa Hunde und Schweine. Vielmehr trifft sie auch unseren Umgang mit Tieren derselben Art, die in entsprechend unterschiedliche Rubriken fallen, wie zum Beispiel Hunde, die je nach dem als „Haustiere“ gehalten werden oder als „Labortiere“.

Für jedes Tier eine Schublade

Es ist dieser zweite Typus von internem Widerspruch, den O’Sullivan vor allem im Visier hat. Dabei geht es ihr in einem ersten Schritt um eine möglichst umfassende Liste von Kategorien, denen wir Tiere gemeinhin zuordnen (Kapitel 2). Das Spektrum reicht von „Wildtieren“ über „Versuchstiere“ und „Masttiere“ bis hin zu „Haustieren“. Wie O’Sullivan zu Recht hervorhebt, stehen hinter diesen Kategorien jeweils unterschiedliche Verwendungszwecke, die wir an Tiere herantragen. Von Bedeutung ist dabei offenbar der ökonomische sowie soziale Nutzen, den wir uns von Tieren versprechen. Darin jedenfalls sieht O’Sullivan den zentralen Unterschied zwischen „(landwirtschaftlichen) Nutztieren“ und „Haustieren“ – ein Unterschied, der sich nicht zuletzt darin niederschlägt, dass wir erstere primär als Objekte betrachten und damit als mehr oder weniger anonyme Masse, die im Zuge der Industrialisierung für uns immer unsichtbarer wurde.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Nach Ansicht von O’Sullivan gibt es nun zwischen dem Grad der Sichtbarkeit von Tieren und ihrer Stellung vor dem Gesetz einen klaren Zusammenhang (Kapitel 3): Während (die meisten) „Haustiere“ in unserer Gesellschaft auch medial in einer Art Rampenlicht stehen und juridisch einen vergleichsweise guten Status haben, sind Tiere, die ihr Leben hinter verschlossenen Türen in Zuchtanlagen oder Versuchslabors verbringen müssen, gesetzlich kaum oder nur unzureichend geschützt, wie die Autorin anhand zahlreicher Beispiele darlegt (Kapitel 4). Dabei ist sie sich bewusst, dass diese Unterscheidung Ausnahmen zulässt (so etwa Tiere, die für Wettkämpfe gebraucht werden).

Das ändert allerdings nichts an O’Sullivans These, dass gerade dieser Zusammenhang zwischen Unsichtbarkeit und mangelndem Tierschutz Ausdruck des von ihr monierten internen Widerspruchs ist, der – wie oben angedeutet – darin bestehen kann, dass wir Hunde, die als „Haustiere“ Teil unserer Familie sind, grundlegend anders behandeln als Hunde, an denen unsere Kosmetika getestet werden.

Demokratie für Tiere?

Für O’Sullivan ist diese Art von Ungereimtheit nicht bloss in moralischer, sondern auch in demokratiepolitischer Hinsicht äusserst prekär (Kapitel 5). Denn gerade in liberalen Gesellschaften, die sich als Demokratien verstehen, stellt das Prinzip der gleichen Berücksichtigung (equal consideration) eine Grundlage fairen Zusammenlebens dar. Interne Widersprüche wie der eben genannte unterminieren jedoch dieses Gleichheitsprinzip auf dermassen eklatante Weise, dass BefürworterInnen der Demokratie nachgerade aufgerufen sind, sich grundlegend mit diesen Ungereimtheiten befassen. Gemäss O’Sullivan sollte diese Auseinandersetzung dazu führen, dass der Umgang, den wir typischerweise mit „Haustieren“ pflegen, zum Standard für alle Tiere wird, denen gegenüber der Mensch Nutzungsansprüche erhebt.

Die Macht der Kategorien

O’Sullivans Buch besticht durch die Fallstudien, mit denen sie die unterschiedlichen Grade der Sichtbarkeit von Tieren in unserer Gesellschaft belegt. Nicht minder aufschlussreich ist ihre Analyse insbesondere der amerikanischen und australischen Tierschutzgesetze, die tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Unsichtbarkeit und mangelndem Schutz tierlicher Interessen nahelegen. (Ähnliches liesse sich wohl auch für die Tierschutzgesetze in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigen.) Weniger überzeugend ist indes O’Sullivans Erklärungsanspruch bezüglich der unterschiedlichen Typen von Ungereimtheiten. So bleibt unklar, weshalb die Kategorisierung von Hunden etwa in „Haustiere“ und „Versuchstiere“ leichter aufzuweichen ist als jene von Hunden in „Haustiere“ und Schweinen in „Nutztiere“, wie O’Sullivan das anzunehmen scheint. Hier wie dort sind es institutionalisierte und damit auch gesellschaftlich akzeptierte Verwendungszwecke, die irgendwelche Tiere zu erfüllen haben und die insbesondere auch die emotionale Nähe festlegen, die wir gegenüber Tieren haben (dürfen). Gerade bei „Haustieren“ scheint viel dafür zu sprechen, dass es die persönliche Beziehung ist, die überhaupt erst eine moralische Verpflichtung konstituiert; um welche Art von Tier es sich dabei handelt, ist sekundär bzw. wiederum kulturell bedingt.

Speziesismus überall

Auch wäre zu fragen, wie scharf der Unterschied zwischen externem und internem Widerspruch in unserem Umgang mit Tieren tatsächlich ist. Sofern die interne Ungereimtheit massgeblich darauf beruht, dass Tiere unterschiedlichen Rubriken zugeordnet werden, steht dahinter auch die Vorstellung des Menschen, dass es Sinn und Zweck der Tiere ist, für ihn da zu sein. Diese Idee wiederum gründet in einer Haltung, die sich über lange Zeit hinweg zu einer speziesistischen Ideologie verdichtet hat und die nicht zuletzt auch in dem von O’Sullivan so genannten externen Widerspruch zum Ausdruck kommt. Falls dem aber so ist, gibt es – anders, als O’Sullivan suggeriert – nur wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich der interne Widerspruch aufheben lässt, ohne zugleich auch am externen Widerspruch zu rütteln.

Siobhan O’Sullivan ist Research Fellow an der School of Social and Political Scienes an der Melbourne Universität in Australien. Ihre Schwerpunkte liegen in der Tierethik und Umweltethik.

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1 Kommentar

Christiane
vor 11 Jahre

Interessanter Gedanke, die nicht humanen Tiere in das demokratische System der Menschen zu integrieren. Ich denke, den externen Widerspruch im Sinne O´Sullivans zu lösen ist einfacher und realistischer als den internen Widerspruch auszumerzen. Noch lebt die ganze globalisierte Welt von der Ungleichheit, genauer Ungleichbehandlung der Menschen bzw einzelner Menschengruppen, sonst wäre das rasante Wirtschaftswachstum durch Billiglöhner in best. Ländern nicht möglich. Ausgerechnet in einem Text des US-Landwirtschaftsministeriums las ich die Formulierung: nicht-humane Tiere! Da beginnt sich bereits der externe Widerspruch ein wenig aufzulösen, wenngleich sich das Verhalten der Herrentiere (Primaten) mit ihrem Oberherrentier homo sapiens (der Zusatz sapiens sei angesichts des Zustands des Planeten ebenfalls zu hinterfragen) dadurch nicht automatisch ändert.
Dem heftigsten internen Widerspruch begegnete mir lebenslang – und sicher nicht nur mir – im Verhalten der meisten Pferdebesitzer. Da werden die schönen, süßen Pferde gehätschelt und geliebt, solange sie jung schön und gesund sind und das tun, was ihr Reiter/Halter will, teils werden sie wie ein Hund zum Freund erklärt. Doch eben nur, solange sie schön, jung, gesund und leistungsstark sind. Werden sie unreitbar oder sonstwie unbrauchbar – meist infolge falscher Haltung oder Behandlung, scheint sich umgehend ein Schalter bei den Menschen umzulegen – das Pferd muss weg. Wenn es nicht mehr nutzbar ist, zahlt der Metzger noch den besten Preis. Weinend wird das Pferd verabschiedet, es geht ja nicht anders, ein neuer reitbarer Untersatz muss her, für zwei Pferde aber reicht mein Geld nicht…
In Deutschland bekommen Pferde nach ihrer Geburt einen Pass, in dem der aktuelle Sklavenhalter den Endzweck seines Fohlens festlegt. Da die meisten Pferde am Ende im
Schlachthof landen, bedeutet dieser Pass, dass dem Schlachttier Pferd so manche Medizin verweigert werden muss, da es das Fleisch für den menschlichen Verzehr ungenießbar macht.

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