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Interview

„Wir haben kein Recht, andere unnötig zu schädigen!“

Eine Uni-Mensa ganz ohne Fleisch! Mit dieser Forderung sorgten Studierende der Uni Basel in den letzten Wochen für einiges Aufsehen. Jetzt scheint sich die Lage allmählich zu beruhigen, denn alles deutet auf einen Kompromiss hin. Klaus Petrus von TIF im Gespräch mit Adriano Mannino, einem der Initianten der "Vegi-Mensa".

Text: Tier im Fokus (TIF)

KLAUS PETRUS: Nach einigem Hin und Her hat sich der Studierendenrat der Uni Basel geeinigt: 2x die Woche kein Fleisch, täglich ein veganes Menü, dazu verbilligter Salat. Zufrieden? ADRIANO MANNINO: Plus verteuerte Fleischmenüs sowie eine Mensa in einem Pilotversuch während eines Semesters vegetarisch-vegan. Ja, damit können wir zufrieden sein. Mehr konnten wir im Studierendenrat nicht herausholen, nachdem gegen unseren Originalantrag – komplett fleischfreie Mensen – das Referendum ergriffen wurde. Genau genommen ist das Hin und Her ja noch nicht zu Ende. Stimmt. Gegen den Kompromissvorschlag, den der Rat einstimmig verabschiedet hat, wurde nun noch einmal das Referendum ergriffen. Vermutlich wird erst eine Urabstimmung unter allen Studierenden einen (vorläufigen) Schlusspunkt setzen können. Allerdings: Dieses Hin und Her ist uns mehr als recht, denn es generiert Aufmerksamkeit, regt die Debatte an und trägt sie via Medien in die Gesellschaft. Die Basler Vegi-Mensa-Geschichte hat bereits über 50 Medienberichte erzeugt. Letztlich geht es ja nicht um die Uni-Mensa, in und mit der man ein wichtiges Zeichen setzen kann, sondern um die Gesellschaft. Kaum war Euer Anliegen – eine ganz und gar fleischlose Mensa – auf dem Tisch, hiess es: „Wir werden uns nicht vorschreiben lassen, was wir essen sollen!“ Von da an war die Diskussion verhärtet, oder? Gewisse Verhärtungen lassen sich kaum vermeiden, wenn man progressive Forderungen stellt, die dem Status quo zuwiderlaufen. Und der provokative Antrag hat die Diskussion auch überhaupt erst hervorgebracht. Dies und die vielen guten und produktiven Gespräche und Reaktionen überwiegen die Verhärtungen bei Weitem. Gut, aber hinter der ganzen Debatte um Verbote steht ja auch dieses: Da kommt eine Minderheit und will allen anderen ihre Sicht der Dinge aufzwingen. Einerlei, wie edel die Motive dahinter sind, ein solches Verhalten widerspricht den Grundsätzen einer liberalen Gesellschaft. So jedenfalls sehen das die GegnerInnen. Könnt ihr damit was anfangen? Durchaus. Wir haben nie bestritten, dass es ein Problem ist, die (kulinarische) Wahlfreiheit anderer Menschen einzuschränken. Wir tun dies nicht gerne, im Gegenteil. Nur ist es auch ein Problem, dies nicht zu tun und damit zuzulassen, dass alljährlich Millionen Tiere völlig unnötig und oft qualvoll getötet werden; dass die Umwelt ganz massiv belastet wird (die „Nutztier“-Haltung ist z.B. klimaschädlicher als der gesamte globale Verkehr); und dass systematisch Nahrung vernichtet wird, was den Welthunger mitverursacht (1kg Fleisch = ca. 10kg pflanzliche Nahrung). Und da stellt sich Euch die Frage: Welches Problem ist eigentlich grösser? Genau. Und es scheint ziemlich lächerlich, sich sozusagen altruistisch um die kulinarische Wahlfreiheit einiger Menschen zu sorgen, aber die genannten massiven Schadensfolgen des Tierkonsums zu ignorieren. Wenn, dann stellt die Beschränkung der kulinarischen Wahlfreiheit ethisch höchstens einen minimen Schaden dar, der gegenüber den Schäden des Tierkonsums verblasst. Und es ist nicht einmal klar, dass diese Beschränkung der Wahlfreiheit einen realen Schaden darstellt. An der Uni Bochum z.B. haben in einem Mensa-Experiment 90 Prozent der Studierenden nicht gemerkt, dass ihr Gulasch vegan war. Wenn ich richtig verstehe, spielst Du jetzt auf ein Prinzip an, das in liberalen Gesellschaften ebenfalls gilt… Ja, ich meine das Nicht-Schadensprinzip des britischen Philosophen John Stuart Mill: Die Freiheit des einen endet dort, wo die Schädigung des anderen beginnt! Es gibt kein Recht, andere völlig unnötig zu schädigen. Daher ist es z.B. auch legitim, Tierquälerei zu verbieten. Wenn Tierquälerei aber in der unnötigen Schädigung von Tieren besteht, dann müsste sich das entsprechende Verbot auch auf den Fleischkonsum erstrecken. Und was ist mit dem Vorwurf, eine Minderheit würde hier allen anderen ihre Sicht aufzwingen? Davon kann keine Rede sein! Der Studierendenrat ist das demokratisch gewählte Vertretungsorgan der Studierendenschaft. Wir bringen unser politisches Anliegen im normalen demokratischen Prozess ein. Findet es keine Mehrheit, kommt es nicht durch. Egal ob in Berlin, München, Köln, Leipzig oder jetzt auch in Basel: Immer, wenn an Uni-Mensen solche „Vegi-Initiativen“ lanciert werden, gibt es heftigen und teils irrationalen Widerstand. Dieser Widerstand stützt sich in der Regel auf krass uninformierte Falschbehauptungen. In einer niveaulosen BaZ-Polemik wurde z.B. behauptet, der Veganismus würde Hunger erzeugen, obwohl – auch gemäss wissenschaftlichen UN-Reports – das Gegenteil der Fall ist. Im Übrigen reagierte nur eine kleine Minderheit auf unseren Antrag völlig ablehnend. Die meisten anerkennen, dass wir wichtige Probleme ansprechen und dass sich in der von uns vorgeschlagenen Richtung etwas tun sollte. Und gerade weil viele Omnivoren schlecht informiert sind und die besten Argumente und deren Stärke nicht kennen, lässt sich mit Infoarbeit auch einiges bewirken. So haben denn auch einige nach der Lektüre unseres Antrages für eine fleischfreie Mensa das Fleisch sogleich von ihrem persönlichen Speiseplan gestrichen. Ihr habt viel Zeit und Energie in die Sache gesteckt. Was wird von dieser Initiative zurückbleiben? Die Sache: das sind insbesondere die Tierrechte, der Anti-Speziesismus und der Veganismus. Wir hätten so oder so viel Zeit und Energie in sie gesteckt und haben dies auch in Zukunft vor. Solange auch nur ein (menschliches oder nicht-menschliches) Tier unnötig zu leiden hat, wird unser politisches Engagement andauern. Ein Projekt, das ohnehin geplant war, ist eine Landing-Page, die insbesondere über das Tierleid aufklärt und die wir im Kontext des Vegi-Mensa-Antrags erstellt haben. Wir linken mit tausenden Flyern sowie mit abertausenden Online-Ads auf sie – es könnte sich dabei um eine der effektivsten Aktionsformen überhaupt handeln. Von dieser Initiative zurückbleiben werden hoffentlich progressive Veränderungen der Uni-Mensen sowie insgesamt eine Gesellschaft, die punkto Veganismus etwas besser informiert ist, die eher bereit ist, die Sache ernst zu nehmen und die damit dem tierrechtlichen Ziel ein bisschen näher gerückt ist.
Beteilige dich an der Diskussion

3 Kommentare

Lislott Pfaff
vor 11 Jahre

Adriano Mannino hat das Problem – um nicht zu sagen den Misstand – des Fleischkonsums brillant auf den Punkt gebracht. Genauso ist es. Mehr kann man dazu nicht sagen.

Grossen Dank!
Lislott Pfaff (81 Jahre alt, ehemalige medizinwissenschaftliche Übersetzerin in der Basler Pharma, seither Tierversuchsgegnerin)

Dänu Sutter
vor 11 Jahre

Klasse Interview, danke!

Marc Bonanomi
vor 11 Jahre

Danke, lieber Adriano, für dein Engagement für diese grossartige Sache an der Unimensa Basel. Deine Antworten auf die Fragen von Klaus Petrus sind, wie immer alle deine Äusserungen, glasklar formuliert, ich würde sagen druckreif für eine Publikation zum Thema Kantinenessen.
(Der Artikel in der BaZ ist zum kranklachen, wenn nicht zum Heulen.)

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