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Reflexion

Manche dürfen länger

Wieso eigentlich dürfen manche Tiere länger leben als andere? Hat es am Ende nur damit zu tun, dass wir die einen verhätscheln, die anderen aber verspeisen? Nicht nur, meint Klaus Petrus (TIF).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Alte Dame, junge Arbeiterinnen

Sie stammte aus Le Cazin im französischen Regny und war ihr Leben lang eine Schafferin. Mitte der 1990er Jahre brachte sie ihr erstes Kind zur Welt, 2005 ihr letztes. Insgesamt waren es acht. Drei von ihnen waren früh verstorben, eines hatte nicht einmal einen Namen. Nebenbei zog sie noch ein fremdes Kind auf, das ihr aber ebenfalls weggenommen wurde. Nach vielen Umwegen lebte sie in den vergangenen Jahren im Emmental. Dort verbrachte sie, wie man sagen könnte, ihren Lebensabend. Und starb unlängst im Alter von 21 Jahren.

So alt wie Tisane werden Kühe normalerweise nicht. Als „Milchkühe“ beispielsweise leben sie im Schnitt höchstens vier, fünf Jahre, dann sind viele von ihnen bereits ausgelaugt. Klauenprobleme, Gelenkschäden, Fruchtbarkeitsstörungen, Euterentzündungen: auch hierzulande landen 4 von 5 Kühen aus gesundheitlichen Gründen beim Schlachter. Und fast immer haben diese Erkrankungen mit den widernatürlichen „Milchleistungen“ zu tun, die Kühe erbringen müssen.

Leben ist nicht gleich Leben

Nicht alle Tiere müssen so jung sterben. Unseren „Haustieren“ etwa wünschen wir fraglos ein langes Leben – und ein gutes dazu. Nicht ohne Stolz berichten wir von unserem Hund, der inzwischen 14-jährig ist und rechnen sein Alter mal sieben in Menschenjahre um. Die Behandlung allfälliger Beschwerden unserer treuen GefährtInnen, lassen wir uns gerne etwas kosten, was die Tierindustrie freut: Spezialfutter, Aufbaupräparate, künstliche Hüftgelenke, Krebstherapien, Wellness und jede Menge Diätprogramme stehen allzeit bereit. Eine Studie hat ergeben, dass sich deutsche TierliebhaberInnen ein Hundeleben um die 14.000 Euro kosten lassen. Von der Wiege bis zur Bahre, sozusagen.

Länger leben dürfen auch Tiere, die etwas Exotisches an sich haben und uns faszinieren. Und die wir, vielleicht nicht zufällig, ihr Leben lang in Gefangenschaft halten. Wie diese Robbe namens Smoke im Bostoner Aquarium New England, die schon über 40 Jahre alt ist. Oder Fatou, die Gorilladame aus dem Berliner Zoo mit ihren 55, oder die Elefantenkuh Delhi vom Schweizer Circus Knie, die mit über 40 Jahren immer noch fürs Publikum das Männchen machen musste.

Einige dieser „Exemplare“ bekommen nach ihrem Ableben sogar einen Nachruf. So etwa die Schildkröte Harriet aus dem Australia Zoo, die Charles Darwin dannzumal auf den Galapagos Inseln aufgelesen hatte und die fast 180 Jahre alt wurde. Oder Alex, der angeblich klügste Graupapagei aller Zeiten mit einer eigenen Wiki-Seite: geb. ca. 1976, gest. 06.09.2007.

Lebensdauer gleich Nutzungsdauer?

Woran liegt es eigentlich, dass manche länger dürfen als andere? Zumindest für Tiere in unserer, wie es heisst, „Obhut“ gilt eine schlichte Formel: Lebensdauer = Nutzungsdauer. Mehr liegt häufig nicht drin.

Hochmästen und optimal verwerten © Klaus Petrus

Dabei ist die Palette der Verwendungszwecke, die wir für Tiere vorgesehen haben, bekanntlich sehr breit, sie reicht von der Ernährung über die Forschung bis hin zum Entertainment. Dementsprechend unterschiedlich sind die vorgefertigten Kategorien, denen wir Tiere zuordnen. Das bekannteste Beispiel ist die Unterteilung in „essbar“ und „nicht essbar“, die im Übrigen keineswegs so starr ist, denn: Welche Tiere in welche Rubrik fallen, ist nicht selten eine Frage der Kultur (oder des Geschmacks; man denke an Hunde, die in Vietnam oder Korea aufwändig zu Delikatessen verarbeitet werden). In anderer Hinsicht haben diese Kategorien aber etwas bedrohlich Definitives: Ist ein Tier für uns ein „Schosstier“, so wird es verhätschelt, sehen wir in ihm aber nichts anderes als „Schlachtvieh“, wird es verspiesen.

Dass es für Tiere einen Unterschied macht, ob sie für uns etwas „Essbares“ sind oder nicht, darf über eines nicht hinwegtäuschen: Meistens betrachten wir sie alle auf ein und dieselbe Art – nämlich als etwas, das uns gehört und das für uns da ist. Das gilt für „Nutztiere“ genauso wie für „Haustiere“. Der Unterschied besteht im Wesentlichen darin, dass erstere – anders als Hunde oder Katzen – für uns beliebig ersetzbar sind: ein „Mastschwein“ durch ein anderes „Mastschwein“, eine „Milchkuh“ durch eine andere „Milchkuh“. Während wir „Nutztiere“ also wie normale Dinge behandeln, betrachten wir unsere „Haustiere“ eher wie kostbare Wertgegenstände.

Leben statt verwerten

Ein Tier ist ein Tier. Erst in bestimmten Verhältnissen wird es zu einem „Nutztier“. Oder auch zum „Haustier“. [1] Im Falle etwa von Kühen sind diese Verhältnisse in unseren Breitengraden durch eine kapitalistische Verwertungslogik bestimmt, die Profit über Leben stellt und einzig darauf aus ist, Tiere sich selbst zu entfremden und sie dem Menschen verfügbar zu machen.

Dass Tiere, die viel arbeiten müssen, meist auch früher sterben, passt durchaus in dieses Schema. Aber das erklärt nicht alles. Das hohe Alter von Tisane hätte ausnahmsweise auch eine Leistungskuh erreichen können, die in züchterischen Kreisen als besonders „wertvoll“ gilt. Und dementsprechend umsorgt wird.

Der entscheidende Punkt ist ein anderer. Im Gegensatz zu einer „Milch-“ oder „Fleischkuh“ (oder einem „Mastschwein“ oder einer „Legehenne“) lebte Tisane eben nicht in Verhältnissen, unter denen sie als etwas betrachtet wurde, auf das wir Anspruch haben, weil es unser Eigentum ist und für uns da ist. Ganz im Gegenteil: sie lebte auf einem Lebenshof. Genauso wie auch Rosa; sie ist übrigens erst 3 Jahre alt.

Fussnote

[1] Wie man in Anlehnung an Karl Marx sagen könnte. In seinem Aufsatz „Lohnarbeit und Kapital“ von 1849 heisst es: „Ein Neger ist ein Neger. In bestimmten Verhältnissen wird er erst zum Sklaven“ (Frühschriften, Gütersloh, S. 445).

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5 Kommentare

Beat Stocker
vor 10 Jahre

Sei nachsichtig mit Karl Marx. Er lebte im vorletzten Jahrhundert.

C. Roth
vor 10 Jahre

Stimmt das, liebe Leute von der tif, was der Herr Stocker sagt? Dann würde es mich nämlich auch wundernehmen, was so einer wie Marx bei euch zu suchen hat.

Beat Stocker
vor 10 Jahre

Marx-Zitat??? Der wusste nicht mal was Tierrechte und Oekologie sind.

Markus Hoffer
vor 10 Jahre

Wieso genau wird im letzten Abschnitt Marx zitiert?

Beat Stocker
vor 10 Jahre

Bezüglich kapitalistische Verwertungslogik: Sozialismus heisst nicht automatisch keine Tierausbeutung. Das heutige Sozialismusdenken ist sehr menschenzentriert: Der Mensch über alles. Ich plädiere für einen Sozialismus, der die Tiere miteinbezieht. Einen bio-veganen Oeko-Sozialismus.

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