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Interview

„Ich will eine Welt ohne Ausbeutung“

Er ist seit vielen Jahren in Österreich politisch aktiv, bezeichnet sich als „Radikalkünstler" und war in den vergangenen Jahren massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt. Aber Chris Moser ist ein Unbeugsamer. Klaus Petrus von TIF hat sich mit ihm unterhalten.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Chris, du nennst dich „Radikalkünstler“ …
Diesen Ausdruck hab ich vor vielen Jahren kreiert. Ich wollte damals in erster Linie meine Arbeit von inhaltsfreien Exponaten abgrenzen, die sich zur Genüge am Kunstmarkt tummeln.

… und du provozierst fürs Leben gern.
Provokation heisst ja wörtlich „Herausforderung“. Sie ist für mich ein wesentlicher Teil der Kunst, aber auch des politischen Aktivismus. Ich will ja etwas auslösen, bewegen. Und das gelingt in der Kunst wie auch im politischen Aktivismus nur dann, wenn ich die Menschen herausfordere – eben provoziere. Ich möchte sie herausfordern, nach- und mitzudenken, sie herausfordern, zu hinterfragen. Die Provokation ist für mich sozusagen eine „Brechstange“, um den verkrusteten Mantel der allgemeinen Lethargie aufzubrechen. Der spanische Surrealist Salvador Dalí sagte mal: „Wer interessieren will, muss provozieren.“ Da ist was dran.

Gibt es Grenzen der Provokation?
Für mich ist die Grenze klar da, wo bestimmte Ethnien diskriminiert werden, oder wo bestimmte Gruppen sozusagen anti-emanzipatorisch „beleidigt“ werden. Wenn sich allerdings FleischfresserInnen oder andere reaktionäre Gruppierungen wie FaschistInnen oder Nazis durch meine Arbeit beleidigt oder diskriminiert fühlen, dann bereitet mir das mehr Freude als Kopfschmerzen.

Neue Kultfigur © Chris Moser

Nehmen wir deine Gipsarbeit „Neue Kultfigur“. Wenn jemand zu Dir sagen würde: „Moser, ich hab dir doch gar nichts getan, das ist mein ganz privater Glaube, den du hier in den Schmutz ziehst, und das ist einfach nicht recht!“ Würdest du diese Haltung nachvollziehen können?
Ja, ich würde sie heute mehr verstehen als 1997, als die Arbeit entstand. Grundsätzlich würde ich aber gerade beim Katholizismus – und es ist klar die katholische Symbolik, die ich phasenweise verwendete – sagen: Das ist keine Privatsache!

Wieso?
Unter dem Symbol des katholischen Kreuzes sind mehr Morde passiert, als die meisten vermuten würden. Und noch heute werden wir mir diesem Konstrukt zwangsgeimpft. Meine Auseinandersetzung damit ist natürlich in meiner kulturellen Sozialisation zu suchen. Jedenfalls setzen sich meine Arbeiten, die auf Religiöses Bezug nehmen, viel mehr mit einer Institution auseinander, die sehr viel Dreck am Stecken hat – und weniger mit dem Glauben an sich. Und gerade die von dir genannte Arbeit kritisiert ja nicht die religiöse Anschauung, sondern das, was daraus geworden ist.

Zum Beispiel das viel zitierte Postulat der Nächstenliebe?
Genau. Wo einst selbstlose „Nächstenliebe“ propagiert wurde, geht es zivilisatorisch heute um Medienterror und institutionalisierte Sexualität. Aber wie auch immer: Ich habe in den vergangenen Jahren auch religiöse Menschen kennen gelernt, die ich trotz – oder vielleicht sogar wegen – ihres Glaubens sehr schätze.

Du betonst immer wieder: Kunst muss politisch sein! Was genau heisst das für dich?
Damit meine ich: Inhalte und Themen, die sich kritisch und emanzipatorisch mit den herrschenden Verhältnissen beschäftigen – Kunst mit dem Willen zur unbedingten Veränderung! Allerdings sehe ich hier für mich auch eine klare gesellschaftliche und politische Verpflichtung. Selbstverständlich muss Kunst nicht kritisch, politisch, revolutionär und radikal sein, aber: Solange es Ungerechtigkeiten und Ausbeutung gibt, ist es die Pflicht der Kunst – ob nun von bildender Kunst, Musik oder Literatur –, dagegen vorzugehen. Werke, die nicht auf emanzipatorischen Grundgedanken aufbauen und somit rein gestalterischer und dekorativer Natur sind, dienen offenbar einzig der Zerstreuung – einer Zerstreuung, die den revolutionären Bewegungen Kraft nimmt und somit im Dienst von Ungerechtigkeit und Ausbeutung steht.

Hand aufs Herz: Wäre alle Kunst politisch, wer würde sich noch dafür interessieren? Ist es nicht so, dass viele von uns mit Kunst etwas Ästhetisches verbinden oder sich einfach unterhalten möchten?
Ästhetik? Sehr gern! Das schliesst elementare Themen und revolutionäre Auseinandersetzungen ja keinesfalls aus. Aber reine Unterhaltung? Das würde ich nicht mehr unbedingt als Kunst sehen wollen.

Womit wir wieder bei der „Radikalkunst“ wären.
Ja, all das mag, wie zu Beginn gesagt, auch einer der Grund gewesen sein, warum ich für mich den Begriff der Radikalkunst kreiert habe. Die Kunst hat frei zu sein, aber: auch frei von Inhalt? Ich denke nicht.

In deinem neuen Buch „M.E.“ sagst du sinngemäss: Als Aktivist muss ich immer wieder Kompromisse eingehen, als Künstler dagegen kann ich bedingungslos konsequent sein! Wenn du die Kunst nicht hättest, könntest du mit diesen Kompromissen leben?
Schwer zu sagen. Ich denke, dann hätt‘ ich wahrscheinlich ein anderes Ventil, eine andere Art, die Dinge beim Namen zu nennen.

Welche Kompromisse bist du bereit einzugehen?
Das müsste man anhand konkreter Fälle diskutieren. Zum Beispiel beteilige ich mich an Besetzungen und Blockaden. Damit kann man manchmal leider nur auf die allerschlimmsten Auswüchse und Facetten von Mechanismen aufmerksam machen, obwohl ich den ganzen Mechanismus in seiner grausamen Gesamtheit zutiefst ablehne. Das betrifft sowohl Tierrechte wie auch Menschenrechte. Ich will eine Welt ohne Unterdrückung und Ausbeutung: Veganarchismus. Ich denke, schlussendlich heisst das Zauberwort eben Bewusstseinsbildung. Allerdings gibt es m.E. kein Patentrezept, wie das anzustellen ist. Die Menschen da abzuholen, wo sie gerade sind – auch das ist immer wieder ein riesiger Kompromiss für mich.

Du orientierst dich am anarchistischen Grundsatz: Lebe hier & jetzt so, wie du dir Zukunft wünschst: „eine Welt ohne Ausbeutung von Mensch und Tier“. Führt das angesichts der Wucht und Macht des bestehenden Systems nicht notgedrungen dazu, dass man sich eine private Insel erschafft? Ich meine: Du selber wohnst ja ziemlich abgeschieden und pflegst, wie manche sagen würden, einen ziemlich alternativen Lebensstil …
Was heisst „alternativ“? Eine Alternative zum gängigen turbokapitalistischen Mördersystem? Dann ja, natürlich! Ob das eine Insel ist, weiss ich nicht. Ich setze mich ja mehrmals wöchentlich auf Tierrechtsinfodemos der ganzen Masse an Ignoranz aus. Ähnlich ist das bei meinen Ausstellung. Und dann gehe ich einer Lohnarbeit nach. Dass ich da zwischenzeitlich einen Platz brauche, wo ich auftanken kann, ist doch klar. Nicht zuletzt wünsche ich mir natürlich auch für meine Kinder eine Möglichkeit, so gut es geht ohne kapitalistische und speziesistische Indoktrination aufzuwachsen.

Angenommen, deine Art zu leben sei im Sinne des Grundsatzes Hier & Jetzt „vorbildlich“ – würde das denn bedeuten, dass wir uns ein stückweit weg von der Zivilisation bewegen sollten?
Wir sehen doch, wohin uns das, was so schön als „Zivilisation“ beschrieben wird, geführt hat. Ja, ich bin sicher, dass vieles von dem, was wir derzeit so haben und hochhalten, ganz klar mehr Schaden bringt als Nutzen. Eine Reduzierung dessen, was wir zum Leben brauchen, halte ich für einen wichtigen Ansatz.

Du hast schlimme Erfahrungen mit staatlichen Repressionen gemacht. Und doch bist du optimistisch. Zum Beispiel schreibst du in deinem Buch, die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung sei zur wichtigsten Sozialbewegung der Gegenwart geworden. Ich selber bin da skeptischer. Noch nie wurden, selbst in Wohlstandsländern wie Österreich oder der Schweiz, so viele Tiere gezüchtet, eingesperrt, gemästet und geschlachtet wie heute. Woher kommt dein Optimismus?
Ja, jetzt mit konkreten Beispielen aufzufahren, ist wohl schwierig. Ich sehe halt auch immer den Aspekt Veganismus. Als wir uns vor 15 Jahren dazu entschieden haben, vegan zu leben, mussten wir uns beispielsweise den Tofu in stundenlangen Prozeduren noch selbst machen, ebenso Seitan. Und ich weiss nicht, wie oft ich den Leuten damals erklärt habe, dass es nicht „veganisch“ heisst, sondern: „vegan“. Da hat sich, auch vom Angebot her, sehr viel getan.

Und was ist mit Tierrechten?
Während ich zum Beispiel früher in meiner Strassenaktivität Mühe hatte, die Menschen mit erschütternden Informationen und ernüchternden Fakten über die Tierausbeutung zu erreichen, werde ich inzwischen als Redner zu Univorträgen und in Schulen zum Ethikunterricht eingeladen. Oder ich lese, wie jüngst in Saarbrücken, vor 250 interessierten Leuten aus meinen Büchern. Aber allgemein hat mich vielleicht gerade auch die Erfahrung mit der Repression gegen uns als Tierbefreiungsbewegung optimistisch werden lassen. Um es mit Gandhi zu sagen: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ Wir werden bekämpft, der nächste Schritt wird sein, dass wir gewinnen!

moser_chris

 

Foto © Chris Moser

Chris Moser, geboren 1976, lebt als Künstler und politischer Aktivist in Tirol. Er war Angeklagter im Österreichischen Tierschutzprozess und wurde 2011 freigesprochen. Seine Erfahrungen mit staatlicher Repression hat er in seinem Buch Die Kunst, Widerstand zu leisten (2012) niedergeschrieben. Sein zweites Buch trägt den Titel M.E. und ist 2013 erschienen.

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5 Kommentare

Sonja
vor 9 Jahre

Es gibt so viele Fronten an denen zu kämpfen sich lohnt. Auch Chris hat eine Seite gefunden, die meine Hochachtung hat.
Danke Dir, du bringst wieder etwas Optimismus in die Welt, denn sie sieht und hört ja wohl was alles passiert! Und ganz langsam wachen immer mehr Menschen auf!

Carin Folkerts
vor 10 Jahre

Chris Mosers Lebenswerk macht Hoffnung, trotz steigender Schlachtzahlen und einem ausufernden globalen Fleischkonsum. Danke dafür!

Christian Tatanka
vor 10 Jahre

Chris ich bewundere dich und deine Geschichte!Was du von dir gibst ist sehr authentisch und kommt vom Herzen! Dazu fällt mir nur noch eines ein! Bravo und mach bitte weiter so ! Es stehen viele Menschen hinter dir!

Avenida
vor 10 Jahre

Ich kann das, was hier gesagt und vertreten wird
1/1 nachvollziehen! Ich freu mich jedesmal sehr über solche Brüder oder Schwetern im Geiste!Mir gefällt besonders, daß kein Blatt vor den Mund genommen wird. Ja-es ist einfach ein turbokapitlistisches Mördersystem mit immer noch mehrheitlichen Fleischfressern! Wenn ich z.B. immer so viel von Toleranz gegenüber den Fleischessern lese und höre aus der veganen Ecke, dann frage ich mich immer, wo dabei das Mitleid mit den Tieren dann bleibt! Wen dieses Leid in der Seele quält, der kann nicht tolerant gegenüber den mitleidlosen Mitquälern sein, denn das sind die Fleischesser doch!

Marc Bonanomi
vor 10 Jahre

merci viumau, Klaus!!!
Ein herausragender Text, sowohl was die Fragen wie auch die mutmachenden Antworten betrifft.
Eine kleine persönliche Einschränkung: Sicher darf man und muss man die katholische Kirche kritisieren. Aber irgend einmal müsste man auch die (katholische!) Befreiungstheologie in Südamerika erwähnen.

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