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Interview

„Die Tierbefreiungsbewegung muss radikal bleiben“

Es ist ein offenes Geheimnis: Auch die Linke tut sich schwer mit den Anliegen der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung. Aber wieso eigentlich? Und was sollte im Gegenzug die Tierbefreiungsbewegung tun, um die Linke für sich zu gewinnen? Klaus Petrus von tier-im-fokus.ch (TIF) im Gespräch mit dem Publizisten und Aktivisten Matthias Rude.

Text: Tier im Fokus (TIF)

KLAUS PETRUS: Eigentlich ist die Linke dafür bekannt, ungemein emanzipatorische Ansprüche zu erheben. Geht es um Tiere, ist davon aber wenig bis gar nichts zu spüren. MATTHIAS RUDE: Das stimmt. Geht’s um Naturverhältnisse, sinkt das Niveau linker Debatten schlagartig, hat Susann Witt-Stahl einmal festgestellt, und von einer „intellektuellen Misere der speziesistischen Linken“ gesprochen – also quasi: Fanatisch für Fleisch und dumm wie Brot. Dabei sprach schon Friedrich Engels davon, dass er die falsche Überheblichkeit des Menschen gegenüber den anderen Tieren verachte, und in der linken Theorietradition finden sich zahlreiche Ansätze, in denen emanzipatorische Forderungen über den Kreis der Menschen hinaus ausgedehnt werden. Seit es den Kapitalismus und die Tierindustrie gibt, gibt es auch antikapitalistische Proteste gegen Tierausbeutung. Doch wurden diese Ansätze in der Linken nicht sonderlich populär… Ja, über eine lange Zeit hinweg hielt linke Theorie und Praxis fast ungebrochen am aufgeklärt-bürgerlichen Glauben eines emanzipatorischen Fortschritts der Gesellschaft mittels rationaler Naturbeherrschung fest. Das änderte sich eigentlich erst ab den 1940er Jahren, als bedeutende marxistische Theoretiker, Vertreter der Kritischen Theorie wie Adorno, Horkheimer und Marcuse, die unterdrückte menschliche und nichtmenschliche Natur ins Zentrum ihrer Überlegungen rückten und den marxistischen, historisch-kritischen Materialismus um die Forderung nach der Befreiung der Tiere erweiterten. Sie erkennen, wie Adorno es formuliert, „dass die Utopie in jene sich vermummt, denen Marx es nicht einmal gönnt, dass sie als Arbeitende Mehrwert liefern“ – und damit sind die Tiere gemeint. Gerade in progressiven Kreisen der Linken ist man der Meinung, erst müsse die soziale Frage geklärt werden, und die betreffe den Menschen, nicht aber das Tier. Die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung sieht das anders: Die Befreiung von Mensch und Tier gehe Hand in Hand. Was ist damit gemeint? Es ist ein Fehler, die Tiere im Rahmen einer Kritik der Gesellschaft nicht zu beachten. Auch sie müssen zur Verwirklichung einer emanzipierten Gesellschaft aus den Ausbeutungsverhältnissen befreit werden, in denen sie zu leben gezwungen sind. Will man verstehen, weshalb die Befreiung der Tiere und die menschliche Emanzipation sich gegenseitig bedingen, so hilft es, eine historische Perspektive einzunehmen. Dann sieht man, dass die Geschichte der Anstrengungen des Menschen, über die Natur und die Tiere zu herrschen, auch die Geschichte der Herrschaft des Menschen über den Menschen ist. Naturbeherrschung schließt Menschenbeherrschung ein: Jedes gesellschaftliche Subjekt hat nicht nur an der Unterjochung der äußeren Natur – der menschlichen und der nichtmenschlichen – teilzunehmen, sondern muss, um das zu leisten, auch die Naturanteile, sozusagen das Tier in sich selbst, beherrschen. Dergestalt unterdrückte und verdrängte Triebimpulse werden auch auf gewisse Menschengruppen projiziert, die als naturnah, als Tiere oder tierähnlich dargestellt werden. Wie zum Beispiel? In die Sphäre des Natürlichen, die es zu beherrschen gilt, fallen traditionell nicht nur die Tiere, sondern auch die zu beherrschende Frau und der zu unterjochende Fremde. Auf diese Art und Weise diente das Ausbeutungsverhältnis gegenüber der Natur und den Tieren, in dem die Geschichte der Zivilisation ihren Ursprung hat, seit je als Legitimationsfolie für Gewalttaten an Menschen und ist somit in vielfältiger Art und Weise ideologisch mit der Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen verbunden. Und deshalb können, wie du schreibst, die auf die Befreiung des Menschen zielenden Emanzipationsbewegungen nicht vollständig zum Ziel führen, solange sie diesen Aspekt ausblenden? Genau. Die Gewalt, die wir gegen Tiere übten, schlägt gegen uns um – und sollte also nicht nur zum Wohl der Tiere, sondern auch zu unserem eigenen überwunden werden. Für Horkheimer beispielsweise war das ganz klar – er schrieb im Zusammenhang seines Engagements gegen Tierversuche, der Kampf für das Tier sei auch ein Kampf für den Menschen. Was müsste die Tierbefreiungsbewegung denn tun, um die Linke für sich zu gewinnen? Sie müsste aus dem Bann bürgerlicher Ideologie treten, in welchem sie teilweise noch steht, und sich noch stärker in sozialen Kämpfen engagieren. Kannst du das an einem Beispiel ausführen? Beispielsweise beteiligen sich manche Gruppen bereits bei Aktionen zum 1. Mai oder bei antikapitalistischen Protesten wie „Blockupy“. Dann stimmt es nicht, dass die Tierbefreiungsbewegung sich bloß mit abstrakter Theorie beschäftigt, oder damit, sich von allen anderen abzugrenzen, wie manche sagen? Nein, das sehe ich nicht so. Die Stärke der Praxis der Bewegung ist, dass sie, und zwar um einiges energischer als viele anderen linken oder sozialen Bewegungen, ganz konkret dort ansetzt, wo Ausbeutung und Leiden stattfindet. Mit diesem Vorgehen konnte sie bereits große Erfolge erzielen. Damit könnte sie gerade in diesem Bereich eigentlich sogar Vorbild für linke Bewegungen sein. Konkret gefragt: Welche politischen Ziele verfolgt die Tierbefreiungsbewegung und mit welchen Mitteln möchte sie diese umsetzen – hier und jetzt? Die Tierbefreiungsbewegung versucht, quasi direkt an der ökonomischen Basis anzusetzen und Unternehmen, die von Ausbeutung profitieren, durch Kampagnen oder auch durch Sabotage, ja auch durch Brandstiftung oder Sachbeschädigung und so weiter, unter Druck zu setzen. Politische Ziele sind die Abschaffung der Tierausbeutung und die Errichtung einer befreiten Gesellschaft für Mensch und Tier. Du hast zuvor von großen Erfolgen der Bewegung geredet, was hast du da vor Augen? Beispielsweise die Kampagnen gegen Pelz, die so wirksam waren, dass Unternehmen aufgrund der bloßen Ankündigung, dass sie das nächste Ziel der Kampagne werden sollen, aus dem Pelzhandel ausgestiegen sind. Auf gesellschaftlicher Ebene scheint sich ein Trend hin zu einem veganen Lifestyle abzuzeichnen. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung doch Erfolge verzeichnen kann? Oder bist du skeptisch? Es ist sicher zunächst einmal als ein gewisser Erfolg zu verbuchen. Aber skeptisch bin ich durchaus. Der Kapitalismus ist ja in der Lage, widerständige Bewegungen zu integrieren und noch Profit aus ihnen zu schlagen. Das ist schon mit der Lebensreformbewegung passiert, die ja auch zum Ziel hatte, die Gesellschaft als Ganzes zu ändern; alles, was heute von ihr übrig geblieben ist, sind die Reformhäuser. Das passiert im Moment auch mit dem Veganismus. Die vegane Bewegung im deutschsprachigen Raum war anfangs strikt antikapitalistisch, im Selbstverständnis der Veganen Offensive Ruhrgebiet, einer überregionalen deutschen Gruppe, die sich bis ins Münster- und Rheinland hinein rekrutierte und den Veganismus in den 1990er Jahren bekannt machte, ist etwa davon die Rede, das „Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem in seiner komplexen und verzahnten Ganzheit anzugreifen“. Und heute, 20 Jahre danach? Inzwischen wurde die vegane Sparte als Wachstumsmarkt erkannt. Also wird ein „neuer“ Veganismus geschaffen, der in den Liberalismus passt. Kritik an Ausbeutung oder gar das Infragestellen der herrschenden Eigentumsverhältnisse hat hier natürlich nichts verloren. Propagiert wird ein mit Gesundheit, Jugend und Schlankheit assoziierter „Lifestyle“, der mit einer Konsummentalität, die ständig neue, teure Produkte verlangt, konform geht – mehr nicht. Trend hin oder her: Viele, die in anderen und gerade auch linken Bewegungen aktiv sind, empfinden den Veganismus als zu rigoros, zu sektiererisch, sie wollen sich keinen Lebensstil „aufzwingen“ lassen. Kannst du das nachvollziehen? Nein. Gerade wenn man fortschrittlich sein will und gegen Ausbeutung eintritt, so ist auf der individuellen Ebene der Veganismus die einzige logische Konsequenz. Dagegen gibt es keine Argumente. Du hast dich intensiv mit der Geschichte der Tierbefreiungsbewegung auseinandergesetzt. Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie wird sie sich, deiner Meinung nach, weiter entwickeln? Die Tierbefreiungsbewegung wird stärker werden in den nächsten Jahren, weil immer mehr Menschen die schrecklichen Auswirkungen des industriellen Systems der Tierausbeutung auf die Tiere, auf die Umwelt und den Menschen sehen und wir, was die technische Entwicklung angeht, auf einem gesellschaftlichen Stand angelangt sind, der Tierausbeutung unnötig macht. Und wo siehst du für die Bewegung Gefahren? Sie muss jetzt aufpassen, dass sie sich nicht blenden lässt vom Erfolg der veganen Idee. Der „neue“, als „undogmatisch“ geltende Veganismus wird ja in den Feuilletons gefeiert, gewisse Köche von den Medien protegiert – aber natürlich nur, weil sie die Ausbeutungsverhältnisse nicht mehr klar benennen und grundsätzlich in Frage stellen. Die Tierbefreiungsbewegung muss radikal bleiben, das heißt, sie muss grundsätzlich an der Produktionsweise des Kapitalismus rütteln, die Mensch, Tier und Natur ausbeutet und zerstört. Die vegane Bewegung selbst hat hier den Fehler gemacht, dass sie zu wenig gesehen hat, dass bloße Appelle an eine Veränderung des Konsums noch keine Umwälzung der Produktion nach sich ziehen. Es reicht eben nicht, nach diesem individuellen Schritt stehen zu bleiben. Dass die Nachfrage das Angebot bestimmt, ist der große Irrtum derjenigen Sparte der veganen Bewegung, die meint, lediglich durch ihren Konsum etwas ändern zu können. So einfach funktioniert der Markt nun mal nicht. Beispielsweise ist der Markt für Hühnerfleisch in Europa längst übersättigt, dennoch wird im niedersächsischen Wietze derzeit die größte Hühner-Schlachtfabrik Europas gebaut. Nicht primär durch individuelle Konsumentscheidungen wird sich die Gesellschaft als Ganzes ändern, sondern durch tiefgreifende Veränderungen in der Sphäre der Produktion. Diese sind nur durch den Aufbau einer starken politischen Bewegung zu erreichen.
Matthias Rude, Jahrgang 1983, Studium der Philosophie und Religionswissenschaft in Tübingen, aktiv in der Tierbefreiungsbewegung und der Linken; Publikationen in linken Zeitungen und Zeitschriften. Von ihm erschien 2013 im Rahmen der „theorie.org“-Reihe des Stuttgarter Schmetterling-Verlags das Buch Antispeziesismus.

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6 Kommentare

Detlef Arndt
vor 9 Jahre

Die Tierrechtsbewegung muss sich um wieder radikaler zu werden nur mal an ihre Anfänge erinnern, die mit der Hunt Saboteurs Association in England begannen, aus der sich dann 1976 die Alf mit den ersten autonomen Aktionen entwickelte. Ohne einen solchen erneuten Kick, wird die Bewegung durch den veganen Lifestyle eher geschwächt.

— HSA 1963 – Protest to Resistance —
http://www.huntsabs.org.uk/index.php/about-the-hsa/hsa-history

„Im Jahr 1944 gründet Donald Watson in England die erste Vegane Gesellschaft der Welt, die Vegan Society UK, und erfindet das Wort „vegan“ für „völlig ohne tierliche Produkte“, das sich aus den ersten drei und letzten zwei Buchstaben von „vegetarian“ zusammensetzt. Die Gesellschaft ist bis heute aktiv und hat in den meisten europäischen und nordamerikanischen Ländern sowie in Australien und Neuseeland (und auch in Österreich seit 1999) NachahmerInnen gefunden.

Erst in den 1960er Jahren wacht die Tierrechtsbewegung wieder richtig auf. Der englische Journalist John Prestige gründet im Jahr 1963 die englische Hunt Saboteurs Association und sabotiert am 26. Dezember 1963 mit FreundInnen zusammen zum ersten Mal eine Jagd. Diese Vereinigung blieb bis heute aktiv und zählt im Moment etwa 150 regionale Gruppen über England, Schottland und Wales verteilt. Seitdem gab es in den verschiedensten anderen Ländern – auch in Österreich – Jagdsabotagen.

Im Jahr 1964 veröffentlicht Ruth Harrison ihr Buch „Animal Machines“ (Vincent Stuart, 1964), in dem zum ersten Mal die Massentierhaltung angeprangert wird. Am 10. Oktober 1965 erscheint der Artikel „The Rights of Animals“ in der Sunday Times in England, die erste Abhandlung dieses Themas seit Salt’s Buch aus dem Jahr 1892. Im Jahr 1969 publiziert Richard Ryder 3 Artikel über Tierrechte im Daily Telegraph und entwickelt im Jahr 1970 den Begriff „Speziesismus“ für „die willkürliche Benachteiligung anderer aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Tierart“, der das erste Mal in einem Flugblatt auftaucht. 1973 erscheint das Buch „Animals, Men and Morals“, eine Sammlung von Artikeln über Tierrechte, editiert von Godlovitch, Godlovitch und Harris, im Verlag Taplinger. Heute wird dieses Buch als Manifest für die Tierbefreiungsbewegung bezeichnet, das die moderne Bewegung ins Rollen gebracht hat (Garner, „Animal Rights“, New York Univ. Press, 1996).“ — http://www.tenskwatawa.de/index.php?title=Tierrechtsbewegung

Frank Albrecht
vor 9 Jahre

Danke für diesen Artikel! Schön zu wissen, dass man nicht allein so denkt.

Angel Heart
vor 9 Jahre

Leider ist das Bekenntnis zu Menschenrechten von Seiten vieler TierrechtlerInnen nur ein Lippenbekenntnis. Es wird sich zwar größteneils gegen Holocaust- und KZ-Vergleiche, so wie Menschenfeindlichkeit ausgesprochen, im Real Life wird das dann aber nicht mehr so eng gesehen. Der Holocaustrelativierer Steven Best war 2011 gleich bei zwei Tierrechtsgruppen (Tierrechtsinitiative Rhein Main und Voice of Liberartion) mit einem Vortrag zu Gast, die sich zwar gegen diese Vergleiche aussprechen, wenn ein Prominenter kommt, wird es dann aber nicht mehr so eng gesehen. Diese Halbherzigkeit ist es, die viele Linke in ihrem Vorurteil bestätigt, der Antispeziesismus wäre menschenverachtend. Ich rede mir den Mund fusselig, um das Gegenteil zu beweisen, erkläre, das wäre nur ein bestimmter Teil der Tierrechtsbewegung, der so denkt und dann kommt ein Professor Steven Best aus USA und alles war umsonst.

tierrechtsgruppe Zürich
vor 9 Jahre
Marc Bonanomi
vor 9 Jahre

Also wäre genau heute der Tag, um öffentlich am 1. Maiumzug die Tierbefreiung zu proklamieren. Wer macht mit?

Besser noch: Wir bereiten den 1. Mai 2015 vor, mit Transpis und möglichst mit Zugang zum Rednerpult auf dem Bundesplatz.

Klaus, dieser Artikel ist einer der besten, den ich las zum Thema Linke und die Tiere, danke!

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