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Nutztierhaltung

Tiere ab Fliessband

Seit 1990 hat sich weltweit der Konsum von Fleisch verdoppelt, die Nachfrage nimmt stetig zu. Um sie zu befriedigen, braucht es Tiere am laufenden Band. Ein Bericht der Zeitschrift "Beobachter Natur" informiert über immer neuere Strategien, wie die Nutztierhaltung optimiert werden soll – und verschweigt nicht, dass diese in den meisten Fällen mit schweren Eingriffen in das Wohlbefinden der Tiere verbunden sind. Von Klaus Petrus (tif).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Die Titelstory Hightech im Stall der Ausgabe 4/2009 von „Beobachter Natur“ beginnt mit einer Schilderung über das Freilichtmuseum Ballenberg und bäuerische Szenen à la Gotthelf, die dort allgegenwärtig sind. Die Reportage endet mit dem Satz: „Die gute alte Ballenberg-Idylle bleibt für alle Zeiten verloren.“

Auf den Seiten dazwischen zeichnet die Journalistin Andrea Haefely das Bild einer Schweizer Viehwirtschaft, die ihre Unschuld längst verloren hat. Unter dem Diktat der Wirtschaftlichkeit werden auch hierzulande unaufhörlich Hightech-Methoden entwickelt und erprobt, die die Nutzung von Tieren verbessern sollen – freilich „im Sinne des Ertrags, nicht des Tiers“, wie die Autorin betont.

Nummer CH 460.0182.6294.8

Sie tragen Nummernschilder und werden auf Höchstleistungen getrimmt. Dass sie darob erkranken, gehört zum Kalkül. Zu Hundert- und Tausendschaften auf engstem Raum eingesperrt, wachsen sie noch im Kindesalter zu Fleischmaschinen heran mit einem Gewicht, das sie unter einigermassen normalen Bedingungen Zeit ihres Lebens nicht erreichen würden.

Lebenslang 0.9 m2 © Christoph Busse

Die Rede ist von sogenannten „Nutztieren“. Und damit von einer vollständigen Verdinglichung von „Lebewesen mit Gefühlen und Schmerzempfinden“: Von Schweizer Kühen beispielsweise, die im Schnitt 6.000 Liter Milch pro Jahr produzieren und denen ihre Euter längst zu einer gefährlichen Last geworden sind; von Grossmästereien, die 500 Schweine in einem einzigen Stall halten, und zwar auf 0.9 Quadratmeter pro 110 Kilogramm schwerem Tier; von „Güggelifabriken“, die bis zu 12.000 Hühner fassen.

Die Situation auf Biohöfen unterscheidet sich davon nicht grundsätzlich: bloss 4.000 Masthühner statt 5.000 oder mehr sind erlaubt. „Für das Gros der Tiere“, folgert Haefely, „ändert auch Bio nicht viel.“

„Handfeste Eingriffe“

Die Rede ist auch von massiven Eingriffen ins Wohlbefinden dieser Tiere. Zwar sind gewisse Methoden mit der neuen Tierschutzverordnung, die seit September 2008 in der Schweiz in Kraft ist, nicht mehr erlaubt. Beispielsweise ist es verboten, die Schnäbel von Hühnern mit einer Zange zu kupieren. Heute wird die Schnabelspitze der Tiere mit einem heissen Eisen oder an einem Spannungsbogen zwischen zwei Elektroden abgeschmolzen. Auch können Ferkel weiterhin kastriert werden, wenn auch mit Auflagen.

Ebenso selbstverständlich ist die Enthornung von Kälbern – eine selbst aus veterinärmedizinischer Sicht mit massiven Schmerzen verbundene Prozedur. Auch sie kann letztlich nur mit wirtschaftlichen Erwägungen gerechtfertigt werden. Etliche Leute sind der Auffassung, dass behornte Rinder gerade in so genannten Laufställen für die anderen Tiere oder für den Bauern einen erheblichen „Risikofaktor“ darstellen.

Der Vorschlag gewisser Agronomen, das Stall-Management den Kühen anzupassen (und nicht etwa umgekehrt), scheint nicht eigentlich eine Option, denn: mehr Platz heisst grössere Ställe heisst finanzielle Einbussen.

Ware Nutztier: kurzlebig und ersetzbar

Tiere ab Fliessband, das bedeutet auch: Sie dürfen kurzlebig, müssen in jedem Fall aber ersetzbar sein.

Selbst Milchkühe – die am längsten genutzten Tiere in der Landwirtschaft – werden heute bereits nach rund sechs Jahren „entsorgt“. Dabei könnten sie problemlos 20 und mehr Jahre alt werden. Ihre Kinder werden als Bullenkälber nach nur sechs Monaten geschlachtet, als Mastrinder nach knapp einem Jahr.

Eben geschlüpft: in 5 Monaten sind sie Legehennen, die männlichen Küken sind bereits vergast © Karin Hofer

Kaninchen könnten 10 Jahre alt werden; getötet werden sie nach 10 Wochen. Hühner werden im Schnitt mit 18 Monaten geschlachtet, sie würden gut und gerne 18 Jahre leben. Die männlichen Küken werden – da sie naturgemäss keine Eier legen und auch für die Mast ungeeignet sind – unmittelbar nach dem Schlüpfen vergast. In der Schweiz sind das 2.3 Millionen jedes Jahr, also: 2.300.000 Lebewesen.

Schweine haben eine Lebenserwartung von 12 Jahren; ihr Schlachtalter liegt bei sechs Monaten. Bis dahin sind sie über 100 Kilogramm schwer, haben infolge züchterischer Eingriffe 16 statt wie früher 12 Rippen und sind genetisch so manipuliert, dass sich ihr Rückenfett von 40 auf 2 Zentimeter reduziert hat. Und so weiter.

Ein Stück Aufklärung

Man mag bedauern, dass die Reportage nicht auf die Konsequenzen eingeht, die aus alledem zu ziehen sind. So wäre laut über die teils fragwürdige Subventionspolitik des Bundes nachzudenken, über die ökologischen Auswirkungen der Nutztierhaltung auch für die kleine Schweiz, über die bisweilen unheilvolle Allianz zwischen Tierschutz und Tiernutzungsindustrie und nicht zuletzt über das Konsumverhalten von uns allen.

Angesichts der Tatsache, dass viele von uns kaum darüber Bescheid wissen, was tagtäglich mit „Nutztieren“ geschieht, leistet Haefelys Beitrag aber wichtige Aufklärungsarbeit und wird gewiss zum Nachdenken anregen.

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1 Kommentar

sanie insanity
vor 11 Jahre

Es ist so traurig, die herzlose Menschenmasse, die Karnismus betreibt…

Lebt bitte vegan!
Frieden auf Erden heißt für ALLE Lebewesen!
Warum töten und ausbeuten, wenn es nicht sein muss? Unlogisch, herzlos, egoistisch, nein danke.

Die Würde eines Lebewesens ist unantastbar!
vegan ist lecker, umweltfreundlich, tierfreundlich, menschenfreundlich, kein Verzicht, nur ein Ersatz! eine Erneuerung!
Unser Bewusstsein muss sich erneuern und somit auch unsere Ernährung! vegan ist der einzige und beste Weg.

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