27
Nutztierhaltung

Rinder im Abgastest

Rinder gelten als Klimasünder, als Methan-Bombe sondergleichen. Nun versuchen Wissenschaftler, sie mit handfesten Eingriffen zu manipulieren und umzupolen. Und verlagern damit bloss das Problem. Ein Beitrag von Klaus Petrus (tif).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Kein Aprilscherz, sondern Wissenschaft

Ein bisschen mulmig konnte einem schon werden bei diesen Bildern von Rindern mit Löchern im Bauch, wie sie unlängst in der Schweizer Tagespresse zu sehen waren.

Per Stöpsel wollen argentinische ForscherInnen direkten Einblick in das Magenlabyrinth der Tiere gewinnen, um so herauszufinden, „wie man die guten Eigenschaften des Gras-Fleischs künstlich erzeugen kann“. Es gehe darum, das Geheimnis zu lüften, warum die weltberühmten Pampasteaks so schmackhaft sind.

Das kann gut sein, der eigentliche Hintergrund ist aber ein anderer. Schon seit Jahren ist sich die Fachwelt einig: Wir sollten den Rindern schleunigst das Grasen austreiben! Denn je mehr Gras ein Rind verzehrt, umso mehr Gas entsteht bei der Verdauung im Magen, das alle 40 Sekunden als Rülpser entweicht. Für das Tier im Grunde ein natürlicher, ja lebensnotwendiger Prozess, für den Planeten aber eine mindere Katastrophe.

Denn die Rede ist von Methan, einem Gas, das auch im Kyoto-Protokoll aufgelistet ist und sich auf die globale Klimaerwärmung 23mal stärker auswirkt als das berühmt-berüchtigte CO2.

Die Welternährungsorganisation (FAO) geht davon aus, dass global 260 Millionen Tonnen Methan pro Jahr anfallen, mehr als ein Drittel wird durch Wiederkäuer verursacht. Im Schnitt stösst eine Kuh 300 bis 500 Liter Methan pro Tag aus, was sich durchaus summiert. Schätzungsweise 1.4 Milliarden Rinder bevölkern diesen Planeten, in der Schweiz sind es 1.6 Millionen.

Foto © tier-im-fokus.ch

Verpuffte Energie

Die Kuh als Klimasündern? Per Knopfdruck lasse sich der Klimawandel ohnehin nicht mehr aufhalten, es gehe darum, jedes nur erdenkliche Potenzial zur Senkung der Emissionen zu nutzen, meint Carla Soliva von der ETH Zürich. Und das liegt offenbar auch bei beim Rind.

Das Spektrum an Technologien, die das Wohl der Tiere weitgehend ausblenden, aber uns und unserem Planeten anscheinend Besserung verheissen, ist breit gefächert. Dazu gehören reichlich absurde Versuche, den Wiederkäuern Plastiktonnen auf den Rücken zu binden, um so das Methan aufzufangen („Methanstaubsauger“).

Zur Diskussion stehen auch überdimensionierte, luftdichte Ställe, in denen die Tiere abgeschirmt von der Aussenwelt gehalten werden sollen. Die Emissionen, so die Idee, werden durch spezialisierte Filtersysteme zurückgehalten, sodass keine schädlichen Gase in die Umwelt gelangen.

Solche Hochsicherheitsställe wollen den Bauern aber nicht recht gefallen. Weniger aus Sorge um die Tiere, die dann endgültig keinen Auslauf mehr haben, das Problem ist ein ökonomisches: Solange sie derart weiter rülpsen, verpuffen sie wertvolle Energie, die eigentlich für eine gesteigerte Milch- und Muskelproduktion von Nöten wäre.

Einen anderen Weg schlug deshalb bereits vor Jahren die australische Forschungsorganisation CSIRO ein. Sie entwickelte einen Impfstoff gegen methanbildende Mikroben, jedoch mit mässigem Erfolg. Mittlerweile konzentriert man sich dort auf die Erforschung des Verdauungstrakts von Kängurus, die – obschon ebenfalls Wiederkäuer – kaum Methan ausstossen.

In Neuseeland wurde eigens das Forschungszentrum Pastoral Greenhouse Gas Research (PGGRC) ins Leben gerufen und damit beauftragt, das Genom der Pansen-Protozoen zu entschlüsseln. Der Einsatz chemischer Mittel wird vom PGGRC ebenfalls erprobt, allerdings sei noch unklar, wie risikobehaftet sie sind. Rückstände in den Lebensmitteln sind unbedingt zu verhindern, darin ist man sich einig.

Das Problem verlagern

Schliesslich steht am Anfang und Ende all dieser Bemühungen das Begehren der KonsumentInnen nach Fleisch und Milch. Und diese Gier nach dem Tier lässt sich offenbar genauso wenig aufhalten wie der Klimawandel selbst.

Der weltweite Konsum von Fleisch und Milch steigt seit Jahrzehnten an und wird auch künftig noch wachsen, so vor allem bei Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern, denen es besser geht und die sich eiligst dem „westlichen Ernährungsstil“ anpassen möchten.

Die FAO geht davon aus, dass sich die Fleischproduktion bis 2050 von 229 Millionen Tonnen (für das Jahr 2001) auf 465 Millionen Tonnen steigern wird und die Milchproduktion von 580 Millionen Tonnen auf 1.043 Millionen Tonnen.

Dass der Verzicht auf Fleisch- und Milchprodukte eine konsequente Massnahme für den Klimawandel darstellt, wird von einigen Fachleuten inzwischen laut ausgesprochen. Andere sehen in der rein pflanzlichen, also veganen Ernährung immerhin „rechnerisch“ ein effizientes Mittel, wie namentlich Menschen aus Industrieländern zur Klimaproblematik beitragen könnten.

Wenn da nicht diese unbändige Fleischeslust wäre, die Bequemlichkeit oder Gewohnheit, die abzulegen dem Gros der Leute offenbar nicht zugemutet werden darf. „Derzeit nicht realistisch“, lautet der Tenor. Und also bleiben konkrete Ernährungsempfehlungen mitsamt der Forderung, die Verfügbarkeit veganer Lebensmittel zu erhöhen, weitgehend aus. Was man isst und wieviel, sei schliesslich Privatsache.

Foto © tier-im-fokus.ch

Kraftfutter als Ausweg?

Nicht so beim Rind. Viele der hoch dotierten Forschungsprogramme zur Reduktion der Methanemissionen setzen bei der Futterzusammensetzung an. Grundsätzlich verheissungsvoll ist die Zufuhr von strukturarmen Kraftfuttermitteln wie Leguminosen oder Getreide, die vergleichsweise wenig zur Methanbildung beitragen.

Der Haken an der Geschichte kennt auch Michael Kreuzer, Professor für Tierernährung am Institut für Nutztierwissenschaften an der ETH Zürich: „Dazu bräuchte man irrsinnig grosse Mengen an Kraftfutter. Wenn man so viel Futter importieren muss, ist das klimaschädlicher, als Tiere Gras fressen zu lassen“, gibt Kreuzer zu Protokoll.

Irrsinnig grosse Mengen an Futter braucht es deswegen, weil die vegetarischen Rinder einen Grossteil der Energie, die sie per Nahrung aufnehmen, für ihren eigenen Stoffwechsel einsetzen. Um letztlich das erwünschte tierliche Produkt zu gewinnen, muss entsprechend ein Vielfaches an pflanzlichen Nahrungsmitteln zugeführt werden.

So werden je nach Tierart bis zu 16 Kilogramm Getreide oder Soja benötigt, um 1 Kilogramm Fleisch zu erzeugen. Dabei gehen 80 Prozent des pflanzlichen Proteins, über 90 Prozent der Kohlenhydrate und fast 100 Prozent der Ballaststoffe verloren. Das ist ein massiver Verschleiss, der in der Fachsprache etwas beschönigend Veredelungsverlust heisst.

Und klimaschädlich ist dieses verschwenderische Unterfangen unter anderem deswegen, weil Kraftfutter bekanntlich nicht vom Himmel fällt, sondern irgendwo fernab von heimischen Ställen angepflanzt und verarbeitet werden muss.

Der FAO zufolge wird ein Drittel der weltweiten Anbauflächen dafür genutzt, um Futtermittel anzupflanzen. So auch für die Sojaproduktion in Lateinamerika. Häufig müssen diese Anbauflächen erst noch „gewonnen“ werden. Die Rodung des brasilianischen Regenwaldes mitsamt seinen verheerenden Auswirkungen auf den Klimawandel ist dafür bloss das bekannteste Beispiel. Allein die kleine Schweiz importierte im Jahr 2008 über eine Million Tonnen Futtermittel aus dem Ausland, ein Viertel davon waren geschrotete Sojabohnen aus Brasilien.

„Millionen von Hektar Regenwald gehen in Flammen auf, um billiges Futter für die Rinderzucht zu produzieren!“, bringt die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva die Misere auf den Punkt. Und erinnert daran, dass in Brasilien gegenwärtig 50 Millionen Menschen an Unterernährung leiden, derweil 80 Prozent der auch für uns nährstoffreichen Soja in den Mägen von Nutztieren landen, die später zu Fleisch verarbeitet werden. Womit wir abermals bei unseren Essgewohnheiten wären, die aber, da Privatsache, offenbar nicht zur Debatte stehen.

Fischöl, Knoblauch und die Pille fürs Loch

Stattdessen wird weiter getüftelt: Methan-hemmende Antibiotika wie Monensin wirken zwar, sollten aber eigentlich nicht in Frage kommen, weil in der EU nicht gerne gesehen, ebenso gentechnisch veränderte Mikroorganismen, die in den Vormagen der Rinder eingeschleust werden.

Und so setzt man lieber auf Fette aus Kokusnüssen, Leinsamen oder Sonnenblumenkernen, auf Fischöl, Knoblauch, Hornklee, Bienenwachs, Saponide, Tannine oder auf eine gleichmässigere Fütterung über den ganzen Tag verteilt.

Diese keineswegs willkürliche Aufzählung zeigt: Sicher ist sich die Forschungsgilde noch lange nicht. Schliesslich haben sich die im Magen der Kühe ablaufenden Prozesse über Jahrmillionen optimiert und sind daher nur schwer zu manipulieren, räumen auch die Experten ein.

Kommt hinzu, dass die meisten Zusatzstoffe den Tieren eigentlich gar nicht behagen: Fette sind für Wiederkäuer artfremd, Saponide schmecken seifig und Tannine sind bitter. „Wenn man das den Kühen einfach so ins Futter streut und sagt, fresst’s mal schön, das wird schwierig“, meint ETH-Forscher Michael Kreuzer.

Wie sollen die angeblichen Wunderstoffe aber dann in die Kuh gelangen? Ganz einfach: Indem man ihr unter Narkose ein Loch in den Bauch schneidet und eine faustgrosse Anti-Methan-Pille in den Magen stopft oder einen nummerierten Beutel voller Tannine. Das jedenfalls sei der primäre Sinn und Zweck dieses handfesten Eingriffs, erläutert in einem Fernsehbeitrag vom November 2009 Markus Rodehutscord, Professor für Tierernährung, und öffnet den Stöpsel in Trixis Bauch.

Postskriptum

Ob wir befürchten müssen, dass es am Ende nur noch Rinder mit Bullaugen gibt? Natürlich nicht, hier geht es doch bloss um einen Tierversuch, hebt der eben erwähnte Professor hervor.

Und was ist eigentlich mit dem Wohl der Tiere? Werden sie, während wir weiterhin Milch trinken und in Pampasteaks beissen, nicht zu Maschinen degradiert, zu leblosen Automaten, an denen gefeilt, geschraubt und gebohrt werden darf wie an Uhrwerken, Autos oder Hifi-Anlagen?

Für die Kuh sei all das völlig harmlos, das würden auch Tierschützer so sehen: „Vergleichen kann man das Loch im Bauch mit dem Anlegen eines Ohrsteckers bei uns Menschen“, beschwichtigt Rodehutscord und tätschelt Trixis Rücken. Soviel Mitgefühl mit einer Kuh muss sein, auch im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe.

Materialien zum Thema

Beteilige dich an der Diskussion

1 Kommentar

ecogeabossy
vor 13 Jahre

what I was looking for, thanks

Ähnliche Beiträge

7 Gründe, wieso du die Initiative gegen Massentierhaltung unterstützen solltest
Weiterlesen

7 Gründe, wieso du die Initiative gegen Massentierhaltung unterstützen solltest

Weiterlesen
Tier im Fokus zeigt Rinderhalter wegen mehrfacher Tierquälerei an
Weiterlesen

Tier im Fokus zeigt Rinderhalter wegen mehrfacher Tierquälerei an

Weiterlesen
Immer mehr Turbokühe
Weiterlesen

Immer mehr Turbokühe

Weiterlesen
Die Beschönigung der Tierhaltung aufbrechen
Weiterlesen

Die Beschönigung der Tierhaltung aufbrechen

Weiterlesen
«Das Zweinutzungshuhn wird sich nicht durchsetzen»
Weiterlesen

«Das Zweinutzungshuhn wird sich nicht durchsetzen»

Weiterlesen
Das Schlachten abschaffen
Weiterlesen

Das Schlachten abschaffen

Weiterlesen
Kein Tier ist für ein Leben an der Kette geboren
Weiterlesen

Kein Tier ist für ein Leben an der Kette geboren

Weiterlesen
Neue Enthüllungen aus der Hühnermast
Weiterlesen

Neue Enthüllungen aus der Hühnermast

Weiterlesen
TIF-Recherche: Die Ware Huhn
Weiterlesen

TIF-Recherche: Die Ware Huhn

Weiterlesen