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Rezension

„Auswirkungen der Zucht auf das Verhalten von Nutztieren“ (B. Hörning)

Im Bereich der sogenannten Nutztierhaltung gibt es bisher nur wenige Studien, welche die Auswirkungen einer auf Höchstleistung gemünzten Zucht auf die Gesundheit und das Verhalten der Tiere kritisch beleuchten. Das Buch von Bernhard Hörning versucht diese Lücke endlich zu schliessen; Klaus Petrus (tif) hat es rezensiert.

Text: Tier im Fokus (TIF)

B. Hörning, Auswirkungen der Zucht auf das Verhalten von Nutztieren, Kassel 2008, 192 S., ca. CHF 30.–

Im Bereich der sogenannten Nutztierhaltung gibt es bisher nur wenige Studien, welche die Auswirkungen einer auf Höchstleistung gemünzten Zucht auf die Gesundheit und das Verhalten der Tiere kritisch beleuchten.

Die vorliegende Arbeit aus dem Jahr 2008 versucht diese Lücke zu schliessen. Verfasst wurde sie von Bernhard Hörning im Auftrag des Tierzuchtfonds für artgemässe Tierzucht e.V. (Bochum), der 2004 von der Schweisfurth-Stiftung, dem Deutschen Tierschutzbund sowie der Zukunftsstiftung Landwirtschaft gegründet wurde.

Das Ziel des Tierzuchtfonds besteht nach eigenen Angaben darin, innovative und praxisorientierte Projekte zu unterstützen, die gegenüber der konventionellen Zucht alternative Modelle erproben wie beispielsweise die „Zweinutzung“ von Hühnern (Lege- und Mastleistung), die längere „Nutzungsdauer“ von Rindern oder den Einbezug von alten oder teilweise vom Aussterben bedrohten Tierrassen.

Zielpublikum

Bei der Arbeit von Hörning, einem der führenden Experten auf dem Gebiet, handelt es sich um eine Übersichtsstudie, die bisherige Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Zucht, Gesundheit und Verhalten von „Nutztieren“ auf rund 100 Seiten zusammenträgt und kritisch beurteilt. Zudem enthält das Buch circa 1.200 Quellen- und Literaturangaben, was eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht. So gesehen ist Hörnings Abhandlung in erster Linie an Fachleute z.B. aus den Bereichen Verhaltensforschung, Zuchtforschung, Veterinärwissenschaft oder Agrarwirtschaft gerichtet.

Allerdings bietet sie auch für ein interessiertes Laienpublikum wichtige und gut nachvollziehbare Einsichten, die zumeist nur in Expertenkreisen diskutiert und einer breiten Öffentlichkeit häufig vorenthalten werden. Das ist umso gravierender, als die Hochleistungszucht zunehmend als eine der zentralen Ursachen vieler Tierschutzprobleme betrachtet wird. Dass möglichst viele über dieses Faktum in Kenntnis gesetzt werden, dürfte gewiss auch ein Ziel der vorliegenden Studie sein. Dabei ist der Autor stets darum bemüht, Fachausdrücke zu erläutern und die entscheidenden Zusammenhänge allgemeinverständlich darzulegen. Überdies basiert das Buch auf unzähligen, ganz konkreten Beispielen und arbeitet mit anschaulichen Grafiken.

Inhalt

Das Buch gliedert sich grob in drei Teile:

In einem ersten Teil werden die allgemeinen Rahmenbedingungen der modernen, konventionellen Zucht dargelegt (Kap. 2).

Sie umfassen einerseits rechtliche Bestimmungen. Von Bedeutung sind hier für Deutschland besonders jene Passagen des Tierschutzgesetzes, die sich mit der sogenannten Qualzucht befassen (§11b TierSchG). Wie andere AutorInnen beklagt auch Hörning, dass die betreffenden Vorschriften bisher vor allem auf besonders bizarre Fälle in der sogenannte Heimtierzucht angewandt wurden (z.B. Hunde und Katzen), hingegen weite Bereiche der Landwirtschaft nach wie vor vernachlässigt werden.

Zu den Rahmenbedingungen der modernen Zucht zählt Hörning auch die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Insbesondere macht er die sinkenden Erzeugerpreise (also die niedrigen Erlöse für die Landwirte) für die intensive Züchtung auf immer höhere Leistungen verantwortlich.

In einem zweiten Teil geht es um die Auswirkungen, welche die Zucht für die Tiere hat (v.a. Rinder, Schweine, Hühner, Puten).

Zum einen untersucht Hörning zuchtbedingte Krankheiten wie etwa Beinschäden bei Masthühnern, Herz-Kreislauf-Probleme bei Schweinen oder Fruchtbarkeitsstörungen bei Milchkühen (Kap. 4). Häufig handelt es sich dabei um sogenannte „korrelierte unerwünschte Selektionsfolgen“, d.h. um negative Auswirkungen, die zugleich mit der Ausprägung auf ein ganz bestimmtes, züchterisch erwünschtes Merkmal (wie Milchleistung) einhergehen.

Zum anderen werden Verhaltensveränderungen dargestellt, die durch Hochleistungszucht verursacht werden (Kap. 7). Dazu zählen z.B. Stressanfälligkeit bei Schweinen, eine widernatürlich gesteigerte Nahrungsaufnahme bei Masthühnern oder Federpicken bzw. Kannibalismus bei Legehennen. Hörning nennt in diesem Zusammenhang auch systembedingte Folgerscheinungen wie z.B. die Tatsache, dass männliche Küken aus Legehennenlinien milliardenfach vergast oder vermust werden, da sie naturgemäss keine Eier legen können und zuchtbedingt zu wenig Fleisch ansetzen.

Schliesslich bespricht Hörning eine Reihe von Versuchen, per Selektion bestimmte Verhaltensweisen zu eliminieren (Kap. 5 und 6). Hierbei handelt es sich insbesondere um angeborenes Verhalten, das in Massentierhaltungen unerwünscht ist und deshalb weggezüchtet werden soll, wie etwa die Brütigkeit bei Legehennen, welche die Legeleistung beeinträchtigt, oder das Sandbaden, welches einen entsprechenden Untergrund erfordern würde.

In einem abschliessenden Teil bespricht Hörning mögliche Lösungen zuchtbedingter Probleme (Kap. 9).

Was die Haltung betrifft, sieht der Autor Potenzial u.a. in der Erhöhung der Bewegungsaktivität, in einer niedrigeren Besatzdichte, einer nährstoffreduzierten Fütterung sowie in der vorbeugenden Behandlung von Krankheiten. Als züchterische Massnahmen werden die Reduzierung oder zumindest Abmilderung der hohen Leistungen sowie die Verlängerung der „Nutzungsdauer“ der Tiere genannt. Und als juristische Massnahme kommt die Begrenzung der Leistung in Frage, wobei Hörning Vorschriften für eine Mindestmastdauer als Beispiel anführt.

Kritik

Das Verdienst dieser Arbeit besteht ohne Zweifel darin, für den deutschsprachigen Raum wohl erstmalig und derart umfassend Detailstudien zur Zucht von „Nutztieren“ in einen grösseren Zusammenhang gestellt und kritisch begutachtet zu haben.

Dabei stehen für Hörning durchweg tierschutzrelevante Probleme im Vordergrund. Es geht also immer wieder um die Frage, ob Zuchtprogramme bei Tieren Schmerzen, Leiden oder Schäden verursachen und inwieweit sie sich vermeiden lassen.

In dieser Hinsicht gibt sich der Autor allerdings vergleichsweise moderat. Zwar ist er mit anderen ExpertInnen der Auffassung, dass bei gewissen Puten und Masthühnern die Grenzen für die Anwendung von §11b TSchG bereits überschritten und sie nach deutschem Recht daher als Qualzuchten einzustufen seien. Weshalb dies angesichts der Fülle von Daten nicht auch für andere Tierarten gilt – wie etwa für bestimmte Legehennen, Mastschweine oder Milchkühe –, bleibt der LeserIn allerdings verborgen.

Überhaupt wird in Hörnings Studie eine „Ethik der Zucht“ kaum erkennbar. So werden zentrale Aspekte des ethischen Tierschutzes nicht diskutiert. Dazu gehören die Idee der Güterabwägung sowie der (auch im deutschen Tierschutzgesetz verankerte) Grundsatz, dass niemand „ohne vernünftigen Grund“ oder (wie es in der Schweiz heisst) „ungerechtfertigt“ das Wohlbefinden eines Tieres beeinträchtigen darf (§1 TierSchG; Art 4. TSchG). Um eine solche Beeinträchtigung zu rechtfertigen, sind „überwiegende Interessen“ geltend zu machen (z.B. Art. 3 TSchG). Dazu gehört üblicherweise auch die Nahrungsmittelbeschaffung, der die Züchtung von „Nutztieren“ ebenfalls dient. Doch ist der Ernährungszweck für sich genommen noch nicht Rechtfertigung genug. Immerhin gibt es Formen der Nahrungsmittelbeschaffung, die in unterschiedlichen Ländern gesetzlich verboten sind (z.B. gewisse Methoden der Anglerei, Stopfmast).

Die Frage wäre also nicht bloss, ob die Züchtung ein überwiegendes Interesse des Menschen bedient, sondern auch, ob sich dieses Interesse unter Wahrung der menschlichen Gesundheit nicht auch auf andere Weise (also ohne Beeinträchtigung des Tierwohls) befriedigen lässt. Erwägungen dieser Art führen freilich auf die grundsätzliche Frage, inwieweit der Mensch überhaupt berechtigt ist, Tiere züchterisch für seine Zwecke einzuspannen. Auch sie wird von Hörning im Rahmen seiner am derzeit Machbaren ausgerichteten Untersuchung nicht aufgeworfen.

Diese Kritik ist allerdings insofern zu relativieren, als es sich bei Hörnings Studie ausdrücklich um eine Auftragsarbeit handelt und sie daher in erster Linie darstellenden Charakter aufweist. Als solche ist das Buch auch für die kommenden Jahre ein unverzichtbarer Beitrag zu den negativen Auswirkungen der Hochleistungszucht.

Bernhard Hörning studierte Agrarwirtschaft an der Gesamthochschule Kassel und ist seit 2005 Professor für ökologische Tierhaltung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (FH). Er hat zahlreiche Beiträge zu Tierhaltung im Ökologischen Landbau, Alternativen in der Tierzucht, Tierhaltung und Klimawandel sowie der Stellung des Tiers in der Gesellschaft verfasst.

Demnächst auf dieser Website: ein Info-Dossier von tier-im-fokus.ch (tif) zum Thema „Die Zucht von Nutztieren“!

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