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Ernährung & Konsum

An Ostern ein Lamm?

Einmal im Jahr wird das kleine, weisse Lamm zum Symbol der Unschuld, der Reinheit und des Friedens. Für die meisten spielt dieser religiöse Osterkult keine besondere Rolle mehr. "Geopfert" werden die Tiere gleichwohl, wenn auch aus weit profaneren Gründen. Von Klaus Petrus (tif).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Transportiert, geschlachtet, tiefgefroren: Frisches Lamm aus Neuseeland

Schaf- und Lammfleisch sind beliebt. In den letzten 40 Jahren hat sich der Konsum in der Schweiz verdreifacht und liegt heute bei 1.3 Kilogramm pro Jahr und Kopf der Bevölkerung.

Etwa 60 Prozent davon stammen aus dem Ausland, vor allem aus Australien und Neuseeland, wo neben 4 Millionen Menschen noch 34 Millionen Schafe leben; in Australien sind es rund 150 Millionen Schafe.

Dass sich die Tiere dort mehrheitlich im Freien aufhalten, wird von der Lobby gerne betont. Fachleute dagegen relativieren dieses Bild von „glücklichen Tieren aus Weidehaltung“: Bis die Schafe und Lämmer in die riesigen Schlachthöfe kommen, wo sie im Akkord und unter Bedingungen getötet werden, die hierzulande kaum akzeptiert würden, haben sie oft tagelange Fahrten in Lastwagen ohne Futter und Wasser hinter sich, wie Organisationen seit Jahren filmisch festhalten.

Später gelangt das australische und neuseeländische Schaf- und Lammfleisch tiefgefroren in die Schweiz, wo es aufgetaut und – nachdem es buchstäblich um die halbe Welt transportiert wurde – unter dem Etikett „Frisches Lamm“ billig verkauft wird. Wer über das Tierleid hinwegsehen mag, wird immerhin einräumen müssen: Ökologisch verträglich sind diese weit gereisten „Importgüter“ nicht.

„Naturnahe Produktion“: garantiert reines Gewissen?

Das sieht auch die Schweizer Fleischbranche so. Und erschleicht sich das reine Gewissen der KonsumentInnen mit Slogans wie „naturnah produziert“, was heissen soll: Bei uns sind die Schafe noch auf der Alp, wo sie schon im Frühjahr ganztags weiden und ihre Lämmer liebevoll umsorgen.

Was an dieser Idylle richtig ist: Schafe sind ausgesprochen feinfühlig, aufmerksam, gesellig und die Beziehung der Mutter zu ihren Jungen ist besonders intensiv. Vor der Geburt sondert sie sich von der Herde ab und auch danach bleibt sie noch für Tage bei den Lämmern, die in den Abendstunden besonders aktiv werden, wild herumtollen und im Spiel lernen, Rangordnungen zu bilden.

Dass ein Leben in unseren Bergen für die Schafe und Lämmer „Erholung“ bedeutet, wird indes bezweifelt. Helene Soltermann vom Landwirtschaftlichen Informationsdienst (LID) erinnert an Bären und Wölfe und vor allem an die erheblichen Temperaturschwankungen, die es offenbar nötig machen, dass die Schafe ständig von Hirten behütet und am Abend häufig eingesperrt werden müssen. Dennoch kommen pro Sommer in den Schweizer Bergen 8.000 bis 12.000 Schafe zu Tode. Durch dieses Herumtreiben und Einpferchen werde zudem der natürliche Rhythmus zwischen Nahrungsaufnahme und Liegen gestört, was das Krankheitsrisiko erhöht: „Viele Lämmer erreichen das Schlachtgewicht nicht, wenn sie von der Alp zurückkehren“, stellt Soltermann nüchtern fest. Dieses Gewicht liegt übrigens bei 20 Kilogramm und muss in 4 bis 6 Monaten erzielt werden. Dann sind die Lämmer „schlachtreif“, wie es im Fachjargon heisst. Dabei könnten Schafe 20 Jahre alt werden.

Aber es trifft ohnehin nicht zu, dass Schweizer Schafe ihr Leben automatisch in den Bergen verbringen. Die Zahlen schwanken, doch geht man davon aus, dass rund die Hälfte der 450.000 Tiere im Sommer nicht auf der Alp sind, sondern meistens im Stall. Und dass fast alle Schafe während den Wintermonaten eingesperrt werden.

Die neue Tierschutzverordnung sieht grosszügigerweise vor, dass sie künftig auch zwischen November und März Auslauf haben, und zwar an 30 von insgesamt 90 Tagen im Jahr. Ansonsten ist eine Fläche von 0.6m2 pro Tier vorgeschrieben, wobei sie zweimal pro Tag Zugang zu frischem Wasser sowie Sichtkontakt zu ihren Artgenossen haben sollten, falls die Tiere einzeln gehalten werden. Schliesslich dürfen Schafe und Lämmer spätestens ab 2018 nicht mehr angebunden werden.

„Und ihr sollt von seinem Blut nehmen…“

All das zeigt: Auch Schafe und Lämmer sind bloss „Nutztiere“. Wenn auch besondere. Denn einmal im Jahr darf das kleine, weisse, wehrlose Lamm in die Rolle des „Agnus Dei“ schlüpfen. Dann wird es zum Opfertier, zum Lamm Gottes und ist ein Symbol der Unschuld, der Reinheit und des Friedens.

Hinter diesem religiösen Kult, der Millionen von Tieren den Tod bringt, stehen heutzutage natürlich zivilisierte Gelüste: Lammrückenfilet mit Estragon, Moussaka oder Gigot d’Agneau à la bretonne.

Dass derlei gerade an Ostern auf den Tisch muss, würden die meisten wohl verneinen. Und sich dann darüber wundern, dass in diesen Tagen fast doppelt so viele Schafe und Lämmer geschlachtet werden als sonst.

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1 Kommentar

Amaal
vor 8 Jahre

vielen Dank für die Information und das Mitfühlen!

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