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Ernährung & Konsum

Fisch frisst Fische auf

Schon jetzt sei ein Drittel der weltweiten Fischbestände überfischt, heisst es in einem neuen Report der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Aquakulturen sollen für Nachschub sorgen – und zugleich die Überfischung der Meere stoppen. Was so aber nicht stimmt. Ein Artikel von Klaus Petrus (tif) und ein Interview mit Billo Heinzpeter Studer von fair-fish.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Ende Januar wurde in Rom der neue Fischerei-Bericht der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) präsentiert. Die Lage gebe Anlass zur „Besorgnis“, heisst es. Schon jetzt sei ein Drittel der weltweiten Bestände überfischt. Nimmt die Plünderung ihren Lauf, könnten die Meere in nur 40 Jahren leer gefischt sein. Bereits im vergangenen Oktober kündigte Maria Damanaki, EU-Kommissarin für Fischerei, drastische Massnahmen an: Der Fischfang müsse radikal eingeschränkt werden, es sollen Subventionen gestrichen, Fangflotten stillgelegt und die Kontrollen verschärft werden. Erste Reformen werden für 2013 erwartet.

Fischfarmen sorgen für Nachschub

Derweil wächst und wächst der Hunger auf den Fisch. Laut FAO ist der weltweite Pro-Kopf-Konsum auf jährlich 17 Kilogramm angestiegen, das ist Rekord. Für Nachschub sorgen Aquakulturen, die im freien Meer, in Buchten oder stehenden Gewässern angelegt werden, um die Produktion von Fischen und anderen Meerestieren gezielt zu planen und zu kontrollieren.

Stammten 1970 rund 4 Prozent der weltweit konsumierten Fische, Krebse und Weichtiere aus Aquakulturen, sind es inzwischen mehr als ein Drittel. Man geht davon aus, dass in weniger als zwei Jahrzehnten fast die Hälfte aller Speisefische in solchen Anlagen herangezogen wird. Tatsächlich boomen Aquakulturen mit einem jährlichen Zuwachs von rund 10 Prozent wie kein anderer Zweig der Tierindustrie. Führend ist China, wo 2008 knapp 33 Millionen Tonnen Fisch in Farmen produziert wurden, gefolgt von Peru, Indonesien und den USA.

Nicht Lösung, sondern Teil des Problems

Weniger Fisch aus dem Meer, dafür mehr auf dem Teller. Fischfarmen verheissen eine echte Alternative zum Wildfang, sie sollen die Überfischung beenden. Die Realität sieht anders aus.

Viele der von uns konsumierten und in Aquakulturen gezüchteten Fische – dazu gehören Lachse und Thunfische, aber auch Süsswasserfische wie Forelle oder Egli – sind Karnivore und benötigen selbst wiederum Fisch. Und der stammt grösstenteils aus „Wildfang“, also aus Beständen frei lebender Tiere, die dann zu dem inzwischen teuren Fischöl und Fischmehl verarbeitet werden.

Nach einer 2009 in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienenen Studie landen 88 Prozent des weltweit produzierten Fischöls und 68 Prozent des Fischmehls im Magen von Zuchtfischen. Rund die Hälfte der Fischmehlproduktion wird durch die südamerikanische Industrie abgedeckt, wo vor den Küsten Chiles und Perus jährlich Millionen Tonnen von Sardellen gefangen, verarbeitet und an Zuchtfische in aller Welt verfüttert werden.

Wie viele Kilogramm Futterfisch benötigt werden, um ein Kilogramm Zuchtfisch zu erzeugen, wird durch die „fish-in to fish-out“ Rate, kurz FiFo, erfasst. Bei Thunfischen soll das Verhältnis besonders krass sein: 20 Kilogramm Wildfisch braucht es für gerade mal 1 Kilogramm Zuchtfisch, rechnet Greenpeace vor. Die Fischindustrie kalkuliert moderater. Man geht davon aus, dass im Schnitt drei- bis fünfmal mehr Frischgewicht an Zuchtfische verfüttert werden muss, als am Ende über den Ladentisch geht.

Dass Aquakulturen bei steigender Nachfrage die Überfischung der Meere so eher verstärken können, wird inzwischen eingeräumt.

Zwangsmassnahme: vegetarisch

Der Umstieg auf pflanzenfressende Fische wie Karpfen könnte eine Lösung sein, sagen ExpertInnen. Diese Tiere lassen sich problemlos mit landwirtschaftlich angebauten Pflanzen versorgen und benötigen weder Fischöl noch Fischmehl.

Dass die KonsumentInnen völlig auf fleischfressende Fische verzichten, sei aber unrealistisch. Der Wunsch nach den heftig beworbenen Omega-3-Säuren treibt die Nachfrage in die Höhe, besonders beim Lachs. Der Raubfisch ist in Europa, den USA und Japan inzwischen zum beliebtesten Seafood überhaupt geworden. Auch in der Schweiz hat sich der Lachskonsum allein in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt.

Entsprechend wird nach Möglichkeiten geforscht, fleischfressende Fische so zu manipulieren, dass sie einen möglichst hohen Anteil an pflanzlicher Nahrung aufnehmen.

Statt Fischmehl könnten dann pflanzliche Proteine wie Soja, Bohnen oder Erbsen verfüttert werden. Auch Fischöl liesse sich weitgehend ersetzen. An der Zucht von Mikroalgen, in denen die mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren gebildet werden, wird jedenfalls getüftelt. Zudem enthalten viele Pflanzenöle wie etwa Leinsamenöl, Rapsöl, Sojaöl oder Walnussöl grosse Mengen an Alpha-Linolensäure, aus der die begehrten Eicosagentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) entstehen.

Von Experimenten mit 800.000 zu Vegetariern umfunktionierten Lachsen konnte man bereits lesen. Ebenso von Forellen, die in Zuchtfarmen am Bodensee rein pflanzlich ernährt wurden. Wissenschaftlich abgestützt sind die Ergebnisse bisher aber nicht.

Ein neuer Nahrungskonkurrent?

Was bei all diesem Forschereifer leicht vergessen geht: Einmal mehr wird hier an Nahrungsketten gebastelt, bei denen Rohstoffe an Tiere verfüttert werden, die für Menschen wertvolle Lebensmittel sind – und obendrein den Fischkonsum weitgehend überflüssig machen. Das dürfte zumindest für die sogenannten Industrieländer gelten, wo breite Schichten nicht an Mangelerscheinungen leiden, sondern eine gut geplante und ausgewogene pflanzliche Ernährung grundsätzlich möglich ist.

Dass der wohlhabende Norden gut auf Fisch verzichten könnte, ist indes kein Thema. Der Appetit ist enorm. Immer noch dürfen EU-Fangflotten vor der Küste Afrikas plündern, die Bestände an Thunfisch, Makrele, Aal, Hering und Rotbarsch sind in vielen europäischen Gewässern bereits gefährdet. Mit 60 Prozent ausländischem Fisch gilt die Europäische Gemeinschaft nach wie vor als grösster Importmarkt.

Auch in der Schweiz ist der Fischkonsum in den vergangenen zwei Jahrzehnten um sagenhafte 50 Prozent angestiegen. 95 Prozent der jährlichen Gesamtmenge von über 70.000 Tonnen kommen von auswärts, ein Drittel stammt aus Aquakulturen.

„Fischzucht ist ein Motor der Überfischung, keine Alternative!“

Klaus Petrus im Gespräch mit Billo Heinzpeter Studer, Fachstellenleiter bei fair-fish und Autor zahlreicher Borschüren zum Fischfang.

KLAUS PETRUS: Die FAO hat ihren neuen Fischerei-Bericht veröffentlicht. Richard Grainger, Mit-Autor der Studie, zeigt sich besorgt über den hohen Fischkonsum. Waren Sie von den Ergebnissen des Berichts überrascht?
BILLO HEINZPETER STUDER: Nicht überrascht, aber sehr zornig. Dass viel zu viele Fische gegessen (und verfüttert!) werden, ist schon lange klar. Aber bis jetzt wird das in den Medien ja immer so dargestellt, dass die „bösen Fischer“ zuviel fangen. Für wen denn? Für die „bösen Konsumenten“, ohne deren Nachfrage die Fischerei gar kein Geschäftsmodell wäre. Bis vor sechs Generationen war sie’s ja auch nicht, denn früher haben die Menschen kaum Fisch gegessen, auch jene nicht, die an den Küsten lebten.

Die weltweite Überfischung nimmt stetig zu. Und das, obwohl es inzwischen etliche Labels gibt, die eine sogenannt nachhaltige Befischung garantieren sollen. Zeigen diese Massnahmen denn keine Wirkung?
Solange die Menschheit unmöglich viel Fisch konsumiert, sind alle „Nachhaltigkeits“-Massnahmen reine Augenwischerei. Selbst noch so strenge Labels können nicht mehr Fisch herbeizaubern, als der Planet auf Dauer hergibt.

Labels sind als Orientierungshilfe dann sinnvoll, wenn wir unseren Konsum auf höchstens eine Fischmahlzeit pro Monat reduziert haben. Und Labels können Beispiele für ein besseres Fischereimanagement setzen, dem nationale und internationale Behörden folgen sollten.

Bis vor kurzen galten Aquakulturen als umweltschonende Alternative zum Wildfang. Inzwischen werden sie immer häufiger kritisiert. Weshalb?
Fische aus Zucht statt Fische aus leeren Meeren: Das klingt für Laien logisch, und darum fallen auch viele ökologisch orientierte KonsumentInnen noch immer darauf herein. Dabei sind Fischzuchten aus mindestens zwei Gründen höchst problematisch, und es braucht eigentlich wenig Nachdenken, um das zu erkennen.

Erstens ist Fischzucht in aller Regel nichts anderes als Massentierhaltung, intensiver noch als die Mast von Schweinen oder Hühnern in Tierfabriken. Im Vergleich zu dem, was wir über die arteigenen Bedürfnisse und Verhaltensweisen bei Huhn, Schwein, Kuh & Co heute wissen, sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ethologie der mittlerweile über 400 gezüchteten Fischarten extrem bescheiden, wenn nicht gar inexistent. Dementsprechend ist es schwierig, mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse der Fische durchzusetzen.

Zweitens ist Fischzucht ökologisch nur dann sinnvoll, wenn die Fütterung sehr effizient und ohne tierische Eiweisse möglich ist. Noch ist das bei der Mehrheit der aus Zucht gewonnenen Tonnen möglich, weil in China und in Asien generell vor allem pflanzenfressende Fische wie Karpfen extensiv und ohne Fischmehleinsatz gezüchtet werden.

Doch die Zuchtfische, die wir in Europa und Nordamerika vor allem essen, sind Raubfischarten (Lachs, Forelle, Dorade, Wolfsbarsch usw.). Sie müssen mit mindestens dreimal soviel Fisch (in Form von Mehl und Öl) gefüttert werden, wie sie selber am Schluss auf den Teller bringen. Die Futterfische stammen zum grössten Teil aus dem Meer – Fischzucht für den Weltnorden ist also ein Motor der Überfischung, keine Alternative!

Geht es um Nachhaltigkeit, ist von den Fischen – ihrem Leben, Leiden und Sterben – fast nie die Rede. Auch bei Labels wie Marine Stewardship Council (MSC) oder Friend of the Sea (FOS) steht der Tierschutz im Hintergrund. Oder täuscht dieser Eindruck?
Nein, das ist genau so, bei der Fischzucht wie beim Fischfang. Rücksicht auf die Bedürfnisse oder das Leiden der Fische gibt es in der Praxis kaum. Das liegt weniger an der „Bosheit“ der Fischer und Züchter, sondern vor allem an der Gedankenlosigkeit der KonsumentInnen, ja: der Zivilgesellschaft insgesamt.

Sogar Tierschutzorganisationen vergessen gern, dass Fische Lebewesen sind wie eine Katze, ein Hund, ein Kanarienvogel. Mittlerweile hat die Wissenschaft wenigstens mehrheitlich anerkannt, dass Fische Schmerz und Leiden empfinden können. Aber es wird noch Jahre an Aufklärung brauchen, bis dieses Wissen in der Gesellschaft ankommt – und weitere Jahre, bis Fischerei und Fischzucht gezwungen werden (über den Markt und über Gesetze), mit Fischen als Lebewesen schonend umzugehen.

Wenn Sie an die Probleme der weltweiten Fischerei denken – ethische, ökologische, soziopolitische –, was würden Sie den KonsumentInnen hierzulande raten?
Erster Schritt: Höchstens einmal Fisch pro Monat. Die Behauptung, wir bräuchten Fisch für unsere Gesundheit, ist Unsinn: Omega-3, Jod usw. können wir uns auch ohne Umweg über die Leerfischerei zuführen.

Zweiter Schritt: Wenn Fisch, dann am besten mit einem anerkannten Label. Leider ist das Label fair-fish, das auch für Tierschutz und Fairtrade steht, dem Markt noch zu streng …

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2 Kommentare

Andreas Thaler
vor 13 Jahre

Eigentlich ist es ja pervers.
Im Moment haben fast alle Omnivoren Angst davor, sich über Eier oder Fleisch eine Dioxin-Überdosis zu holen (was ja im Prinzip gut ist).

Wenn man aber darauf hinweist, daß die Grenzwerte bei Fisch wesentlich höher liegen als bei Fleisch, dann sorgt das für Verwunderung.

mfg Andreas

Carin folkerts
vor 13 Jahre

Statt carnivore Fische vegetarisch zu mästen oder sich auf die Mast vegetarisch lebender Fische zu konzentrieren, sollte sich die Menschheit zumindest in den industrialisierten Ländern darauf besinnen, dass sie selbst die Fähigkeit in sich trägt, vegetarisch/vegan zu leben, und zwar ohne die geringste Einbuße an Lebensqualität. Fische sind von uns sehr verschieden, sie bewohnen einen vollkommen anderen Lebensraum als wir und die meisten besitzen nicht die Merkmale des Kindchenschemas, das unser Mitgefühl und unseren Beschützerinstinkt wachruft. Trotzdem sind sie komplexe Lebewesen. Viele Arten treiben Brutpflege wie wir, viele leben in sozialen Verbänden wie wir und alle sind mit Sicherheit empfindsam für Angst und Schmerz wie wir. Dass diese Tiere milliardenfach auf grauenhafteste Art zu Tode gebracht werden, um unseren Appetit zu stillen, ist nicht zu akzeptieren. In meinen Augen gibt es kein „fair fish“. Der einzige Grund, Fische – oder andere Tiere – zum Verzehr zu töten, ist gegeben, wenn der Mensch keine andere Möglichkeit hat, sich selbst und seine Familie am Leben zu erhalten. Da dieser Grund in industrialisierte Gesellschaften nicht vorliegt, ist Fischen niemals „fair“ sondern immer unethisch, niederträchtig und grausam.

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