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Haustiere im Porträt

Qaira – oder: Wer lebt, stört

Früher war sie eine ganz Wilde, heute nimmt sie es ruhig. Und Martina auch. Seit 15 Jahren lebt sie mit Qaira zusammen. Und rennt, dann und wann, immer noch hinter ihr her.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Qaira ist kein Mischlingshund, kein Verzichtshund, kein Findelhund, kein Strassenhund. Man kennt das Geburtsdatum, den Geburtsort, die Eltern. Qaira ist eine Wunschhündin, eine „vom Wolfsprung“, gekauft beim Züchter. Sie sollte im Junghundekurs erzogen und im Sportklub gefestigt werden; es sollte ein guter, braver, schneller Hund werden und dabei ein Hund bleiben.

Sprung aus dem Schatten

Wie es so ist im Leben, man glaubt seinen Vorstellungen und wird eines besseren belehrt: Qaira zerfetzte das Bild vom formbaren Hündchen und veränderte damit auch meine Sichtweise auf Tiere ganz generell und profund. Anstatt dumpf und formbar, war da ein Gegenüber. Anstatt zum Hund mit durchhängender Leine neben mir, wurde Qaira das Lebewesen vor mir, das nicht in meinem Schatten leben wollte und mich aus meiner bedächtigen Achtsamkeit riss. Mit Qaira entdeckte ich die Tiefen des banalen Satzes: „Wer lebt, stört.“ Sie verteilte ihre Liebe und Aversionen nach ihrem Dafürhalten, eroberte Herzen im Sturm oder verbreitete schon einzig durch ihr Schäferhundeaussehen manchmal auch Furcht und Schrecken. Sie vertrieb in ihren Jugendjahren Autos, Jogger, Kühe und erschreckte gerne Katzen; ab und dann nahm der Schrecken die umgekehrte Richtung. Gewiss, wenn es die Situation verlangte, nahm ich sie zur Seite – zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz ihrer Umwelt. Wie gesagt, im Hundesportklub waren wir auch, Qaira und ich, über viele Jahre. Ich war eine Pfeife, Qaira nicht ohne Talent. Hier gab mir die Vierbeinerin zu verstehen, dass ich nur gut spiele, wenn ich mit reinem Herzen spiele, also ohne andere Absichten. Das gemeinsame Spielen eroberte unseren Alltag. Ihre Wendigkeit und Freude am Laufen steckte an, ob Artgenosse oder Mensch. Ohne Zweifel triumphierte sie temporeich und hakenschlagend über uns trägen Zweibeiner und war dabei glücklich – und wir Menschen, die uns ausgekotzt und Tränen gelacht haben, auch. Im Rausch der Bewegung schlug sie sich Zähne aus, verlor Krallen, verschnitt sich die Sehne, brach ihre Zehe, verstauchte die Pfoten und pfählte sich. In einem Nachruf auf Qaira müsste auch den Ärzten gedankt werden.

Schön alt

Qaira hatte Charme und sie hat ihn heute noch. Obwohl heute vieles anders geworden ist. Qaira ist alt geworden und schön geblieben. Mit vierzehn Jahren hatte sie den ersten epileptischen Anfall, weitere folgten. Sie hat sich bis jetzt immer wieder zurück ins Leben gestemmt; tapfer, knurrig und unbeirrt. Sie bewegt sich heute mit ihren bald fünfzehn Jahren langsam, so langsam, dass die Gebrechlichkeit offensichtlich wird und man versucht ist, den Spaziergang abzubrechen und umzukehren. Aber wir wissen, wenn man umkehrt, verändert sich die Hündin, sie läuft schneller, fällt ins Traben, bald galoppiert sie. Mensch ruft und pfeift und rennt hinterher. Sie nimmt die Stufen zur Haustür im Sprung; ungebeugt, unbelehrt, freudig. Und wir stolpern einmal mehr hinterher – und lachen.
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