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Interview

«Das Thema Pelz verdient besondere Aufmerksamkeit»

Pelz boomt: 2016 wurden 463 Tonnen importiert – so viel wie seit über zwanzig Jahren nicht mehr. Dagegen regt sich Widerstand. Mit der «Antifur League» hat sich eine Schweizer Tierrechtsorganisation auf sogenannte Pelztiere spezialisiert. Tobias Sennhauser (TIF) hat mit der Gründerin Nina Bachellerie gesprochen.

Text: Tier im Fokus (TIF)

TOBIAS SENNHAUSER: Wollen Sie den Leuten vorschreiben, was sie anziehen sollen? NINA BACHELLERIE: Nein, wir wollen sie informieren und aufklären. Viele KonsumentInnen wissen nicht, woher ihr Pelzbesatz kommt und unter welchen Umständen er produziert wurde. Während der weltweiten Anti-Pelz-Bewegung in den 80er-/90er-Jahre hat eine solche Aufklärung bereits einmal stattgefunden – schreckliche Bilder der Pelzfarmen gingen um die Welt. Überall war man sich einig, dass Echtpelz aus der Mode verbannt gehört. Inzwischen ist das Pelztragen aufgrund gross angelegter PR-Kampagnen der Pelzindustrie wieder salonfähig geworden, obwohl die grausamen Fang-, Haltungs- und Tötungsmethoden immer noch dieselben sind. Das wollen wir ändern. Früher waren es ältere Damen, die Pelz trugen. Heute sind es mitunter junge Männer. Was ist passiert? Es waren weniger die ältere Damen, die Pelz trugen, sondern vielmehr die reichen Leute. Pelz war ein Luxusprodukt. Das machte es auch für die Bewegung einfacher, mit dem Finger auf die «Schuldigen» zu zeigen. Heute sind es nicht mehr die teuren Pelzmäntel, die im Vordergrund stehen, sondern die erschwinglichen Pelzbesätze: Jackenkragen, Bordüren und Mützenbommel. Man kann es sich also leisten. Tatsächlich ist Echtpelz heute oft sogar günstiger als Kunstpelz! Wieso das? Das hat mit den Bedingungen zu tun, unter welchen er produziert wird. In China zum Beispiel, wo weltweit die meisten Pelztiere gezüchtet werden, verdient ein Arbeiter pro getötetem Tier umgerechnet weniger als einen Schweizer Franken. Es muss also schnell gehen, darum werden die Tiere auch oft noch lebendig gehäutet. Die Pelzindustrie beteuert, sie habe ihre Hausaufgaben gemacht und die Tierhaltung verbessert. Stimmt das? In gewissen Ländern haben die Pelztiere in ihren Gitterkäfigen heute ein paar Zentimeter mehr zur Verfügung als früher, wenn die Gesetze denn umgesetzt werden. Ob das «besser» ist, sei dahingestellt. Die Pelzindustrie verweist gerne auf Labels, die eine gesicherte Herkunft garantieren sollen, aber diese sind oft irreführend. Das «OA» (Origin Assured) Label zum Beispiel verleihen sich die ProduzentInnen selbst. Es gibt keine transparenten Kontrollen von Unabhängigen. In der Schweiz ist zwar seit 2014 die Pelz-Deklarationsverordnung in Kraft, aber diese birgt Schlupflöcher und wird aufgrund mangelnder Konsequenzen viel zu wenig umgesetzt. Ausserdem kann man sich die Bilder aus den heutigen Pelzfarmen ja anschauen und sich selbst eine Meinung zur Tierhaltung bilden.
Wieso gibt es eigentlich in der Schweiz keine sogenannten Pelzfarmen? Weil wir hier strengere Auflagen zur Wildtierhaltung haben. Damit würde es sich finanziell nicht lohnen, eine Pelzfarm zu betreiben. Mit dem Pelz importieren und tragen wir also ein Produkt, dessen Produktionsmethoden im eigenen Land den Tatbestand der Tierquälerei erfüllen würden. Heinz Lienhard, der Präsident des Schweizer Tierschutz (STS), empfiehlt, Schweizer Rotfuchspelz zu tragen. Denn von den 30.000 Füchsen, die jährlich gejagt werden, müssten die meisten Pelze wegen mangelnder Nachfrage verbrannt werden. Wie sehen Sie das? Ich sehe das anders. Erstens gibt es kaum Firmen, die Schweizer Rotfuchspelz verkaufen, und zweitens sieht man es ja dem Pelz nicht an, von welchem Tier er stammt. Sogar wenn man also Schweizer Rotfuchs trägt, macht man Werbung fürs Pelztragen allgemein, und das sollte keine Empfehlung des Tierschutzes sein. Ausserdem finde ich es sehr fragwürdig, dass der STS damit Werbung für die Jagd macht. Es wird immer behauptet, die Füchse müssen geschossen werden, um die Bestände zu regulieren. Dabei weiss man heute, dass sich diese durch das Bejagen sogar erhöhen: Beim Abschiessen einzelner Tiere wird die soziale Ordnung gestört, es gibt eine Stressreaktion und die Tiere vermehren sich schneller. Das erklärt auch, warum in der Schweiz jedes Jahr erneut 30.000 Füchse geschossen werden müssen. Im Schweizer Nationalpark, der seit 100 Jahren jagdfrei ist, sieht man, dass sich Fuchsbestände auch ohne Jagd selbst regulieren. In der Nutztierhaltung werden weltweit jährlich über 50 Milliarden Tiere getötet. Daneben erscheint die Pelzproduktion verschwindend klein. Sollten wir unsere begrenzte Energie nicht besser in die Förderung des Veganismus stecken? Ich denke, man sollte seine Energie dort investieren, wo es einen hinzieht – dort macht man es am besten. Ich kann es nachvollziehen, wenn sich jemand in seinem Aktivismus auf die Förderung des Veganismus konzentrieren möchte. Allerdings finde ich, das Thema Pelz verdient besondere Aufmerksamkeit, da es einen symbolischen Wert hat, der den tierlichen Nahrungsmitteln fehlt. Was meinen Sie damit? Im Gegensatz zu Fleisch, Milch, Eiern und Leder war Pelz noch vor wenigen Jahren ein gesellschaftliches Tabu. Man schämte sich, im Pelz auf die Strasse zu gehen, und man wurde dafür öffentlich blossgestellt. Dies ist irgendwo noch in der Erinnerung der Menschen gespeichert, zumindest bei der älteren Generation. Man hat also mit dem Thema Pelz sozusagen einen Fuss in der Türe und kann damit auch jene ansprechen, denen der Veganismus zu «extrem» ist. Sie haben es bereits angesprochen: In den 80er- und 90er-Jahre brachen die Verkaufszahlen von Pelz ein, nachdem der Widerstand immer grösser wurde. Heute boomt das Geschäft mit dem Pelz wieder. 2016 wurde gar so viel Pelz importiert wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Was viele nicht wissen: Die ganzen Pelzbesätze werden beim Import nicht erfasst! Die Importzahlen klammern also gerade jene Produkte aus, die den Boom ausmachen. Ich vermute deshalb, dass wir noch nie so viel Pelz importierten wie aktuell. Sie setzen auf Aufklärung. Wäre es nicht besser, kurzerhand den Import zu verbieten? Auf jeden Fall. Im Jahr 2011 gab es dazu einen Vorstoss von Ständerätin Pascale Bruderer. Dieser wurde jedoch mit Verweis auf die neue Pelz-Deklarationsverordnung abgelehnt. Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass diese keinen Einfluss auf den Kauf von Pelzen hat. 2015 wurde daher ein zweiter Vorstoss eingereicht und angenommen. Dieser verlangt Alternativen zur Deklarationsverordnung unter Berücksichtigung des Importverbots. KritikerInnen wenden ein, dass ein Importverbot mit internationalen Handelsverpflichtungen nicht vereinbar wäre. Das stimmt so nicht, wie ein Präzedenzfall zeigt: In der EU wurde ein Verbot zur Einführung von Robben-Produkte erlassen, mit der Begründung, dass Tierschutzanliegen Bestandteil der öffentlichen Moral sind. Die Tatsache, dass eine grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung die grausamen Methoden der Pelzindustrie ablehnt, kann also handelsbeschränkende Massnahmen rechtfertigen.
petition_no_fur

#NoFurX – Für ein Pelz-Importverbot in der Schweiz

Der Blogger Saoi Aebi hat jüngst eine Petition lanciert, die ein Importverbot von Pelz fordert. Jetzt unterzeichnen! (www.thepetitionsite.com/takeaction/338/933/297/)
Können wir uns also zurücklehnen und auf das Importverbot warten? Nein. Gerade damit die PolitikerInnen am Thema dran bleiben und diesen Vorstoss auch bearbeiten, müssen wir umso aktiver sein. Es geht darum, mit öffentlichen Aktionen ein Bewusstsein zu schaffen und die Bevölkerung wieder auf das Thema Pelz zu sensibilisieren. Das wollen wir mit der Anti-Pelz-Demonstration am 21. Oktober in Zürich erreichen.
anti-pelz-demo

Komm an die grosse Anti-Pelz-Demo in Zürich

Am 21. Oktober 2017 zeigen wir allen, dass die Steinzeit-Mode heute untragbar ist. Und dass wir nicht schweigen werden, bis jedes Geschäft pelzfrei geworden ist. Wenn auch Du der Meinung bist, dass fühlende Lebewesen nicht zu Dekorationszwecken gezüchtet, gequält und getötet werden sollten, dann werde Teil des Widerstandes und schliess dich unserer Demo an. ► www.antifurleague.org/demo
Hinweis: TIF ist Mitorganisatorin dieser Demo.

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