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Interview

«Vegane Ernährung und Sport passen unheimlich gut zusammen»

Verena Gielen ist Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin FMH. Mit einer veganen Laufgruppe rennt sie gegen die Vorurteile gegenüber pflanzlicher Kost an. Tobias Sennhauser (TIF) hat mit ihr gesprochen.

Text: Tier im Fokus (TIF)

TOBIAS SENNHAUSER: Du hast für den anstehenden Grand Prix in Bern eine vegane Laufgruppe gegründet. Wieso? VERENA GIELEN: Es begann mit einem Podcast von «bevegt.de». Darin geht es um vegane Ernährung und Laufen. Mich interessierte eigentlich nur ersteres, weil Laufen für mich bisher immer mit Knieschmerzen verbunden und somit abgehakt war. Nachdem ich aber einige Podcast-Folgen gehört hatte, in denen so sehr vom Laufsport geschwärmt wurde, liess ich mich von der Begeisterung anstecken und lief los. Mit jeder neuen Laufeinheit sah ich Fortschritte. Und dann? Im Podcast hörte ich oft, wie wichtig es sei, sich Ziele zu setzen. Was liegt also näher, als sich als Wahl-Bernerin den Grand Prix – die zehn schönsten Meilen der Welt – als Ziel auszusuchen? Am besten lässt sich dieses Ziel erreichen, indem man sich MitstreiterInnen sucht, das ganze Vorhaben öffentlich macht und es einem höheren Sinn unterstellt. Der höhere Sinn dahinter – nämlich für die vegane Sache zu laufen – kann sicherlich dabei helfen, das eine oder andere Motivationstief zu überwinden. Veganismus und Leistungssport passen für viele nicht zusammen. Wie bereitest du dich bezüglich Ernährung auf den Wettkampf vor? Ich folge keinem Ernährungstrend und schon gar nicht einem Diätplan. Wie die meisten VeganerInnen achte ich auf meine Ernährung, esse bewusst und abwechslungsreich. Für mein Lauftraining habe ich daran nichts geändert. Selbstverständlich achte ich auf eine ausreichende Zufuhr von Vitamin B12. Swissmilk, die Marketing-Organisation der Schweizer Milchindustrie, suggeriert in der Werbung, dass Milch stark mache. Stimmt das? Swissmilk wirbt vor allem damit, dass Milch starke Knochen mache und stellt Kuhmilch als geeignetste Lieferantin für Calcium und Eiweiss dar. Es ist richtig, dass eine ausreichende Zufuhr an Calcium und Eiweiss Voraussetzung für starke Knochen und Muskulatur ist. Aber man muss nicht Milch trinken, um genügend Calcium oder Eiweiss aufzunehmen. Hervorragende Calciumquellen sind z.B. calciumreiches Mineralwasser, Soja und Sojaprodukte, Samen wie Mohn und Sesam, grünes Blattgemüse und viele mehr. Auch unser Eiweissbedarf lässt sich leicht mit einer pflanzlichen Ernährung decken. Ich halte es für fragwürdig, einzig und allein auf tierliche Milch als das Wunderlebensmittel zu setzen. Um einem Nährstoffmangel vorzubeugen, ist eine abwechslungsreiche Ernährung wesentlich sinnvoller. Abgesehen davon braucht es für starke Knochen und Muskulatur nicht nur eine entsprechende Ernährung, sondern natürlich vor allem Bewegung.

Offensive gegen Milch

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Kühe und Kälber werden wie Maschinen betrachtet. Sobald die Leistung sinkt, werden sie entsorgt. Wir wehren uns in einer Kampagne gegen diese unnötige Gewalt – mit Artikeln, Aktionen und Alternativen. Mehr dazu: www.tier-im-fokus.ch/milchoffensive
Vegane HochleistungssportlerInnen wie z.B. der amerikanische Ultramarathonläufer Scott Jurek oder der kanadische Triathlet Brendan Brazier behaupten, dass sie seit der Umstellung auf pflanzliche Kost mehr Energie hätten. Ist das medizinisch erklärbar? Es gibt einige Theorien darüber, warum HochleistungssportlerInnen nach der Umstellung auf eine vegane Ernährung von einem Mehr an Energie und kürzeren Regenerationszeiten berichten. Insgesamt kann man sagen, dass eine gut geplante vegane Ernährung dem Körper eine wesentlich bessere Nähstoffversorgung liefert als eine gängige Mischkost. Anders als uns die Milch-, Ei- und Fleischindustrie und nicht zuletzt Hersteller von Protein-Shakes Glauben machen möchten, benötigen SportlerInnen keine irrsinnigen Mengen an Protein, sondern vor allem Kohlenhydrate. Diese sowie Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzen- und Ballaststoffe finden sich allesamt in der pflanzlichen Ernährung. Zudem verlangt die Verdauung von tierlichem Protein unserem Körper mehr Energie ab als jene von pflanzlichem Protein. Dieses Mehr an Energie steht dann für sportliche Höchstleistung zur Verfügung. Deshalb fühlen sich viele mit einer veganen Ernährung einfach «leichter» und dadurch fitter im Training. Die weltweit grösste Vereinigung von ErnährungsexpertInnen, die Academy of Nutrition and Dietetics (vormals American Dietetic Association, ADA), befand bereits vor einigen Jahren, dass die vegane Ernährung in jeder Lebensphase geeignet ist. Wieso halten sich die Vorurteile gegenüber der veganen Ernährung in unserer Gesellschaft dennoch derart hartnäckig? Ja, das ist ein Phänomen, das mir im Alltag auch immer wieder begegnet. Eigentlich nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, wie viel Geld die Milch-, Ei- und Fleischindustrie in die Lobbyarbeit steckt und wir dieser von Kindesbeinen an ausgesetzt sind. So bietet z.B. Swissmilk kostenloses Infomaterial über die vermeintliche Notwendigkeit von Milch und Milchprodukten nicht nur für Schulen, sondern sogar bereits für KITAs an! Natürlich bin auch ich mit all der zum Teil sehr subtilen, zum Teil auch unverhohlenen Werbung der Nutztierindustrie gross geworden. Wie erlebst du diese Vorurteile als Ärztin? Wenn ich mich mit meinen ärztlichen KollegInnen zum Thema vegane Ernährung austausche, stosse ich noch häufig auf Vorurteile und Unwissenheit. Das ist aber auch kein Wunder, denn im Medizinstudium spielt die Ernährungslehre nach wie vor kaum eine Rolle. Das ist sehr bedauerlich. PatientInnen treten immer wieder mit Ernährungsfragen an uns ÄrztInnen heran ohne zu wissen, dass wir für deren Beantwortung gar nicht ausgebildet werden. Gerade wenn man bedenkt, wie gross der Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit ist, wäre eine bessere Ausbildung von MedizinerInnen in der Ernährungswissenschaft dringend notwendig. Der Grand Prix Bern steht kurz bevor. Hast du bereits Pläne, was danach kommt? Mein nächstes Ziel wird mein erster Halbmarathon beim Auffahrtslauf in St. Gallen sein. Sehr gerne würde ich diesen und weitere Volksläufe nutzen, um auf die Vereinbarkeit von guten sportlichen Leistungen und veganer Ernährung aufmerksam zu machen. Genial wäre ein Netzwerk aus veganen LäuferInnen. Wir könnten uns schweizweit für Volksläufe treffen, uns gegenseitig Unterkunft bieten, gemeinsam in T-Shirts mit veganen Logos laufen und das ganze z.B. mit Flyeraktionen kombinieren. Toll finde ich auch Aktionen wie die sogenannten Kuckucksläufe von «Laufen gegen Leiden». Dabei melden sich möglichst viele vegane LäuferInnen an einem kleineren Lauf an, um dort das Gros der LäuferInnen zu stellen und so die Veranstaltung zu veganisieren (Versorgungsstellen, Essensstände) und um auf die vegane Sache aufmerksam zu machen. Eine gesunde vegane Ernährung und Sport passen einfach unheimlich gut zusammen! Zur Vernetzung für vegane LäuferInnen gründete Verena Gielen eine Facebook-Gruppe (www.facebook.com/events/707754352730029/).

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