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Interview

«Die Initiative trifft den Nerv der Bevölkerung»

Ernährung ist Politik. Immer mehr Volksinitiativen fordern ein Umdenken. So auch die Trinkwasser-Initiative von Franziska Herren. Sie fordert, dass nur noch nachhaltige Lebensmittelproduktion subventioniert wird. Tobias Sennhauser (TIF) hat mir ihr gesprochen.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Früher war die Ernährung bloss eine Privatsache. Heute ist sie ein Politikum. Immer mehr Volksinitiativen fordern ein Umdenken. Eine davon ist die Trinkwasser-Initiative (www.initiative-sauberes-trinkwasser.ch). Sie setzt bei den Subventionen an: nur noch jene Bauernbetriebe sollen staatliche Unterstützung erhalten, die weder Pestizide versprühen noch präventiv Antibiotika verabreichen und nur so viele Tiere halten, wie sie ohne Importfutter ernähren können. Der Kopf der Initiative ist Franziska Herren. Tobias Sennhauser (TIF) hat mit ihr gesprochen. Im März 2017 haben Sie Ihre Initiative lanciert. Unterdessen sind bereits rund 80.000 Unterschriften gesammelt. Wie haben Sie das geschafft? Am Anfang hatte ich schlaflose Nächte. Seit fünf Jahren versuche ich, eine breite Basis von Parteien und Organisationen für die Initiative zu schaffen – bisher ohne Erfolg. Doch ich wusste, dass es auch ohne grosse Organisationen oder Parteien im Rücken klappen wird. Vom ersten Tag an riefen mich Private an, um uns beim Sammeln der Unterschriften zu unterstützen. Gemeinsam mit kleineren Organisationen haben wir die ersten 70.000 Unterschriften gesammelt. Seit August wird die Unterschriftensammlung auch von Greenpeace unterstützt – als erste grosse Organisation überhaupt. Und: Jüngst hat auch Pro Natura entschieden, dass sie die Unterschriftensammlung unterstützt. Wieso reagieren die Leute derart aufgeschlossen? Die Initiative trifft wohl den Nerv der Bevölkerung. Die Leute möchten eine ökologische Landwirtschaft und ein hohes Tierwohl. Sie haben es satt, via Werbung belogen zu werden und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage mit Milliarden von Subventionen zu finanzieren. Reden wir über die Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Im April 2017 veröffentlichte das ETH-Wasserforschungsinstitut EAWAG eine Studie zur Pestizidbelastung, worin fünf Schweizer Bäche untersucht wurden. In keinem Fall wurden die gesetzlichen Anforderungen an die Wasserqualität eingehalten. Erstaunt Sie das? Nein. In kaum einem anderen Land versprüht die Landwirtschaft so viele Pflanzenschutzmittel wie in der Schweiz. Über 2.000 Tonnen sind es pro Jahr. Die Wirksamkeit und damit auch Giftigkeit der Pestizide nimmt laufend zu. 85 bis 90 Prozent der Pestizide werden übrigens von der Landwirtschaft versprüht, der Rest im Verkehrs- und Siedlungsbereich. Wieso ist der Pestizideinsatz in der Schweiz derart hoch? Die Direktzahlungen in der Schweiz sind fünf bis zehn Mal höher als in umliegenden Ländern. Das führt dazu, dass in der Schweiz besonders intensiv – auch bezüglich des Pestizideinsatzes – gewirtschaftet wird. Was ist eigentlich genau das Problem mit den Pestiziden? Ein beachtlicher Teil der ausgebrachten Pestizide gelangt ins Wasser. Auf dem Weg dorthin töten die Giftstoffe nicht nur Schädlinge, sondern auch nützliche Kleinstlebewesen sowie Bienen und Pflanzen. Sie alle sind für die Bodenqualität, Biodiversität und Umwelt von grosser Bedeutung. Die Schäden, die der Pestizideinsatz verursacht, bedeuten erhebliche volkswirtschaftliche Kosten. Diese sind schwer zu beziffern, belaufen sich aber auf bis zu 100 Mio Franken jährlich. Das besagt eine von Umwelt- und Vogelschutzorganisationen in Auftrag gegebene Studie von INFRAS, einem Forschungszentrum für nachhaltige Entwicklung. In Frankreich zeigte eine Studie einen Zusammenhang zwischen der Pestizidexposition in der Landwirtschaft und zig Zivilisationskrankheiten, darunter Krebs, Parkinson, Alzheimer, Depressionen sowie Fruchtbarkeits- und Entwicklungsstörungen. Die oben zitierte INFRAS-Studie spricht hierzulande von bis zu 75 Millionen an Gesundheitskosten, die durch Pestizide verursacht werden. Wieso spricht in der Schweiz niemand darüber? Dieses Thema wird einfach unter den Teppich gekehrt. Die Behörden übernehmen null Verantwortung für die Schäden, die Pestizide anrichten. Sie lassen der Landwirtschaft freien Lauf. Dabei sind sie sich bewusst, dass sie damit unsere Lebensgrundlage und unsere Gesundheit aufs Spiel setzen. Der Biolandbau, der ohne chemische Pflanzengifte auskommt, hat verglichen mit der konventionellen Landwirtschaft rund 15 bis 25 Prozent tiefere Erträge. Derweil prognostiziert die Welternährungsorganisation der UNO, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9 Milliarden Menschen ansteigen wird. Droht mit Ihrer Initiative nicht eine Versorgungslücke? Nein, eben gerade nicht: die Initiative fördert die Ernährungssicherheit. Ein schonender, ökologisch orientierter Anbau ist die beste Versicherung, um die Fruchtbarkeit der Böden zu erhalten. Die gegenwärtig oft überintensive, einseitig auf Höchstleistung getrimmte Produktion schädigt dagegen die Böden, das Wasser und damit auch das Produktionspotenzial für Krisenzeiten. Zudem ist die Schweizer Landwirtschaft mittlerweile so stark von Betriebsmittelimporten wie Futtermittel, Pestizide, Dünger, Erdöl etc. aus dem Ausland abhängig, dass sie bei geschlossenen Grenzen kollabieren würde. Ernährungssicherheit sieht anders aus. Ihre Initiative will ferner den Antibiotikaverbrauch in der Tierproduktion eindämmen. Wieso? Die auf Hochleistung getrimmte Fleisch- und Milchproduktion der Schweizer Landwirtschaft fordert einen hohen Preis. Heute werden in der Schweiz pro Jahr rund 42 Tonnen Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt – und das vor allem präventiv, damit die geschwächten, überzüchteten Tiere nicht krank werden. Die in der Tierhaltung eingesetzten Antibiotika gelangen zu einem grossen Teil via Gülle und Mist auf die Felder. Und von dort auch in den Wasserkreislauf. Durch den übermässigen Einsatz von Antibiotika haben sich antibiotikaresistente Bakterien gebildet, die von der Eidgenössischen Fachkommission für biologische Sicherheit zur «grössten Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung in der Schweiz» erklärt wurden. Diese multiresistenten Bakterien bedrohen uns gleich mehrfach, denn sie befinden sich sowohl in den Gewässern als auch in der Nahrung. Der Bundesrat hat eine «Nationale Strategie Antibiotikaresistenzen» (StAR) zur Reduktion des Einsatzes von Antibiotika ausgerufen. Konkret soll etwa eine Datenbank eingerichtet werden, um die verwendete Menge an Antibiotika schweizweit erfassen zu können. Reicht das nicht? Nein, das reicht nicht. Was in der Strategie des Bundesrates fehlt, ist ein Verbot des prophylaktischen Einsatzes von Antibiotika in der Tierproduktion. Genau das fordert unsere Initiative. Ich finde es respektlos gegenüber Mensch und Tier, dass man seit Jahrzehnten eine Tierhaltung zulässt, die ohne Antibiotika nicht funktioniert. Die Tierhaltung muss sofort angepasst werden, so dass prophylaktisches Antibiotika nicht mehr nötig ist. Welche Landwirtschaft schwebt Ihnen vor? Eine giftfreie Landwirtschaft, die wieder mehr Vielfalt bietet an Früchten, Gemüse und Getreide. Eine Landwirtschaft, die auf eigene Ressourcen basiert. Eine Landwirtschaft, die das Wort «Nutztiere» nicht mehr kennt, sondern die Tiere als Mitlebewesen achtet und respektiert. Hinweis: TIF unterstützt die Trinkwasser-Initiative.

Fleisch + Milch versus Ernährungssicherheit

Ende September 2017 stimmt das Schweizer Stimmvolk zur Ernährungssicherheit ab. Franziska Herren und Tobias Sennhauser (TIF) greifen in einem Vortrag das Thema auf. Während Franziska ihre Trinkwasser-Initiative vorstellen wird, wird Tobias die hübschen Werbebotschaften der Tierindustrie demaskieren. Datum: 14. September 2017, 19:00 – 21:30 Ort: Vatter Business Center, Bärenplatz 2, Bern Siehe Facebook-Event (www.facebook.com/events/124102644887849/).
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