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Interview

„Fischzucht ist ein Motor der Überfischung, keine Alternative!“

Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat ihren neuen Fischerei-Bericht veröffentlicht. Die Lage sei ernst, man zeigt sich besorgt über den steigenden Fischkonsum. Was tun? Klaus Petrus (tif) im Gespräch mit Billo Heinzpeter Studer von fair-fish.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Schon jetzt sei ein Drittel der weltweiten Fischbestände überfischt, heisst es in einem neuen Report der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Aquakulturen sollen für Nachschub sorgen – und zugleich die Überfischung der Meere stoppen. Was so aber nicht stimmt.

Klaus Petrus von tier-im-fokus.ch (tif) im Gespräch mit Billo Heinzpeter Studer, Fachstellenleiter bei fair-fish und Autor zahlreicher Artikel zum Fischfang.

KLAUS PETRUS: Die FAO hat ihren neuen Fischerei-Bericht veröffentlicht. Richard Grainger, Mit-Autor der Studie, zeigt sich besorgt über den hohen Fischkonsum. Waren Sie von den Ergebnissen des Berichts überrascht?
BILLO HEINZPETER STUDER: Nicht überrascht, aber sehr zornig. Dass viel zu viele Fische gegessen (und verfüttert!) werden, ist schon lange klar. Aber bis jetzt wird das in den Medien ja immer so dargestellt, dass die „bösen Fischer“ zuviel fangen. Für wen denn? Für die „bösen Konsumenten“, ohne deren Nachfrage die Fischerei gar kein Geschäftsmodell wäre. Bis vor sechs Generationen war sie’s ja auch nicht, denn früher haben die Menschen kaum Fisch gegessen, auch jene nicht, die an den Küsten lebten.

Die weltweite Überfischung nimmt stetig zu. Und das, obwohl es inzwischen etliche Labels gibt, die eine sogenannt nachhaltige Befischung garantieren sollen. Zeigen diese Massnahmen denn keine Wirkung?
Solange die Menschheit unmöglich viel Fisch konsumiert, sind alle „Nachhaltigkeits“-Massnahmen reine Augenwischerei. Selbst noch so strenge Labels können nicht mehr Fisch herbeizaubern, als der Planet auf Dauer hergibt.

Labels sind als Orientierungshilfe dann sinnvoll, wenn wir unseren Konsum auf höchstens eine Fischmahlzeit pro Monat reduziert haben. Und Labels können Beispiele für ein besseres Fischereimanagement setzen, dem nationale und internationale Behörden folgen sollten.

Bis vor kurzen galten Aquakulturen als umweltschonende Alternative zum Wildfang. Inzwischen werden sie immer häufiger kritisiert. Weshalb?
Fische aus Zucht statt Fische aus leeren Meeren: Das klingt für Laien logisch, und darum fallen auch viele ökologisch orientierte KonsumentInnen noch immer darauf herein. Dabei sind Fischzuchten aus mindestens zwei Gründen höchst problematisch, und es braucht eigentlich wenig Nachdenken, um das zu erkennen.

Erstens ist Fischzucht in aller Regel nichts anderes als Massentierhaltung, intensiver noch als die Mast von Schweinen oder Hühnern in Tierfabriken. Im Vergleich zu dem, was wir über die arteigenen Bedürfnisse und Verhaltensweisen bei Huhn, Schwein, Kuh & Co heute wissen, sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ethologie der mittlerweile über 400 gezüchteten Fischarten extrem bescheiden, wenn nicht gar inexistent. Dementsprechend ist es schwierig, mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse der Fische durchzusetzen.

Zweitens ist Fischzucht ökologisch nur dann sinnvoll, wenn die Fütterung sehr effizient und ohne tierische Eiweisse möglich ist. Noch ist das bei der Mehrheit der aus Zucht gewonnenen Tonnen möglich, weil in China und in Asien generell vor allem pflanzenfressende Fische wie Karpfen extensiv und ohne Fischmehleinsatz gezüchtet werden.

Doch die Zuchtfische, die wir in Europa und Nordamerika vor allem essen, sind Raubfischarten (Lachs, Forelle, Dorade, Wolfsbarsch usw.). Sie müssen mit mindestens dreimal soviel Fisch (in Form von Mehl und Öl) gefüttert werden, wie sie selber am Schluss auf den Teller bringen. Die Futterfische stammen zum grössten Teil aus dem Meer – Fischzucht für den Weltnorden ist also ein Motor der Überfischung, keine Alternative!

Geht es um Nachhaltigkeit, ist von den Fischen – ihrem Leben, Leiden und Sterben – fast nie die Rede. Auch bei Labels wie Marine Stewardship Council (MSC) oder Friend of the Sea (FOS) steht der Tierschutz im Hintergrund. Oder täuscht dieser Eindruck?
Nein, das ist genau so, bei der Fischzucht wie beim Fischfang. Rücksicht auf die Bedürfnisse oder das Leiden der Fische gibt es in der Praxis kaum. Das liegt weniger an der „Bosheit“ der Fischer und Züchter, sondern vor allem an der Gedankenlosigkeit der KonsumentInnen, ja: der Zivilgesellschaft insgesamt.

Sogar Tierschutzorganisationen vergessen gern, dass Fische Lebewesen sind wie eine Katze, ein Hund, ein Kanarienvogel. Mittlerweile hat die Wissenschaft wenigstens mehrheitlich anerkannt, dass Fische Schmerz und Leiden empfinden können. Aber es wird noch Jahre an Aufklärung brauchen, bis dieses Wissen in der Gesellschaft ankommt – und weitere Jahre, bis Fischerei und Fischzucht gezwungen werden (über den Markt und über Gesetze), mit Fischen als Lebewesen schonend umzugehen.

Wenn Sie an die Probleme der weltweiten Fischerei denken – ethische, ökologische, soziopolitische –, was würden Sie den KonsumentInnen hierzulande raten?
Erster Schritt: Höchstens einmal Fisch pro Monat. Die Behauptung, wir bräuchten Fisch für unsere Gesundheit, ist Unsinn: Omega-3, Jod usw. können wir uns auch ohne Umweg über die Leerfischerei zuführen.

Zweiter Schritt: Wenn Fisch, dann am besten mit einem anerkannten Label. Leider ist das Label fair-fish, das auch für Tierschutz und Fairtrade steht, dem Markt noch zu streng …

Lesen Sie dazu auch unsere Artikel Fisch frisst Fische auf und Überfischung der Meere: was tun?

Billo Heinzpeter Studer (geb. 1947) ist Sozialpsychologe und Journalist in Winterthur. Berufliche Tätigkeiten für verschiedene Umwelt-, Drittwelt- und Tierschutzorganisationen, von 1985 bis 2001 Geschäftsleiter der Nutztierschutz- Organisation kagfreiland. Initiant von fair-fish (1997), Fachstellenleiter des Schweizer Vereins fair-fish.ch (seit 2000) und Präsident des Vereins fair-fish.net (seit 2010). Studer hat zahlreiche Artikel und Broschüren zum Fischfang verfasst und ist Autor u.a. des Buches Schweiz ohne Hühnerbatterie (2001).

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1 Kommentar

Enshi
vor 13 Jahre

Herr Studer,

ihre genannten Argumente, kann ich nicht ganz nachvollziehen.
1. Argument: Fische können nicht artgerecht gehalten werden.

Ich sehe das etwas pragmatischer. Entweder sterben die Tiere aus oder können durch Zucht davor bewahrt werden und sich vielleicht sogar in freier Natur erholen. Das mag vielleicht für die in Zucht lebenden Tiere nicht das angenehmste sein, aber irgendwo müssen immer Kompromisse eingegangen werden.

2. Argument: Raubfischarten in Zucht werden zum Großteil mit Fischen aus dem Meer gefüttert.

Wenn die Fischzucht weiter ausgebaut wird, können Raubfischarten auch aus der Fischzucht ernährt werden.

Und zu dem Argument, einfach weniger Fisch essen.
Kurzfristig mag das helfen, aber bei wachsender Weltbevölkerung kommen wir irgendwann wieder an den gleichen Punkt…

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