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Interview

„Die Bienenhaltung muss dezentralisiert, nicht professionalisiert werden“

Das Bienensterben ist in aller Munde. Kein Wunder, starben im Winter 2011/12 schweizweit doch nahezu 50% der Bienenvölker. Auch der Film More than Honey hat die Debatte um die Biene beflügelt. Der Imker André Wermelinger hat diesbezüglich ein klares Ziel, das er mit dem 2013 neugegründeten Verein erreichen will: Free The Bees. Tobias Sennhauser von tier-im-fokus.ch (tif) hat mit ihm gesprochen.

Text: Tier im Fokus (TIF)

TOBIAS SENNHAUSER: Die EU-Kommission will einige Insektizide der Gruppe der Neonikotinoide für zunächst zwei Jahre verbieten. Auch die Schweiz will dem Verbot der EU folgen. Ist das ein guter Entscheid?
ANDRÉ WERMELINGER: Ganz klar: ja! Aber die Diskussion um Pestizide wird einseitig geführt: Über 150 verschiedene Pestizide wurden in Proben aus Bienenständen in den USA gefunden. Von mehreren Dutzend wird in europäischen Studien gesprochen. Von Imkern eigenhändig eingesetzte Akarizide mit insektizider Nebenwirkung werden im Wachs der Völker nachgewiesen, von wo aus Pollen, Bienenbrot und Honig kontaminiert werden. Auf der anderen Seite werden Pestizide aus der intensiven Landwirtschaft am häufigsten in Pollen nachgewiesen. Honigbienen sind damit ständig subletalen (nicht tödlichen) Pestizid-Cocktails ausgesetzt. Man kann in etwa erahnen, wie sich dies auf die längerfristige Gesundheit der Biene auswirkt.

Der Einfluss von Pestiziden auf das Bienensterben bleibt umstritten. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) sieht die Hauptursache jedoch in der Varroamilbe.
Natürlich und wild lebende Populationen der westlichen Honigbiene haben kein Problem mit der Varroamilbe. Im Arnot Forest im Staat New York ist eine ganze Population zwischen 1978 und 2005 anzahlmässig gleich stark geblieben, obwohl in den 80er und 90er Jahren die Varroamilbe eingetroffen ist und die Völker befallen hat. Zudem verenden derzeit in der Schweiz vollständig natürlich gehaltene Bienenvölker an Futtermangel, lange bevor Varroas zu einem Problem werden. Insofern verbreitet das BLW fragwürdige Unwahrheiten unter dem Deckmäntelchen der Wissenschaft.

Nämlich?
Die gängige und durch die Bundesämter für Landwirtschaft und Veterinärwesen den Imkern mit Nachdruck empfohlene Behandlung mit Ameisen- und Oxalsäure führt wissenschaftlich erwiesen zu biologischem Zelltod in der Bienenbrut. Der Imker selbst kennt die absterbende Brut nach der Ameisensäurebehandlung. Was das Kind tötet, dürfte auch der adulten Biene kaum förderlich sein. Resultat ist die Schwächung des Superorganismus‘ Bien und dessen Immunsystem. Pikantes Detail: Swissmedic als offizielle Zulassungsbehörde für Arzneimittel sind „bei Beachtung der Anwendungsempfehlungen keine Nebenwirkungen bekannt“.

Nun sollen varroa-resistente Bienen gezüchtet werden. Ist das die Lösung?
Bringt man die oben erwähnten „resistenten“ Bienen aus dem Arnot Forest in die Zivilisation, erliegen diese ebenso schnell der Varroamilbe (bzw. der mit dem Milbenbefall verbundenen Krankheiten), wie alle anderen Zuchtvölker. Der Bienenforscher Thomas Seeley schliesst daraus, dass dafür viel mehr die künstlich hochgehaltene Virulenz von Milbe und Viren ausschlaggebend sind, als die Resistenz der Bienenvölker. Mit der konventionellen Imkerei „züchten“ wir eine Art Super-Varroa, welche es in der Natur so gar nicht gäbe.

Wer Bienen züchtet, macht dies zwangsweise widernatürlich. Man strebt gewisse Zuchtziele an und favorisiert bestimmte Ausprägungen der Bienenvölker. Die Zucht verhindert aber beispielsweise das Kennen des natürlichen Schwarmverhaltens. Und gerade dieses ist ein Schlüsselfaktor für die Anpassungsfähigkeit an Umweltveränderungen. Erreicht man einen Zuchterfolg auf einem bestimmten Zuchtziel, dann ist dieser spätestens im nächsten Jahr beim nächsten Ausschwärmen wieder gefährdet, weil sich die neue Königin aus dem Muttervolk mit einer anderen Drohne aus der Umgebung kreuzt. Also kommt man aus der widernatürlichen Zucht gar nie mehr heraus und muss jährlich künstlich selektierte Königinnen zusetzen.

Die Antwort ist somit klar NEIN. Zucht ist die Lösung für Ertragsoptimierung, nicht aber die Lösung für die Anpassungsfähigkeit an natürliche Veränderungen und damit die längerfristige Arterhaltung der Honigbiene.

Apropos Ertragsoptimierung: Bienen werden meist mit Zucker gefüttert. Würde Honig die Bienengesundheit verbessern?
Ja. Vergleicht man Zucker mit Nektar, stellt man riesige Unterschiede fest. Zucker ist eine minderwertige Energiezufuhr, die in keinster Weise den Ernährungsbedürfnissen der Biene gerecht wird.

Man muss aber vorsichtig sein: Honigimkerei heisst nicht zwingend Zuckerfütterung! Wer den Bienen einen Mindestanteil an eigenem Honig als Wintervorrat belässt, kommt unter Umständen mit recht geringen Zuckerfütterungen aus. Wer zudem den Vorschwarm weitgehend ungehindert zulässt und nicht künstlich Bienenvölker vermehrt, darf von sich sagen, dass er ziemlich artgerecht Honig produziert. Aber viele Imker sind stolz auf ihre Ertragszahlen und arbeiten gegen die Natur, obwohl der Aufwand in keinem Verhältnis zum Honigertrag steht (der Stundenlohn eines Imkers liegt zwischen CHF -1.50 und +7.80).

Kann Bio dem Bienensterben entgegenwirken?
Die biologische Landwirtschaft verzeichnet auch ohne Pestizide gute und vor allem langfristig optimierte Erträge. Dass Pestizide eine Notwendigkeit zur Erhaltung der erforderlichen Erträge seien, ist eine Fehlinterpretation aufgrund einer kurzfristigen Denkweise. Die biologische Produktion hilft nicht nur der Honigbiene, sondern auch allen anderen Insekten, die sich von Pollen- und Nektar ernähren. Wir haben kein eigentliches Honigbienensterben, sondern ein echtes Insekten-Problem!

Die derzeit bekannten Honig-Biolabels sind insbesondere an der Güte des menschlichen Honigkonsums ausgerichtet, nehmen aber harte Kompromisse an der artgerechten Bienenhaltung in Kauf. Das für die Biene beste Label ist derzeit der Demeter-Honig, aber auch dort sind nebenwirkungsstarke Behandlungsmittel wie Ameisen- und Oxalsäure zugelassen.

Wie wird die Biene wieder widerstandsfähiger?
Free The Bees hat sich zum Ziel gesetzt, dass die Biene dereinst wieder autonom und ohne imkerliche Eingriffe in der Schweiz leben kann. Dafür müssen wir Bienenkästen, ähnlich wie Vogelnistkästen in der Natur oder in privaten Gärten, auf Dächern oder grösseren Balkonen verbreiten. Die Bienenhaltung muss dezentralisiert, nicht professionalisiert werden. Hohe Bienendichten sind zu vermeiden. Wir brauchen insbesondere regional zusammenhängende Netzwerke wild lebendender Bienenvölker, die sich frei kreuzen können und weitestgehend der natürlichen Selektion unterliegen. Was hart ist, vermehrt sich, was schwach ist, geht ein.

André Wermelinger ist Imker und gründete 2013 den Verein Free The Bees, der sich für den Schutz und die Verbreitung von eigenständig lebenden Honigbienenvölkern in der Schweiz einsetzt. Ein Anliegen ist dem Verein auch die artgerechte und nachhaltige Bienenhaltung, wofür er umfangreiche Hintergrundinformationen verfasste.

 
 

 

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2 Kommentare

Hildegard Ginoh
vor 8 Jahre

Free the Bees, find ich klasse! Wunderbar! Tolle Arbeit, muss ich schn sagen! Viel Glück weiterhin.
Lg die Hildegard

Claude
vor 10 Jahre

Es gibt die Biene Maja. Ansonsten gibt es nicht „die Biene“. Es gibt hunderte von Spezies schon nur in der Schweiz. Die Honigbiene ist nur eine davon.
Die Haltung muss abgeschafft werden. Diese ist ethisch nicht vertretbar. „Free The Bees“ klingt vom Namen her als sei dies das Ziel, aber mir scheint das ist nicht der Fall. „Artgerechte Bienenhaltung“ gibt es genausowenig wie artgerechte Menschenhaltung.

Ansonsten wäre es eventuell sinnvoll dem Sterben entgegenzutreten. Insektenhotels sind dafür wohl gut geeignet.

Allgemeine Informationen zu „Honig“:
http://maqi.de/txt/bienenerbrochenes.html

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