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Mensch & Tier

Magnus Schwantje – „radikaler Ethiker“

Er war überzeugter Pazifist, forderte eine "radikale Ethik", kämpfte gegen jede Form der Unterdrückung und setzte sich entschieden für die Rechte der Tiere ein: Magnus Schwantje (1877-1959). Die Historikerin Renate Brucker hat für tier-im-fokus.ch (tif) ein Porträt dieses häufig vergessenen Aktivisten verfasst.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Magnus Schwantje (1877-1959) gehört zu den durch den nationalsozialistischen Kulturbruch des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit geratenen Denkern. Erst neuerdings wird seine umfassende Analyse des Gewaltproblems, die die Mensch-Tier-Beziehungen einschließt, wieder aufgegriffen. Auch wurde er – und nicht Albert Schweitzer – inzwischen als Schöpfer des Wortes „Ehrfurcht vor dem Leben“ erkannt. Aus dieser Haltung der Ehrfurcht entwickelte Schwantje seine „radikale Ethik“, in der er zu weit reichenderen Folgerungen für die persönliche Lebensführung gelangte als Albert Schweitzer. Dieses und die fehlende Anbindung an ein akademisches Milieu verhinderten wohl eine breitere Anerkennung seiner Leistung.

Aufwachsen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten

Magnus Schwantje wurde am 3. Juni 1877 als jüngstes von vier Kindern in Oldenburg geboren. Seine Eltern führten ein kleines Textilgeschäft. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten musste er die Oberrealschule mit 14½ Jahren verlassen und eine Buchhandelslehre beginnen. Seine Familie war evangelisch-baptistisch und durchaus religiös geprägt. Als Erwachsener distanzierte er sich von jeder Religion und erklärte metaphysische und theologische Fragen als unlösbar. Statt auf einer religiösen entwickelte er seine „radikale“ Ethik auf einer rationalen Basis.

Früh entsetzte Schwantje das Leiden von Tieren, das im 19. Jahrhundert noch nicht in der heutigen Weise abgeschirmt war. Es ist sicher keine Rückprojektion, wenn er berichtet, als Kind einen Artikel über die Vivisektion gelesen und sich vorgenommen zu haben, als Erwachsener hiergegen zu kämpfen.

Selbst lernen

Von der Buchhandelslehre erhoffte er sich das Rüstzeug, um später Schriftsteller werden zu können. Im Selbststudium erwarb er Kenntnisse des Englischen, Französischen und Lateinischen und holte 1898 – mit 21 Jahren – extern die sogenannte „Mittlere Reife“ nach.

Schwantje erscheint als Autodidakt im positiven Sinne, der kritisch nachfragt und sich ein eigenes Urteil bildet. Vielen zeitgenössischen – gerade auch akademischen – Schriftstellern ist er durch Logik, Vorurteilsfreiheit und Klarheit überlegen. Er teilte keines der nationalen, antisemitischen, antifeministischen oder eurozentrischen Vorurteile, die an höheren Schulen und Universitäten virulent waren.

Seine Sprache war nüchtern und verständlich. Der Philosoph Kurt Hiller bezeichnete seine Abhandlung „Das Recht zur Gewaltanwendung“ als „ethische Mathematik“ (Schwantje 1950: Umschlag). In jeder Abhandlung legte er seine Argumente sorgfältig dar und wog sie gegen andere ab, erläuterte die benutzten Begriffe und seine spezifische Art der Verwendung. So grenzte er etwa sein Verständnis der „Ehrfurcht vor dem Leben“ gegen dasjenige von Albert Schweitzer ab, in dem er die Gefahr einer Verflachung sah (Schwantje 1949: 6). Diesen rationalen Diskursstil pflegte er nicht nur selbst, er sah darin eine allgemein verbindliche Norm.

Selbst denken

In allen seinen Schriften forderte Schwantje den Leser zur eigenen Meinungsbildung und vorurteilsfreien Prüfung überkommener Ansichten auf. Die kritiklose Übernahme tradierter Vorstellungen und die Anpassung des eigenen Urteils an die soziale Umgebung durch die Mehrzahl der Menschen galten ihm als wesentliche Hindernisse des gesellschaftlichen Fortschritts, insbesondere im Hinblick auf Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber den Tieren. Selbständige Urteilsfähigkeit sah er als Voraussetzung für eine demokratischen Gesellschaft, in der einer kritischen Öffentlichkeit die demokratische Kontrolle der Fachleute zufällt.

Besonders charakteristisch für sein Denken waren die Ablehnung von Pauschalisierungen und die Bereitschaft und Fähigkeit zum Differenzieren. Auch da, wo Elemente einer Philosophie übernommen wurden, wurden andere Aspekte kritisiert und unter Umständen direkt abgelehnt. So teilte er zwar die pessimistische Weltanschauung Schopenhauers und dessen Auffassung vom Mitleid als der Grundlage der Moral, lehnte aber dessen politische und soziale Auffassungen entschieden ab. Ebenso deutlich war seine Kritik an den von Gobineau übernommenen Auffassungen Richard Wagners. Während er dessen Bewertung des Mitleids sowie Tierliebe schätzte, lassen Beurteilungen wie „absurd“, „verworren“ oder „ganz unbegründet“, wenn es um Nationalismus und Rassismus geht, an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig (Schwantje 1919a: 17f). Sie zeigen auch den Mut, die weniger unabhängig urteilende Schar der Anhänger vor den Kopf zu stoßen.

Die erste Publikation: Jagdkritik

Titelblatt der ersten Publikation Schwantjes © Magnus-Schwantje-Archiv

Nach seiner Ausbildung ging Schwantje nach München (1895-1897), wo er die Modeströmung Theosophie kennen lernte, von der er sich schnell enttäuscht abwandte. Als Neunzehnjähriger veröffentlichte er auf eigene Kosten seine erste Schrift „Das edle Waidwerk und der Lustmord“ (Schwantje 1897). In sorgfältiger Beweisführung widerlegte er die Argumente der Jagdbefürworter und zeigte, dass die Lust am Töten – zumindest unbewusst – das eigentliche Motiv der Jagd bildet. Dies rechtfertigte die befremdende Bezeichnung „Lustmord“. Gesellschaftskritik – es sind vornehmlich die „Stützen der Gesellschaft“, die jagen – wurde mit Kritik an nationalen Stereotypen verbunden – die Grausamkeit der spanischen Stiergefechte wird in Deutschland kritisiert, nicht aber die mindestens ebenso grausame Vergnügungsjagd. Jäger werden von dem allgemeinen Verbot der Tierquälerei ausgenommen, ja die Quälerei wird sogar als „edel“ besungen. Vom Staat ist – mit Verweis auf das allgemeine Verbot der Tierquälerei – zumindest das Unterbinden der Hetzjagden zu fordern.

Die zweite Publikation: Naturheilkunde – Vegetarismus – Antivivisektion

In seiner zweiten Publikation „Das Recht der Laien gegenüber den Ärzten“ ging es um die Bedeutung der Naturheilkunde und die Versäumnisse der meisten Ärzte bei der Aufklärung über gesunde Lebensführung, Hygiene und Krankheitsprävention (Schwantje 1901). Diese Leistung schrieb er der Naturheilkunde zu, die auf die Information und Mitarbeit der Patienten setze.

Das eigentlich zentrale Thema war allerdings die Vivisektion, von der die Naturheilkunde unabhängig war. Magnus Schwantje griff zwar die aktuelle Thematik der Naturheilbewegung auf und vertrat sinnvolle und fortschrittliche gesundheitspolitische Forderungen, war jedoch nicht so auf das Paradigma „Gesundheit“ fixiert wie die Lebensreformbewegung insgesamt. Ihm ging es vor allem um die Abschaffung der Tierversuche. Er wollte sogar aus ethischen Gründen auch dann Vegetarier bleiben, wenn gesundheitliche Nachteile dieser Lebensführung nachgewiesen würden. Gesundheit war für ihn erstrebenswert, um damit ethische Werte zu verwirklichen, nicht als alleiniger Zweck an sich.

Aktivist der Tierrechtsbewegung

Durch diese Publikationen wurde der – reichsweit tätige – Berliner Tierschutzverein auf ihn aufmerksam und bot ihm 1902 eine Anstellung als Vortragsredner und Redakteur an. Seither bis zu seinem Lebensende widmete er sich, von zeitweiligen Teilzeitstellen als Privatsekretär oder Redakteur einer Musikzeitschrift abgesehen, hauptberuflich der Tierrechtsbewegung.

Man könnte Schwantje als einen frühen Aktivisten der Bewegung bezeichnen. Zwar verfügten damals schon einige Tierschutzvereine über Angestellte, aber er war – soweit bekannt – der erste, der hauptberuflich gleichzeitig konzeptionell und organisatorisch arbeitete und eigene Organisationen gründete, um seine Vorstellungen umzusetzen. Zeitlebens bedauerte er, dass die damit verbundene Kleinarbeit ihn von umfassenderen Arbeiten zur Ethik abgehalten hätte.

Vortragstätigkeit

Der mündliche Vortrag war die typische Kommunikationsform des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts. Große Säle fassten 1.000 Zuhörer oder mehr. Schwantje hielt in den Jahren 1902 bis 1906 jährlich etwa 50 Vorträge im gesamten deutschen Sprachraum zu Tierrechtsthemen. Die Veranstalter waren nicht nur Tierschutz-, Naturheil- und Vegetariervereine, sondern auch religiöse, kulturelle, bildungs- und friedenspolitische Vereinigungen sowie Zusammenschlüsse verschiedener Berufe. Seine besondere Aufmerksamkeit galten den Arbeiter- und Gewerkschaftsgruppen. Immer wieder beklagte er die Kritiklosigkeit der Führung der Sozialdemokratie gegenüber den Verteidigern der Tierexperimente in der Medizin und ihre Identifikation des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts mit dem Fortschritt der Menschheit allgemein.

„Die Gefahren der Vivisektion für die Arbeiterklasse“

Um 1900 hatten medizinische Experimente an Angehörigen von Randgruppen öffentliche Aufmerksamkeit erregt und für Diskussion bis hin zu Reichstagsdebatten geführt. Besonders skandalös wirkte die Syphilisinfektionen von Kindern und Minderjährigen durch Dr. med. Alfred Neißer ohne Information der Betroffenen (Schwantje 1919b: 21f). Ludwig Quidde, linksliberaler Politiker, prominenter Pazifist (Friedensnobelpreis 1927) und führend in der Antivivisektionsbewegung, hatte diesen Skandal aufgedeckt. Aus dieser Zeit stammte die lebenslange wechselseitige Unterstützung beider Aktivisten.

Schwantje thematisierte den Zusammenhang zwischen dem Missbrauch der Tiere und dem der ahnungs- und hilflosen Patienten in seinen Vorträgen über „Die Gefahren der Vivisektion für die Arbeiterklasse“ (Brief an Gustav Ahrens, 01.05.1904). In verschiedenen Städten gelang es ihm, Arbeiter zur Gründung von Tierschutz- oder Antivivisektionsvereinigungen zu motivieren. Die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Ahrens (Hamburg) und Thiele (Halle) versuchten, ein entsprechendes Problembewusstsein in ihrer Partei zu entwickeln. Insofern ist die häufige Abqualifizierung von Tierrechtsbelangen als Luxusproblem bürgerlicher Kreise zu relativieren. Der Berliner Tierschutzverein setzte diese erfolgreiche Zusammenarbeit allerdings nicht fort.

Tierschutz und „verwandte Bestrebungen“

Foto © Magnus-Schwantje-Archiv

Am 15. März 1907 gründete Schwantje die „Gesellschaft zur Förderung des Tierschutzes und verwandter Bestrebungen“. Durch sie wollte er sein zentrales Anliegen umsetzen: den Zusammenhang aller auf humanen und sozialen Fortschritt gerichteten Bestrebungen deutlich zu machen. Als Vorbild bezog er sich ausdrücklich auf die englische Humanitarian League. Die Gesellschaft sollte einerseits den Tierschutz als besonders vernachlässigte Bestrebung fördern, andererseits das im Tierschutz vorhandene humane Potential anderen humanitären Bestrebungen zukommen lassen und von diesen im Idealfalle wieder Unterstützung erfahren.

Auf einem Tierschutz- und Antivivisektionskongress in London 1909 stellte er dieses Konzept zum ersten Mal einem internationalen Publikum vor. Tierrechtler sollten vor allem mit den Vorkämpfern für soziale und strafrechtliche Reformen, insbesondere zur Abschaffung der Todesstrafe, für die Erhaltung des Friedens, die Erweiterung der Frauenrechte, für den Kinderschutz und die Erziehungsreform sowie für die Reform der Lebens- und Heilweise und gegen den Alkoholmissbrauch (ein damals sehr aktuelles sozialpolitisches Thema) zusammenarbeiten.

Die „radikale Ethik“

Systematisch entwickelte Schwantje den Begriff der „radikalen Ethik“ bereits vor dem Ersten Weltkrieg (Schwantje 1913). Trotz mancher Bedenken wegen einer möglichen abschreckenden Wirkung des Wortes „radikal“ entschieden Vorstand und Mitglieder sich zum 01.01.1919 für den Namen „Bund für radikale Ethik“. Dieser erreichte gegen Ende der Weimarer Republik über 800 Mitglieder, zu denen bedeutende Pazifisten und Sozialreformer gehörten.

Radikalismus sollte im Verständnis des Bundes nicht mit Fanatismus verwechselt werden, sondern wäre mit „die Wurzel angreifend“ zu übersetzen. Gerade in den kleinen (oder für klein gehaltenen) „Zugeständnissen an das Böse“ sah Schwantje die Wurzeln der gesellschaftlichen Übel. Rotte man diese aus, so rotte man auch die Wurzeln größerer Übel aus. So ließ er auch nicht das Scheinargument gelten, dass es schlimmere Übel gebe – ein Einwand, der immer wieder gegen Tierschutzbemühungen erhoben wird (Schwantje 1919c).

Radikaler Tierschutz oder Tierrechte

Schwantje sah den Tierschutz als fundamental an, denn wer das Recht der Tiere auf Befreiung von allem Leid anerkenne, erkenne damit dasselbe Recht des Menschen an.

Der Tierschutz wurde als die radikalste Betätigung des Mitgefühls verstanden und dieses – hier zeigte sich der Einfluss Schopenhauers – als die „Triebfeder zu allem sittlichen Handeln“ (Bund für radikale Ethik 1918). Da die Wichtigkeit des Tierschutzes mehr als die jeder anderen sittlichen Aufgabe der Zeit unterschätzt werde, sollte sich die Arbeit des Bundes hierauf konzentrieren. Der radikale Tierschutz geht davon aus, dass Tiere als leidensfähige Subjekte Rechte haben. Insofern kann der „Bund für radikale Ethik“ bzw. schon die „Gesellschaft“ als erster Tierrechtsverband Deutschlands bezeichnet werden.

In der Praxis konzentrierte sich der radikale Tierschutz Schwantjes auf die Förderung des Vegetarismus, die Bekämpfung der Vivisektion sowie der Jagd, insbesondere der Vergnügungsjagd.

Gewaltzusammenhänge

Radikale Ethik kritisiert Gewalt gegen Tiere und Menschen, nicht nur in ihrer direkten, physischen Gestalt, sondern auch in strukturellen und kulturellen Zusammenhängen.

Schwantje war der Begriff der strukturellen Gewalt selbstverständlich noch unbekannt. Die Gesellschaft wurde als ein wechselbezüglicher Gewaltzusammenhang beschrieben, in dem „[…] das Verhalten des Menschen gegen die Tiere einen unermesslichen Einfluss auf sein Verhalten gegen die Mitmenschen ausübt“, wie „[…] auch umgekehrt das Verhalten der Menschen gegen einander auf die Behandlung der Tiere einwirkt. Zwischen dem Verhalten des Menschen gegen die Tiere und dem gegen die Mitmenschen findet eine gegenseitige Beeinflussung statt; Ungerechtigkeit und Rohheit gegen die Tiere ist nicht nur eine Ursache, sondern oft auch eine Wirkung von Ungerechtigkeit und Roheit gegen die Menschen.“ (Schwantje 1909a: 3)

Direkte Gewalt: Krieg, Schlachten, Todesstrafe

Direkte, gleichwohl legale Gewalt gegen Menschen und Tiere manifestiert sich massenhaft im Krieg, im Schlachten und Fleischverzehr. Schwantje differenzierte das Diktum Tolstois „Solange es Schlachthöfe gibt, wird es Schlachtfelder geben“. Er ging davon aus, dass es Schlachthöfe sehr viel länger als Kriege geben würde, dass allerdings die Bemühungen zur Erhaltung des Friedens und gegen den Militarismus durch die Gewohnheit des Fleischessens erheblich gehemmt würden (Schwantje 1928: 21):

„Es zeugt von einem erstaunlichen Mangel an psychologischer Einsicht, wenn man glaubt, daß wir die „Heiligkeit“, die Unantastbarkeit des Menschenlebens zur allgemeinen Anerkennung bringen könnten, solange die Menschen täglich im Blut unschuldiger Tiere waten, um sich ein leicht entbehrliches Nahrungs- und Genussmittel zu verschaffen. Die Ehrfurcht vor dem Menschenleben kann nur erwachsen aus der Ehrfurcht vor dem Leben in jeder Gestalt.“

Die Folgen des Fleischessens

Die Gewohnheit des Fleischessens ist nicht nur verantwortlich für ein ungeheures Maß gesellschaftlich erzeugter Leiden der Tiere, sie bedingt auch eine psychologische Habitualisierung im Dienste kriegerischer Politik. Sie gewöhnt die Fleischesser an Grausamkeiten und die Bevorzugung minimaler Eigeninteressen gegenüber den existentiellen Interessen anderer Lebewesen – auch gegenüber den Angehörigen anderer sozialer Gruppen oder Nationen.

Fleischproduktion bedeutet Ressourcen- und Raumverschwendung, wodurch die Neigung zu kriegerischer Politik gefördert wird. Sie fördert soziale Ungleichheit, d.h. strukturelle Gewalt, durch Einschränkung der Lebensmöglichkeiten auf dem Lande mit der Folge von Landflucht, einem Überangebot an industriellen Arbeitskräften und Lohndrückerei. Außerdem erfordert sie eine erhebliche Menge gesellschaftlicher Arbeit, die für andere, z.B. kulturelle, Zwecke nicht mehr zur Verfügung steht.

Auch in der Todesstrafe, gegen die er sich schon in sehr frühen Jahren engagierte, sah Schwantje vor allem eine gesellschaftlich legitimierte Grausamkeit, die letztlich das gesellschaftliche Gewaltpotential stärkt.

Vegetarismus und Pazifismus als Bundesgenossen

Erste Ausgabe der „Ethischen Rundschau“ © Magnus-Schwantje-Archiv

Wenn es die Gewohnheit des Fleischessens ist, die die Ächtung des Krieges und den Aufbau einer friedlichen Gesellschafts- und Weltordnung hemmt wie keine andere, dann sind Pazifismus, Tierschutz und Vegetarismus die engsten „verwandten Bestrebungen“. Ihre Organisationen müssen sich als Bundesgenossen betrachten, wie Schwantje programmatisch formulierte.

Die 1912 von ihm gegründete Zeitschrift „Ethische Rundschau“ bot eine Plattform für die angestrebte Zusammenarbeit. Hier publizierten wichtige Persönlichkeiten der Friedensbewegung wie Adolf Richter, Otto Umfried, Hans Wehberg, Leopold Katscher, Richard Feldhaus und andere Autoren, hier wurden auch pazifistische Manifeste und Aufrufe oder Aufsätze aus anderen pazifistischen Zeitschriften veröffentlicht bzw. zusammengefasst.

Die Idee der Bundesgenossenschaft stellte Schwantje zuerst den Teilnehmern des V. Deutschen Friedenskongresses 1912 in Berlin und in vielen Aufsätzen und Vorträgen einem breiteren Publikum vor.

Der Erste Weltkrieg

Im Gegensatz zur allgemeinen Begeisterung empfand Schwantje den Krieg als Katastrophe, die um so mehr zur Weiterarbeit im Sinne der Friedensbewegung verpflichtete. Statt der als „neuer deutscher Gruß“ von Regierung und Militär propagierten Formel „Gott strafe England“ schlug er „Gott segne alle Völker“ vor (Schwantje 1915: 29f). Eingezogen wurde er aus gesundheitlichen Gründen nicht, möglicherweise eine Folge vorsätzlichen Hungerns. Allerdings war 1916 die Versorgungslage in Berlin so schlecht, dass dies auch eine natürliche Kriegsfolge sein konnte.

Die klar pazifistische „Ethische Rundschau“ mit ihren „Friedensheften“ wurde 1915 durch die Militärbehörden verboten. 1916 fand in Ascona ein „Vegetarisch-sozialer Kongress“ statt, auf dem sein Beitrag „Tiermord und Menschenmord. Vegetarismus und Pazifismus“ verlesen wurde (Schwantje 1919d). Er selbst konnte nicht teilnehmen, die Rede wurde später in Auszügen in der Zeitschrift „Das neue Europa“ abgedruckt.

Freundschaft mit Hans Paasche

Einen Teil der Kriegszeit verbrachte Schwantje auf dem Gut eines Freundes, des ehemaligen Offiziers, Pazifisten und radikalen Tierschützers Hans Paasche. Dieser wurde 1917 inhaftiert, im November 1918 befreit und für die USPD politisch aktiv. Er hatte sich jedoch schon von der Politik zurückgezogen, als er 1920 von Reichswehrtruppen ermordet wurde.

Schwantje hatte nicht nur den Mut, seinen Freund in der „Schutzhaftanstalt“ mehrfach zu besuchen, er deckte in seiner Biographie Paasches auch die rechtswidrigen Machenschaften der Militärbehörden und der Justiz bei der Vorbereitung und Vertuschung dieses Mordes auf und hielt später das Andenken an Hans Paasche wach (Schwantje 1921).

Die Novemberrevolution

Die Aktivitäten der „Gesellschaft“ hatten während des Krieges stark eingeschränkt werden müssen. Nicht nur war ihre Zeitschrift verboten, viele Mitglieder waren gefallen oder standen an der Front. Die noch in Berlin verbliebenen trafen sich monatlich zu einer informellen Gesprächsrunde. Auch mit pazifistisch eingestellten Sozialdemokraten wie etwa Eduard Bernstein oder Pazifisten wie Kurt Hiller, Minna Cauer, Ludwig Quidde und anderen hielt Schwantje Kontakt .

Mit der Novemberrevolution konnte Schwantje sein friedens- und tierschutzpolitisches Engagement verstärkt wieder aufnehmen. Politisch stand er der USPD nahe, war auch Mitglied des antimilitaristischen „Bundes Neues Vaterland“ und der von seinem Freund Kurt Hiller gegründeten Gruppe „Politischer Rat geistiger Arbeiter“. Auch gehörte er zum „leitenden Linkskreis“ der Berliner Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft und zu den Gründern des „Bundes der Kriegsdienstgegner“. Auf einer Versammlung des „Bundes Neues Vaterland“ am 10.11.1918 im Berliner Tiergarten warnte er in der für ihn typischen Weise vor einer „Revolutionspsychose“ und forderte die Zuhörer auf, nicht auf Gerüchte zu hören oder sich fanatisieren zu lassen, sondern ihr kritisches Urteil zu befragen (Schwantje 1918).

Friedenspolitik in der Weimarer Republik

Der „Bund für radikale Ethik“ war Mitglied im „Deutschen Friedenskartell“, dem Dachverband der pazifistischen Organisationen Deutschlands. Eine eigene umfangreiche Zeitschrift wie die „Ethische Rundschau“ war in der Weimarer Republik nicht mehr finanzierbar, über die Vereinstätigkeit konnte nur in einem kleinen Mitteilungsblatt berichtet werden. Doch publizierte Schwantje weiter in pazifistischen Zeitschriften wie der „Friedenswarte“ oder der „Friedensfront“, setzte sich für die Veröffentlichung von Fotos entstellender Kriegsverletzungen ein und warb immer wieder, z.T. auf längeren Vortragsreisen, für die Ideen der radikalen Ethik.

1927 erhielt er auf dem „VII. Demokratischen Friedenskongress“ in Würzburg durch seinen Freund Vitus Heller die Möglichkeit, über „Tierschlachtung und Krieg“ zu sprechen. Der Vortrag wurde – wie einige wichtige andere – als Broschüre herausgegeben (Schwantje 1928).

In seiner 1922 zuerst erschienenen Schrift „Das Recht zur Gewaltanwendung“ (Schwantje 1950) setzte sich Magnus Schwantje mit Tolstois Lehre der absoluten Gewaltlosigkeit auseinander. Er plädierte nicht für eine absolute Ablehnung von Gewalt, sondern für eine kritische Abwägung. Grundsätzlich muss Gewalt möglichst eingeschränkt werden, andererseits kann und muss sie eingesetzt werden, wenn das Übel, das durch sie verhindert werden kann, größer ist als der Schaden, der andernfalls entstehen würde. Es geht Schwantje um eine eigene, der Situation angepasste Entscheidung, für die er in seiner Schrift sinnvolle Grundsätze aufstellen wollte.

Strukturelle Gewalt

Strukturelle Gewalt liegt in sozialen Verhältnissen begründet, in denen Menschen – und Tiere – unter ihren Möglichkeiten leben und arbeiten müssen. Unter struktureller Gewalt leiden vor allem Arbeiter, Frauen, Kinder. Derartige Gewaltverhältnisse wie soziale Ungerechtigkeit, zu geringe Löhne und inhumane Arbeit spielten in der Begründung des Vegetarismus durch Magnus Schwantje neben der Tierethik eine wichtige Rolle. Er verfügte über ein ausgeprägtes soziales Empfinden.

So beklagte Schwantje nicht nur die Heuchelei von Fleischessern in der Verachtung des Schlachters, sondern auch die Ungerechtigkeit, dass junge Menschen aus den unteren Klassen mangels Alternativen diesen Beruf ergreifen müssen. Dass für Luxusbedürfnisse der einen Gruppe existentielle Bedürfnisse der Schwächeren geopfert werden, erschien ihm nicht hinnehmbar. Nach seiner Auffassung machten sich etwa die Menschen, die morgens frisches Brot verlangten, schuldig an der Gesundheitsschädigung der Bäcker durch Schlafmangel, die Fleischesser an der Belastung der Metzger mit einer inhumanen, häufig nur mit Hilfe von Alkohol erträglichen Arbeit.

Für die Rechte von Frauen

Die Benachteiligung von Frauen, die Unzulänglichkeit ihrer Rechtsstellung sowie die Notwendigkeit von Veränderungen waren ständige Themen der „Ethischen Rundschau“. Auch Vertreterinnen der Frauenbewegung selbst konnten hier publizieren. Schwantje wertete die Arbeit der Frauen für den Tierschutz sehr hoch, dabei lehnte er biologistische Erklärungsmuster wie „Mutterinstinkt“ ausdrücklich ab. Er kritisierte frauenfeindliche Ideologien und hatte schon 1909 die Frauenbewegung ausdrücklich zu den „verwandten Bestrebungen“ der Tierschutzbewegung erklärt (Schwantje 1909a:14f).

Aus Schwantjes Ablehnung völkischen Denkens ergab sich konsequent eine antinatalistische Position. Zugleich gab er dem Einsatz für gesellschaftliche Ziele den Vorrang vor eigener Nachkommenschaft. Dass Ehe und Familie die wichtigsten weiblichen Aufgaben wären, erschien ihm als Ausdruck eines Vorurteils, dagegen betonte er die Notwendigkeit einer qualifizierten Berufsausbildung auch für Frauen.

Insofern ist es nicht erstaunlich, dass gerade die politisch engagierten, gut qualifizierten Frauen aus dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund bis zu seinem Tode mit ihm in Verbindung blieben und ihn unterstützten.

Gegen Gewalt in der Erziehung

Im Nachlass Magnus Schwantjes findet sich ein Briefentwurf, in dem er die damals üblichen Erziehungsmethoden kritisiert (Brief an Dr. Grimm, Halensee, 01.04.1906). Trotz seines jungen Alters beweist er darin eine erstaunliche Empathie für Säuglinge und kleine Kinder. Wiederholt äußerte er sich gegen die damals noch als legitim betrachtete Prügelstrafe.

Die „Ethische Rundschau“ thematisierte die offene und verdeckte Gewalt in Schule und Elternhaus. Bekannte Reformpädagogen wie Paul Geheeb und Ludwig Gurlitt publizierten hier zur Jugendbewegung, zur Erziehungsreform und zur Militarisierung der Jugend. Enge Beziehungen unterhielt Schwantje auch zur Walkemühle, der reformpädagogischen Schule Leonard Nelsons und Minna Spechts und zum Reformpädagogen Ludwig Wunder.

Modern und an den Opfern orientiert erscheint auch seine Position im sogenannten „Breslauer Sittenskandal“. Hier hatte eine Gruppe „guter Bürger“ Kinder sexuell missbraucht. Zeitungen begannen aber bald mit einer Täter-Opfer-Umkehr. Dies wies Schwantje in der „Ethischen Rundschau“ mit dem Hinweis auf die Schutzbedürftigkeit und das gänzlich kindliche Verhalten der Opfer zurück. Auch Johanna Arendt (die Tante Hannah Arendts) konnte in dieser Zeitschrift ihre Nachforschungen auf dem Gebiet des Kinderhandels darstellen. Viele bürgerliche Zeitschriften hingegen verschwiegen dieses Problem.

Gewalt fördert Gewalt

Schwantje richtete seine Aufmerksamkeit auf Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen, weil er hier den wichtigsten Ansatzpunkt für eine humane Gesellschaft sah. Gewalterfahrungen könnten sich in Gewalt gegen Tiere niederschlagen, umgekehrt könne eine Erziehung zur Sensibilität gegenüber Tieren zu einem Abbau gewalttätigen Verhaltens gegen Menschen und Tiere zugleich beitragen.

Somit müssten alle humanitären Bestrebungen den Schutz von Tieren, alle Tierschutzbestrebungen Verbesserungen für Menschen einbeziehen. So wären Empathie und Sensibilität optimal zu fördern und Abscheu vor Gewalt zu bewirken. Dies setzt einerseits günstige soziale Bedingungen voraus, wie sie etwa die Schulreform- und Landschulheimbewegung schaffen wollten. Andererseits müssen diese Zusammenhänge auch bewusst gemacht und explizit thematisiert werden.

Dies leistete das 1908 zuerst herausgegebene Flugblatt „Der erste Schritt zur Grausamkeit“, das in hunderttausenden von Exemplaren verbreitet und in vielen Zeitungen ganz oder auszugsweise abgedruckt wurde (Schwantje 1909b). Ebenso weit verbreitet wurde das Kinder direkt ansprechende Flugblatt „Liebe Kinder, fangt keine Käfer und Schmetterlinge“ (Schwantje 1906). Es zog Schwantje den Zorn professioneller Entomologen zu, die das Fangen und Präparieren von Insekten für ein wichtiges Bildungserlebnis hielten.

Kulturelle Gewalt

Wie kaum ein anderer Tierrechtler erkannte Schwantje die Bedeutung kultureller Muster und Vorstellungen für die Einstellungen der meisten Menschen zu den Tieren. Zwar hatte schon Schopenhauer auf die Abwertung der Tiere durch die Sprache hingewiesen, doch Schwantje präzisierte die Funktion ideologischer Tiervorstellungen (Schwantje 1928:10):

„Gerade weil der Mensch von den Tieren großen Nutzen empfängt, verachtet er sie. Die heutige Tier-Verachtung hat dieselbe Ursache wie die Unterschätzung der Arbeiter, der Frauen, der Neger [Anmerkung RB: seinerzeit kein diskriminierender Begriff] und anderer unterdrückter und ausgebeuteter Menschen. Immer wenn die Menschen andere Menschen unterdrücken und ausbeuten wollen, pflegen sie sich Ansichten über diese Mitmenschen zu suggerieren, die ihnen die Ausbeutung erleichtern.“

Tierverachtung und Tierausbeutung

In vielen Schriften bemühte sich Magnus Schwantje um die Verbreitung zutreffender Kenntnisse über die Empfindungs- und Leidensfähigkeit, Emotionen und Intelligenz der Tiere. Die meisten Zeitgenossen, so seine Kritik, hätten hiervon völlig unzulängliche – eben die Ausbeutung erleichternde – Vorstellungen. Sie sahen in den Tieren mehr oder weniger Maschinen oder reine Instinktwesen und billigten ihnen weder Gefühle noch Verstand zu. Tierverachtung und Tierquälerei hingen unmittelbar zusammen, daher sollten Tiernamen nicht herabsetzend gebraucht werden.

In seinem Buch „Die Liebe zu den Tieren“ gestaltete Schwantje ein Gegenbild zur geläufigen Tierverachtung (Schwantje 1923). Hier versammelte er einfühlsame Texte von Emil Zola, Rosa Luxemburg, Manfred Kyber, Christian Wagner, Iwan Turgenjew, Adalbert von Chamisso, Christian Morgenstern, Peter Kropotkin, Bertha von Suttner und anderen Autoren, die ein positives Tierbild zeichneten und sich zu ihrer Liebe zu den Tieren bekannten.

Darwinismus und Sozialdarwinismus

Foto © Magnus-Schwantje-Archiv

Als eine weitere Facette der verzerrten Wahrnehmung von Tieren kritisierte Schwantje die Auffassung, in der Natur herrsche ein ständiger „Kampf ums Dasein“. Dieser falsch verstandene Darwinismus wird als „Sozialdarwinismus“ auf die Gesellschaft übertragen. Schwantje kannte den Begriff noch nicht, analysierte aber den Wirkmechanismus. Eine Gefahr sah er darin, dass die Menschen die Auffassungen, die sie sich von der Natur machen, auf die Gesellschaft projizieren und als Rechtfertigung eigener – in diesem Falle aggressiver – Tendenzen lesen. Die ständige Beschwörung des „Kampfes ums Dasein“ unterstütze nicht nur eine tierverachtende Ideologie, sondern auch Gewalt- und Kriegsverherrlichung unter den Menschen. Zu ihrer Widerlegung berief sich Schwantje vor allem auf Peter Kropotkin, dessen Naturbeobachtungen die Bedeutung der „Gegenseitigen Hilfe“ in der Entwicklung nachwiesen (Schwantje 1952).

Im Sinne der Friedenserziehung stellte der Bund für radikale Ethik 1919 an die Versammlung der Deutschen Friedensgesellschaft den Antrag, dass im naturkundlichen Unterricht nicht die verfälschte Lehre vom Kampf ums Dasein, sondern ein objektives Bild vermittelt werden sollte, das Solidarität und Unterstützung auch unter Tieren einbezieht. Der Antrag wurde angenommen.

Gegen Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus

Muster kultureller Gewalt, die sich gegen bestimmte Menschengruppen richteten, wurden von Schwantje verschiedentlich kritisiert. Beispielsweise verteidigte er die farbigen Soldaten, über deren angebliche besondere Grausamkeit sich am Ende des Ersten Weltkrieges viele Deutsche erregten, darunter auch manche Intellektuelle wie Max Weber. Für Bücher mit rassistischen, „rassenhygienischen“, behindertenfeindlichen und antisemitischen Tendenzen wurde Werbung in der „Ethischen Rundschau“ abgelehnt, die Autoren über die Gründe informiert.

Tiermisshandlungen seien nicht dem „nationalen Charakter“ zuzuschreiben, Tierschützer sollten sich über alle nationalen Grenzen hinweg freundschaftlich unterstützen. Da Schwantje Tierschutz als eine übernationale Aufgabe sah, entwickelte er ein Konzept für ein Tierschutzamt beim Völkerbund. Er selbst bezeichnete sich als „Internationalist von Jugend auf“, das Loblied auf das deutsche Volk in der Nationalhymne fand er „unverdient“. Der antisemitische „Semi-Gotha“, ein Verzeichnis der (angeblichen) Juden im öffentlichen Leben Deutschlands bezeichnete ihn 1913 (unzutreffend) als Juden. Als dies 1935 wiederholt wurde, kommentierte er: „Einen Menschen mit meiner Einstellung kann man hierdurch gar nicht beleidigen.“ (Brief an H. Forschepiepe, 27.10.1935)

Die Abwertung Behinderter wurde ebenfalls thematisiert und kritisiert: Auch die damals stark diskriminierten geistig Behinderten müssten in ihrer menschlichen Liebenswürdigkeit gesehen werden.

Exil

Angesichts dieser vielfältigen Ausdrucksformen kultureller Gewalt setzte Magnus Schwantje vor allem auf die Bewusstseinsbildung, die „Läuterung und Vertiefung der ethischen Anschauungen“ (Bund für radikale Ethik 1918). Im nationalsozialistischen Staat war dieses unmöglich, daher löste er den „Bund für radikale Ethik“ im Februar 1934 auf. Seine politischen Verbindungen und pazifistischen Aktivitäten, Flugblätter gegen den Reichspräsidenten Hindenburg, gegen die Verherrlichung Friedrichs II. von Preußen, für die Wiederzulassung des Rotfrontkämpferbundes 1929 und vor allem die Zusammenarbeit mit dem von dem Philosophen Leonard Nelson gegründeten Internationalen Sozialistischen Kampfbund führten zu Verhören, Hausdurchsuchungen und schließlich zur Verhaftung im September 1934.

Der ständigen Gefahr entzog sich Magnus Schwantje dann durch die Flucht in die Schweiz. Hier arbeitete er von 1934 bis 1950 materiell und aufenthaltsrechtlich ungesichert im Sinne der radikalen Ethik. Politische – auch pazifistische – Aussagen waren Emigranten untersagt. In Deutschland erhielt er 1935 ein Publikationsverbot, musste sich also bis 1945 auf meist anonyme Mitarbeit in der Schweizer Tierrechtsbewegung beschränken.

Rückkehr

Als er 1950 im Alter von 73 Jahren in die „im Wiederaufbau“ befindliche Bundesrepublik zurückkehrte, fand er für seine „radikale Ethik“ wenig Verständnis. Eine Anerkennung als politisch Verfolgter wurde ihm versagt.

Frühere Mitglieder des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes wie Willi Eichler und Nora Block verschafften ihm immerhin eine kleine Ehrenpension und brachten einen Teil seiner Schriften in ihrem Verlag „Öffentliches Leben“ heraus. Ein großer Teil seiner Manuskripte, Bibliothek und Korrespondenz – und damit seines Lebenswerkes – war allerdings vernichtet.

Doch auch das noch vorhandene Material zeigt einen Menschen, der sein Leben für das Ziel einsetzte, „die Welt zwar nicht gut, aber weniger schlecht (zu) machen, zwar nicht dauernd, aber vorübergehend.“

Renate Brucker, Studium der Geschichte und Soziologie, Arbeit in der Erwachsenenbildung. Verfasserin einer Biographie des ersten sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Preußens, Paul Hirsch; Aufsätze zum Thema Gewalt und zur Geschichte der Tierrechtsidee, so u.a. „Tierrechte und Friedensbewegung“, in Tierische Geschichte, ed. D. Brantz & C. Mauch (Paderborn u.a. 2010) sowie mehrere Kapitel über die Geschichte der Tierrechtsidee in Das Schlachten beenden! (Heidelberg 2010); weitere Schriften und Vorträge von Renate Brucker hier.

Literatur

Bund für radikale Ethik (1918), Programm und Satzung nebst Mitteilungen über unsere bisherige Tätigkeit, Berlin.

Schwantje, Magnus (1897), Das edle Waidwerk und der Lustmord, München.

Schwantje, Magnus (1901), Das Recht der Laien gegenüber den Ärzten, Berlin.

Schwantje, Magnus (1906), Liebe Kinder, fangt keine Käfer und Schmetterlinge (Flugblatt).

Schwantje, Magnus (1909a), Die Beziehungen der Tierschutzbewegung zu andern ethischen Bestrebungen, Berlin.

Schwantje, Magnus (1909b), Der erste Schritt zur Grausamkeit (Flugblatt).

Schwantje, Magnus (1913), Über radikale Ethik. In: Ethische Rundschau 1: 1-4.

Schwantje, Magnus (1915), An einen Friedensfreund. In: Ethische Rundschau 1-2: 29-30.

Schwantje, Magnus (1918), Gegen eine Revolutionspsychose (Flugblatt).

Schwantje, Magnus (1919a), Richard Wagner’s ethisches Wirken, Berlin.

Schwantje, Magnus (1919b), Gründe gegen die Vivisektion, Berlin.

Schwantje, Magnus (1919c), Radikalismus und Idealismus, Berlin.

Schwantje, Magnus (1919d), Tiermord und Menschenmord, Vegetarismus und Pazifismus, Berlin.

Schwantje, Magnus (1921), Hans Paasche. Sein Leben und Wirken, Berlin.

Schwantje, Magnus (1923), Die Liebe zu den Tieren, Berlin (2. Aufl. Berlin o.J.).

Schwantje, Magnus (1928), Tierschlachtung und Krieg. Ein am 7. September 1927 auf dem VII: Internationalen Demokratischen Friedens-Kongreß in Würzburg gehaltener Vortrag, Berlin.

Schwantje, Magnus (1949), Ehrfurcht vor dem Leben, Brüderlichkeit und Vegetarismus, Zürich.

Schwantje, Magnus (1950), Das Recht zur Gewaltanwendung, 2. erw. Aufl., Göttingen-Hamburg.

Schwantje, Magnus (1952), Gegenseitige Hilfe und Kampf ums Dasein in der Tierwelt, Frankfurt a.M.

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3 Kommentare

Günther Rossipaul
vor 9 Jahre

DANKE für diese umfassende Aufklärung zu Magnus Schwantje.Gerade konnte ich 12 Schwantje-Drucksachen an die Landesbibliothek Oldenburg verkaufen… möge dieser Oldenburger endlich das Interesse und die Würdigung finden, die ihm OL schuldet. Jaspers und Janssen haben bestimmt nichts dagegen – im Gegenteil!

jantiff
vor 12 Jahre

Neulich wurde von der Organisation „mercyforanimals“ ein Video eingestellt, auf dem zu sehen ist, wie mehrere Tausend Schweine lebendig begraben werden.

Immer wenn man denkt, man hätte das Schlimmste gesehen, was der Mensch den Tieren antun kann, wird man eines Besseren belehrt.

Magnus Schwantje nannte die Tierschutzbewegung eine der „höchsten und heiligsten Bewegung aller Zeiten, weil sie die Menschheit mahnt, nicht dem Teufel der Grausamkeit den kleinen Finger zu geben“.

Die meisten seiner Texte sind leider aktueller denn je und in ihrer Tiefe herausragend. Er war nicht nur seiner, sondern auch unserer Zeit weit voraus: Ich kenne studierte Philosophen, die noch nicht mal seinen Namen gehört haben. Sein 50. Todestag war den Medien keine Zeile wert.

Doch das wird sich ändern, da bin ich mir sicher.

Arabella Unger
vor 12 Jahre

Renate Brucker sei Dank für diese konzise Darstellung der Bedeutung von Magnus Schwantje. Aus seinem Wirken wird die Unteilbarkeit einer Gewaltfreiheit im Bereich aller Lebewesen untereinander sichtbar, so wie es schon vor 2500 Jahren sich im Ahimsa-Gebot des Jinismus manifestiert hat.

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