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Nutztierhaltung

Der Ballast mit den Hennen

Letztes Jahr beklagte die Branche an Ostern Engpässe. Die Bevölkerung wollte unbedingt mehr Eier. Heuer hat sie vorgesorgt. Jetzt gilt es, die Eierproduktion herunter zu fahren. Und das tut man, indem man die überzähligen Hühner "entsorgt". Von Klaus Petrus und Martina Späni (tif).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Das Fabriktier im Huhn

„Überstunden im Hühnerstall“, „Eierproduktion auf Hochtouren“, „Ein fleissig Volk von Hühnern“. So tönt es kurz vor Ostern alle Jahre wieder in der Tagespresse.

Das Interesse in diesen Berichten gilt der Frage, was es braucht, damit über 100 Millionen Schweizer Eier zur richtigen Zeit am richtigen Ort in den Regalen stehen. Die Antwort liegt auf der Hand und wäre eigentlich kaum eine Story wert: Was es braucht, sind unvorstellbar viele Legehennen, die im Akkord und billig und am besten ohne Aufsicht maximalen Wert erzeugen.

Aber das ist nicht alles. Denn da gibt es offenbar noch unsere Faszination an dieser penibel durchdachten Verwertungsmaschinerie (Beobachter-Artikel: „Der Anblick ist überwältig – und irgendwie bizarr: Ein Meer von braunen Hühnern füllt den Raum. Überall neugierig gereckte Hälse, überall flauschige, auf Stangen balancierende Hühner-Hinterteile“). Und natürlich dieses wiederkehrende, tiefsitzende Unbehagen, das uns ob solch einer reibungslosen Verwandlung empfindsamer Wesen in reine Fabriktiere beschleicht.

Was noch auffällt: Nach dem österlichen Eiertanz herrscht in den Blättern um das Thema weit herum Totenstille.

Mit 18 Monaten bereits eine „Althenne“

Und Totenstille herrscht auch in den Produktionsstätten: „Die Hühner bringen Leben in den Hof, und wenn sie weg sind, fehlt etwas“, berichtet ein Produzent, der im Bernischen Neuenegg Platz für 10.000 Hühner hat.

Foto © tier-im-fokus.ch

Weg müssen die Hühner deshalb, weil sie weiterhin Eier legen, obschon die KonsumentInnen gerade nach Ostern genug davon haben. Da die Produktion nicht von einem Tag auf den andern herunter gefahren werden kann und also zu viele Eier den Markt regelrecht überschwemmen, greift der Bund den EierhändlerInnen und -produzentInnen mit Marktentlastungsbeiträgen unter die Arme. Damit soll ein Zusammenbruch der Produzentenpreise nach Ostern vermieden werden. Subventioniert werden Aufschlags- und Verbilligungsaktionen ab einer Mindestmenge von 50.000 Eier: 5 Rappen gibt es pro überschüssiges verbilligtes Schalenei, 9 Rappen sind es, wenn das Ei aufgeschlagen und verarbeitet wird.

Doch das ist nur Kosmetik, viel wichtiger ist es, die Produktion zu verringern. Und das tut man, indem man in diesen Tagen die überzähligen Hühner entsorgt. Das Timing ist durchdacht, denn sie haben im Alter von 18 Monaten und mit rund 320 Eiern ihr Soll erfüllt.

Ihr erstes Ei legen Hühner mit 5 Monaten, von da an dauert es ein Jahr, bis die „Legeleistung“ abnimmt. Dann kommen die Tiere in ihre erste Mauser, das ist eine mehrwöchige Phase, in der sie ihr Federkleid wechseln und keine Eier legen – aber natürlich weiterhin Nahrung benötigen, und zwar mehr denn je. In der darauf folgenden Legeperiode werden die Eier nicht bloss rarer (es sind „nur“ noch 250 Stück), sondern auch grösser und damit weniger „konsumentengerecht“ – sie müssten billiger verkauft werden.

Mehr Futter, weniger Eier. In der Schweiz gibt es jährlich 1.7 Millionen Hühner, die aus Sicht der Branche nicht mehr rentieren und mit eineinhalb Jahren bereits zu den „Althennen“ gehören, wie sie im Fachjargon genannt werden. Dabei könnten Hühner 10 Jahr und älter werden. Die Rede ist im Übrigen vom Gallus gallus domesticus, unserem Haushuhn also, und nicht von seinen freien Ahnen, den Bankiva-Hühnern, die ohnehin nur fünf bis sechs Eier im Jahr legen.

Biogas, Katzenfutter oder doch Suppenhuhn?

Was also tun mit den Hühnern? Bis vor kurzem wäre das bloss eine rhetorische Frage gewesen, jetzt aber wird die Sache allmählich zum Politikum.

Bisher haben in der Schweiz die beiden Gross-Schlächtereien Bell AG (Coop) und Micarna (Migros) die meisten „Althennen“ entsorgt. Ein Teil wurde zu Suppenhühnern oder Pastetlifüllungen verarbeitet, ein anderer Teil zu Futter für Haustiere. Nun haben diese Betriebe aber angekündigt, nach Ostern 2010 keine Legehennen mehr zu schlachten, da die „Entsorgung“ mit 75 Rappen bis 1.25 Schweizer Franken pro Tier zu teuer ist.

Neue Lösungen müssen her, um Althennen möglichst kostenneutral zu verwerten. Eine Möglichkeit besteht darin, sie zu verbrennen und als Wärmesubstrat in Zementfabriken oder als Rohstoff für Biogas-Anlagen zu verwenden. Eine andere Möglichkeit wäre, sie wieder zu Futtermittel für Schweine zu verarbeiten.

Der Eierproduzentenverein Gallo Suisse ist mit diesen Varianten nicht zufrieden – sie seien „ethisch nicht vertretbar“ oder zumindest „verschwenderisch“. Mit der 2009 gegründeten Selbsthilfeorganisation GalloCircle will man sich stattdessen für die Rehabilitierung des „Suppenhuhns“ einsetzen.

Tatsächlich ist das Image des Suppenhuhns arg angeschlagen; in der Schweiz werden derzeit bloss 15 bis 20 Prozent der Legehühner als Suppenhuhn verkauft. Völlig zu unrecht, ist der Metzgermeister Werner Wirth überzeugt: Schliesslich sind die Zeiten, da ein Suppenhuhn bis zur Schlachtung sechs Jahre alt wurde und damit ungeniessbar, längst vorbei. Heute sind sie gerade einmal 18 Monate alt und damit „keineswegs alte, zähe Hühner, sondern junge, gesunde Tiere, deren Fleisch von bester Qualität ist“, weiss auch der Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes (STS), Hansuli Huber, zu berichten.

Aus Liebe zum Tier und aus Liebe zum Geld

Die Skepsis aber bleibt: In Zeiten des Fast Food sind zwei oder drei Stunden, die es braucht, um ein Suppenhuhn zuzubreiten, zu viel. Zudem hätten nur etwa 20 Prozent der Legehühner noch genügend Fleisch auf den häufig frakturierten Knochen.

Aus diesem Grund schlagen gewisse EierproduzentInnen einen in ihren Augen fundamental anderen Ansatz vor: Man solle die Tiere drei Monate länger leben lassen und die in dieser Phase produzierten Eier in der Verarbeitungsindustrie nutzen. Auf diese Weise müssten „weniger Bibeli ausgebrütet werden“, womit zugleich ein ethisches Problem entschärft werde.

Der Eierhändler Othmar Hungerbühler, Initiant dieses Vorschlages und Chef von eiswiss, spricht hier eine häufig verdrängte Tatsache an: Aus 52 Prozent der Eier schlüpfen unweigerlich Hähnchen, die als „Masttiere“ nicht taugen, da sie zu wenig Fleisch ansetzen und zu langsam wachsen. Also werden sie unmittelbar nach dem Schlüpfen vergast, verschreddert oder als Lebendfutter für Zootiere verwendet. In der Schweiz sind das über 2 Millionen Tiere pro Jahr.

Was Hungerbühler natürlich auch zu wissen glaubt und keineswegs verschweigen möchte: Die um drei Monate verlängerte „Nutzungsdauer“ der Tiere rentiert. Schliesslich sei das Huhn nach 12 Monaten, in denen es Schaleneier produzierte, bereits „amortisiert“.

Nach Dienstende vergast

Bleibt, so oder so, die Frage der Schlachtung. Als Alternative zu den zentralen Gross-Schlächtereien Bell AG und Micarna sollen „mobile Tötungsanlagen“ in Einsatz kommen.

Das Prozedere wurde von der Firma Hunziker Food Recycling AG in einem Pilotprojekt bereits ausgetestet und könnte schweizweit umgesetzt werden: Ein Schlachtmobil fährt beim Betrieb des Produzenten vorbei, die Hühner werden vor der Stalltüre in einen mit CO2 gefüllten Kontainer gescheucht und binnen Sekunden betäubt.

„Ohne Schreck und Leiden für das Tier“, versichert das Kompetenzzentrum der schweizerischen Geflügelwirtschaft, Aviforum. Zudem könne man auf diese Weise den für die Hühner belastenden Transport in weiter gelegene Schlachthöfe vermeiden. Die Tötung selbst dauert sechs bis acht Minuten, sie sei aber „fachgerecht“ und funktioniere nach demselben Prinzip wie Anlagen, die von KantonstierärztInnen zur Bekämpfung der Vogel-Grippe benutzt wurden.

Huhn oder Ei?

Letztes Jahr beklagte die Branche an Ostern Engpässe. Die Schweizer Bevölkerung wollte unbedingt mehr Eier. Heuer wurde vorgesorgt, mit 58 Millionen Eiern im März und weiteren 56 Millionen im April. Die Folgekosten könnten zum Problem werden, kurzfristig aber hat man sie im Griff: Was eben noch Ostereier legte, wird in diesen Tagen grossflächig vergast.

Davon ist der Presse eher weniger die Rede. Dass wir Tiere nicht übermässig instrumentalisieren dürfen und dieser Grundsatz bei uns unter dem Stichwort „Tierwürde“ verfassungsmässig geschützt ist – als einzigem Land der Welt, wie wir ansonsten gerne hervorheben –, passt irgendwie nicht in die österliche Zeit. Überhaupt: Eine Lobby hat das Lebewesen Huhn im richtigen Leben nicht. „Eilieferanten“, „Eiweissmaschinen“, „Eier-Roboter“ sind längst schon geläufige und durchaus treffende Begrifflichkeiten für ein gefiedertes Etwas, das in all seinen Belangen zu einer „Tiermaschine“ degradiert wird, wie Ruth Harrison sie schon Mitte der 1960er Jahre nannte.

Und seit das Ei vom Cholesterin-Verdacht weitgehend freigesprochen wurde, stehen offenbar auch die KonsumentInnen nicht mehr in der Pflicht: „Wenn Sie an Ostern sieben Eier essen und an anderen Tagen nicht übertreiben, dann ist das absolut kein Problem“, dozierte ein ETH-Ernährungsexperte in der Sonntagspresse.

Huhn oder Ei? Für die Branche spielt die Reihenfolge keine Rolle, denn sie will beides. Sollte sich bei dieser Gretchen-Frage zwischendurch doch noch die Menschlichkeit in uns regen, wäre zu vermerken: Moralisch gesehen, kommt zuerst das Huhn. Und sollte es gar so etwas wie eine Ethik des Essens geben, müsste die Antwort lauten: weder noch.

Hühnerbestand in der Schweiz (2008): 8.474.239 Tiere
Elterntiere: 156.723
Legeküken und Junghennen: 919.008
Legehennen: 2.098.152
Masthühner: 5.300.356

Konsum in der Schweiz (2009)
Gesamtverbrauch Eier: 1.48 Milliarden (53% aus dem Ausland)
Eikonsum pro Einwohner: 187 Eier
Gesamtkonsum Hühnerfleisch: 85.200 Tonnen
Hühnerfleisch pro Einwohner: 10.8 Kilogramm

Lebenserwartung: 12 Jahre
als Legehuhn: 17 Monate
als Masthuhn: 27 bis 80 Tage
als männliche Küken: wenige Stunden

Quellen: Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) // Aviforum Statistik

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3 Kommentare

tif
vor 12 Jahre

hallo romana — kommerzielle legehühner bzw. hybridhühner legen ihre ersten eier mit 5 oder 6 monaten, dann legen sie in rund 1 jahr bis zu 300 eier, bevor sie mit etwa 18 monaten in die mauser kommen, eine zeitspanne, in der sie keine eier legen — zu diesem zeitpunkt, also mit eineinhalb jahren, gelten sie bereits als „althennen“ und werden vergast.

romana
vor 12 Jahre

ein sehr guter und informativer text.
ich habe in anderen artikeln gelesen, dass die lebensspanne von legehennen nur ein jahr beträgt, weil sie nach der mauser nicht mehr rentabel sind… ist das veraltet?

silas
vor 13 Jahre

sehr informativer text, ich glaube, die wenigsten wissen, dass die hälfte aller küken vergast werden und legehennen heute nur noch eineinhalbjährig werden. ein wirklich grausames system, das hinter all dem steckt!

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