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Nutztierhaltung

Bienensterben: Streit um Insektengifte

Die Ursachen des Bienensterbens bleiben ungeklärt. Im Verdacht stehen vermehrt Insektengifte. Doch von Verboten wollen die Hersteller Syngenta und Bayer nichts wissen – und bekämpfen entsprechende Vorstösse massiv. Ein Artikel von Tobias Sennhauser.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Der Nationalrat will kein strengeres Verbot von Insektiziden. Er hat eine Motion der nationalrätlichen Wissenschaftskommission (WBK) mit 99 zu 85 Stimmen abgelehnt. Hintergrund der WBK-Motion ist der Entscheid des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW), die Zulassung für einige Insektengifte zu entziehen. Einer Minderheit von ParlamentarierInnen ging das nicht weit genug, doch mit der Niederlage ist das Geschäft nun erledigt.

Die vom BLW im April 2013 verbotenen Insektengifte gehören der Gruppe der Neonicotinoide an und werden insbesondere als Saatgutbeizmittel eingesetzt. Dadurch wirken sie von innen, oder auch: „systemisch“, und müssen nicht gespritzt werden. Via Pollen können Bienen jedoch trotzdem in Kontakt mit den gefährlichen Insektiziden kommen.

Bis zu 50 Prozent Bienenverluste

Das Bienensterben erreichte im Winter 2011/12 einen beunruhigenden Rekord: rund die Hälfte aller Bienenkolonien in der Schweiz kollabierten. Das sind schweizweit rund 100.000 Völker. Im darauffolgenden Winter starben erneut knapp 30% der Völker. Sorgen bereitet das Bienensterben insbesondere der Landwirtschaft. Sie ist auf die Bestäubungsleistung der Bienen angewiesen.

Das BLW, das für die Zulassung von Pestiziden verantwortlich ist, konnte jedoch keinen Zusammenhang feststellen zwischen dem Kollaps von Bienenvölkern und dem Einsatz synthetischer Insektengifte – weder 2012 noch 2013. Vielmehr sei die weltweit gefürchtete Varroa-Milbe dafür verantwortlich.

Der Schweizerische Bauernverband (SBV) wehrte sich gegen das Insektizidverbot des BLW: „Mit vorschnellen Verboten von Pflanzenschutzmitteln ist nichts gewonnen – im Gegenteil“. Wenn bei der Insektenbekämpfung auf andere Produkte ausgewichen werden müsse, könne das Bienensterben sogar zunehmen. Der SBV setzt sich deshalb gemeinsam mit der Forschungsanstalt des Bundes Agroscope und dem Dachverband der schweizerischen Bienenzüchtervereine apisuisse für einen nationalen Massnahmenplan ein. Damit sollen die entscheidenden Faktoren für die Bienengesundheit evaluiert werden.

Beunruhigende Forschungsresultate

Mit dem Verbot einiger Insektizide sorgte das BLW für Überraschung. Dem Entscheid ging ein politisches Seilziehen in Brüssel voraus. Grund für das richtungsweisende Verbot der EU-Kommission waren zwei neue Studien, die den Verdacht von Bienentoxizität bei einigen Neonicotinoiden erhärteten. Erschienen sind sie in der Fachzeitschrift Science.

Die erste Studie der Universität Sterling in Schottland zeigt einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Neonicotinoiden und einem massiven Rückgang von Königinnen bei Hummeln. Französische ForscherInnen haben derweil herausgefunden, dass diese Insektizide markanten Einfluss auf das Orientierungsvermögen von Bienen haben. Bereits geringe Dosen würden die Bienen nachhaltig beeinträchtigen und könnten so zum Kollaps ganzer Völker führen.

Die Daten wurden von der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) für die EU-Kommission ausgewertet. Diese bemängelte zwar einige Datenlücken, teilte jedoch die Sorgen der Studien-AutorInnen.

Bayer CropScience: „Überinterpretation des Vorsorgeprinzips“

Die in Verruf geratenen Neonicotinoide stammen von den Agrochemiekonzernen Syngenta (CH) und Bayer (D). Syngenta hält das Vorgehen der EU-Kommission für „politisch motiviert“ und vermisst die wissenschaftliche Basis der EFSA-Empfehlung. Auch Bayer CropScience – ein selbstständiger Teilkonzern – konnte gemäss hauseigener Forschung „keine inakzeptablen Risiken“ feststellen und will mit der EU-Kommission zusammenarbeiten, um pragmatische Lösungen zu entwickeln.

Bayer und Syngenta liessen kurzerhand eine Studie in Auftrag geben, welche die wirtschaftlichen Auswirkungen dokumentieren soll. Rund 50.000 gestrichene Arbeitsplätze und Ernteverluste von rund 40 Prozent müssten in Kauf genommen werden, befürchten die Agro-Multis. Weltweit beträgt Syngentas Umsatz mit dem verbotenen Insektizid mehr als eine Milliarde. Insofern dürfte der Konzern Signalwirkung für andere Kontinente befürchten.

Bienenschwarm © André Wermelinger

Diese Agrochemiekonzerne gehören längst zu den üblichen Verdächtigen, und das nicht nur wegen ihren Insektiziden. Bereits 1999 gingen in Frankreich tausende BäuerInnen auf die Strasse, um gegen den Einsatz des bienentoxischen Spritzmittel Gaucho von Bayer zu demonstrieren. In diesem Jahr starben rund 40% der französischen Bienenvölker. 2003 publizierte das India Committee of the Netherlands eine Studie, der zufolge Bayer, Syngenta und andere Multis von Kinderausbeutung in der Baumwollindustrie profitierten. Ende 2012 wurde Syngenta zu Schadensersatzforderungen von 105 Millionen Dollar verklagt, nachdem dem Konzern Wasserverunreinigung durch ein Pestizid vorgeworfen wurde. Die Liste mit ethisch-ökologischen Verfehlungen der beiden Weltkonzerne könnte beliebig weitergeführt werden.

Bedrohte Autonomie der Forschung

Der Streit um die Zulassung von Insektiziden wird im Labor entschieden: Welche Forschung- und Studiensresultate überwiegen? Syngenta wollte offenbar mitreden und spendete der ETH Zürich eine Professur für „nachhaltige Agrarökosysteme“. Kostenpunkt: CHF 10 Millionen.

Die globalisierungskritische Erklärung von Bern (EvB) betrachtet diese Zusammenarbeit mit Sorgen. Zwar sei es löblich, dass die ETH den Vertrag offenlegte, doch die Forschung dürfe nicht durch wirtschaftliche Interessen der Industrie beeinflusst werden. Da die ETH finanziell von Syngenta abhängig ist und der Agrarmulti Teil des Auswahlgremiums für die Professur ist, gehe diese Einflussnahme zu weit, hält die EvB in einer Stellungnahme fest.

Hartnäckiges Schweigen prägt dagegen die Kooperation zwischen der Universität Köln und Bayer, die seit 2008 besteht. Bekannt ist, dass der Pharmakonzern die Krebsforschung jährlich mit einem sechsstelligen Betrag sponsort. Der Verein Coordination gegen Bayer-Gefahren befürchtet, dass der Weltkonzern sich die Rechte an Patenten sichert und zudem über die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen bestimmt. Um Details über die Zusammenarbeit zu erzwingen, hat der Verein Klage eingereicht. Sie wurde abgewiesen.

Brüssel – die Lobby-Hauptstadt

Um den Konzernen zu den gewünschten EU-Gesetzen zu verhelfen, nehmen zahlreiche Industrielobbies Einfluss auf das Stimmverhalten der ParlamentarierInnen. Auch Bayer und Syngenta habe ihre Kontakte.

Der Verband der Europäischen chemischen Industrie (CEFIC) ist ein Wirtschaftsverband, der sich u.a. gegen gesetzliche Massnahmen gegen gefährliche Chemikalien einsetzt. Der Runde Tisch der Industriellen (ERT) gilt als die mächtigste Industrielobby in der EU. Sie besteht aus den 45 ChefInnen europäischer Grosskonzerne und setzt sich für eine Liberalisierung des Handels und für Privatisierungen ein. EuropaBio vertritt die Interessen der Biotechnologie und setzt sich für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel ein.

Diese Industrielobbies haben ihren Sitz allesamt in Brüssel und arbeiten sowohl mit Bayer als auch mit Syngenta zusammen. Ziel des Lobbying ist die internationale Wirtschaftsliberalisierung. Das garantiert grenzenloses, dereguliertes Wirtschaftswachstum – in der Praxis oftmals auf Kosten von Arbeitskräften, sogenannten Nutztieren und der Ökologie.

Versorgungssicherheit dank Agrochemie?

Lobbyiert wurde freilich auch in Bundesbern. Zwei Tage vor der Abstimmung verschickte Syngenta an die Ratsmitglieder einen Brief mit der Empfehlung, die WBK-Motion „dringend abzulehnen“. Zudem zückte Syngenta den agrochemischen Joker: Wenn wir auf die industriellen Produkte verzichten, werden wir – leicht überspitzt formuliert – alle verhungern. Es sei unabdingbar, die Erträge zu steigern, um die wachsende Bevölkerung zu versorgen.

Das Bienensterben tangiert eine Grundsatzdebdatte: Wollen wir weiterhin eine agroindustrielle Landwirtschaft oder wagen wir den Schritt zur extensiven, womöglich biologischen Landwirtschaft? Klar ist, womit sich mehr Geld verdienen lässt. Mit Syngenta und seinen Giften muss also weiterhin gerechnet werden. Und wohl auch mit dem Bienensterben.

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