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Nutztierhaltung

Das Hacken der Hühner

Eine Recherche von TIF zeigt: Auch in Schweizer Hühnerställen gibt es Kannibalismus. So zum Beispiel in einem Optigal-Betrieb. Micrana, der Schlachtbetrieb von Migros, will davon aber nichts wissen. Von Klaus Petrus.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Kannibalismus im Hühnerstall

Wieso sie es machen, weiss niemand genau. Aber dass sie es machen schon. Der Branche passt das überhaupt nicht. Wer will schon ein Gehacke im Stall?

Die Rede ist von Hühnern, die so lange auf anderen Hühnern herumpicken bis diese sterben. Und sie dann womöglich noch aufessen. Fliesst einmal Blut, können sie offenbar nicht anders, sie müssen nachhacken. Oft genug trifft es die Schwachen. Das sei nicht unbedingt aggressives Verhalten, sagen gewisse Hühner-SpezialistInnen, wohl aber ein gestörtes. Wild lebende Hühner kennen diese Art von Kannibalismus jedenfalls nicht, genauso wenig wie Federpicken (häufig eine Vorstufe davon).

Über alles andere herrscht Unklarheit, die Fachwelt ist seit Jahrzehnten am Spekulieren: vielleicht ein Fehler in der Aufzucht, vielleicht zu wenig Eiweiss im Futter, zu viele Tiere auf einem Fleck, dreckige Ställe, schlechtes Licht, Stress, keine Beschäftigung. Der Ursachen sind viele, weshalb die Hühner aufeinander losgehen.

Auch an der Genetik kann es liegen, wie schon Studien aus den 1980ern zeigen. Einige VerhaltensforscherInnen vermuten, die einseitige Selektion von „Masthühnern“ auf raschen Fleischzuwachs oder von „Legehühnern“ auf hohe Eileistung habe negative Auswirkungen auf das Verhalten der Tiere. Und Kannibalismus gehöre eben dazu.

Fest steht: Schon Küken hacken aufeinander herum. Das zeigt ein Video, das tier-im-fokus.ch (TIF) zugespielt wurde. Es stammt aus einem Betrieb im Kanton Bern, der „Masthühner“ hält und für Optigal/Micarna (Migros) produziert:

http://player.vimeo.com/video/58729220

» Video: http://vimeo.com/58729220

Bloss schwach und „leicht verletzt“

Micarna räumt ein, solche Bilder aus eigener Erfahrung zu kennen und betont, das sei keineswegs, was man anstrebe. Der zweitgrösste Schlachtbetrieb der Schweiz bestreitet aber, dass es hier um Kannibalismus geht. Überhaupt komme es in Micarnas Mästereien nicht vor, dass Hühner einander bepicken. Das Video zeige ein Küken, das bloss „leicht verletzt“ sei und von anderen „geplagt“ werde. So etwas könne immer wieder passieren, vor allem bei Tieren, die nicht überlebensfähig seien. Üblicherweise, so Micarna in ihrer Stellungnahme, würden solche Küken beim täglichen Rundgang aus der Herde genommen – und „eliminiert“.

Es stimmt, Kannibalismus kann in unterschiedlichen Stufen und Formen vorkommen. Manchmal sind es Kopf und Rücken, die bepickt werden, manchmal die Kloake oder die Zehen. Auch hier liegen die Ursachen weitgehend im Dunkeln. Wann es sich um Kannibalismus handelt, ist für die ExpertInnen aber klar, denn dafür gibt es Definitionen: Kannibalismus sei „das Picken und Ziehen an der Haut und dem darunterliegenden Gewebe eines anderen Huhns“, schreibt der deutsche Agrarwissenschaftler Bernhard Hörning.

Kein Zweifel, so etwas ist im Video deutlich zu sehen. Die Aussage von Micarna, es handle sich hier um ein Küken, das zu schwach sei und die ersten Tage in der Mast ohnehin nicht überlebt hätte, mutet zynisch an.

Ein System mit schlimmen Folgen

So grausam Kannibalismus unter Hühnern ist, er ist doch nur Teil eines grösseren Systems, das vor allem auf Profit aus ist und Leben in Konsumgut „verwandelt“. So werden „Masthühner“ mittlerweile in nur 40 Tagen auf zwei Kilogramm hochgemästet. Dann sind sie „schlachtreif“ und werden vollmaschinell zu Poulets verarbeitet.

Dass diese Hühnervögel darauf getrimmt sind, in so kurzer Zeit so viel Fleisch anzusetzen, ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Hochleistungszucht. Den Preis zahlen die Tiere. Weil ihre Muskelmasse viel schneller wächst als das noch kindliche Skelett, können sie sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr fortbewegen. Viele von ihnen haben verdrehte Beine (Perosis), sie leiden an abnormen Knorpelwucherungen (tibiale Dyschondroplasie) oder knicken unter ihrem eigenen Gewicht ein. Scharren, Picken, Sandbaden, Aufbäumen – alles arttypisches Verhalten von gesunden Hühnern – kommt nicht mehr vor.

Als ob die Halle immer kleiner würde: derselbe Betrieb wie im Video, diesmal mit Hühnern kurz vor der „Schlachtreife“. © tier-im-fokus.ch (tif)

Was ihnen noch bleibt, ist das Fressen. Wie man herausgefunden hat, ist bei „Masthühnern“ das Sättigungszentrum im Hypothalamus zuchtbedingt gestört. Deshalb essen sie auch dann weiter, wenn sie eigentlich schon satt sind. Der Branche kann das nur recht sein: Je schneller die zulegen, desto besser. Denn so können die Masthallen von bis zu 12.000 Tieren sechs- oder siebenmal im Jahr neu belegt werden. Entsprechend hoch ist die Zahl der im Akkord geschlachteten „Masthühner“. Die Branche rechnet längst nur noch in Gewicht. Allein Micarna bringt es auf 14.352 Tonnen Poulet pro Jahr (für 2011).

Bio-Kannibalen

Was tun? Dem Federvieh die Schnäbel kürzen, wie das unter dem Euphemismus „Touchieren“ auch in der Schweiz erlaubt ist? Oder ihnen die Langeweile nehmen, sie „artgerechter“ halten?

Auch unter „Bio-Poulets“ gibt es Kannibalen. Und zwar nicht wenige, wie Christiane Keppler in ihrer Dissertation über die Ursachen des Federpickens und Kannibalismus herausgefunden hat. Anders als z.B. in Käfigen oder bei der Bodenhaltung seien kannibalistische Hennen im Freiland viel schwerer auszumachen und von der Herde zu isolieren. Auch würde sich dieses gestörte Verhalten dort durch soziales Lernen schneller verbreiten. Schliesslich sei da noch das Problem mit dem „Zuchtmaterial“, denn auch ökologische Betriebe müssten ihre Küken aus konventionellen Hochleistungszuchten beziehen. Ein grundlegender Wandel im System ist jedenfalls nicht in Sicht.

Sich nach Alternativen umsehen

Dabei gäbe es doch schon hier und jetzt Alternativen zuhauf. Man müsste einfach aufhören mit dieser Gier nach dem Tier. Gerade in einem Wohlstandsland wie der Schweiz ist der Grossteil der Menschen auf tierliche Produkte ohnehin nicht mehr angewiesen. Tiere essen, das ist hier ein Privileg, auf das man durchaus verzichten könnte.

Aber eben: Verzicht mundet nicht. Verzicht stinkt nach selbstgerechtem Gehabe und moralischer Überlegenheit. Und die ihn predigen – sind sie nicht allesamt freudlos, finster und mürrisch? – wollen den anderen doch nur vorschreiben, wie viel sie essen dürfen und vor allem wovon. Und das, so der Tenor, gehe nun wirklich nicht. Jedenfalls nicht in einer liberalen Gesellschaft wie der unsrigen, wo die Freiheit des Einzelnen doch (fast) alles sei.

Dass eben dort auch das Prinzip gilt, niemand dürfe wegen meiner Freiheiten zu schaden kommen, möchten wir am Liebsten vergessen oder ausser Kraft setzen, wenn es um Kulinarisches geht. Denn dann kommt erst das Poulet und dann erst kommt das Huhn. Wenn überhaupt das Huhn, das hierzulande doch eigentlich schon immer ein „Poulet“ ist.

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1 Kommentar

trudy stöcklin
vor 11 Jahre

liebe tifleute,
es ist furchtbar traurig. das ist einfach nur
abnormal und absurd was die mit den armen tieren anstellen.
ein furchtbares leben ohne ein bisschen freude.
das muss ein grauenhafter stress sein für die armen tiere. ich traure um die vielen getöteten tiere.ich habe hier täglich grabkerzen brennen für all die toten tiere.
diese „menschen“ die tiere versklaven sind die schlimmsten verbrecherInnen und gehören schwer bestraft. das sind massenmörderInnen und ist folter für die tiere.
gestern habe ich veganes „huhn“gegessen – es ist sogar viel besser als diese leichen.
die heutigen kinder sollten keine kranken/verseuchten leichen mehr essen müssen.
es ist ein verbrechen einem kind sowas zu essen zu geben.
ich bin ständig entsetzt ab dieser schrecklichen unethischen sklavereigesellschaft.
euch vielen dank und herzliche grüsse von trudy

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