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Nutztierhaltung

Das weltweite Geschäft mit den Schweinen

Die Nutztierhaltung ist zu einem gewaltigen, internationalen System herangewachsen. Ein zentrales Element dieser Maschinerie ist die Tierzucht, über die in der Öffentlichkeit aber nur wenig bekannt ist. Mit ihrer Hilfe sollen "Nutztiere" noch profitabler werden. Für die Tiere selbst hat das gravierende Konsequenzen. Ein Hintergrundbericht am Beispiel der Schweine von Tobias Sennhauser und Klaus Petrus.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Von der Zucht bis in die Mast

Die moderne Züchtung ist vor allem auf Effizienzsteigerung angelegt, die Tiere sollen noch leistungsfähiger und noch profitabler werden. Das gilt für nahezu alle Bereiche der Nutztierhaltung. So auch für die Züchtung und Mästung von Schweinen, die unterschiedliche Stadien durchlaufen:

In der Kernzucht werden reinerbige Rassen erzeugt und zugleich Erfahrungen gesammelt, die für neue Zuchtmethoden und Prüfprogramme eingesetzt werden. Neben dieser Zuchtarbeit werden Eber für die künstliche Besamung sowie Jungsauen für die nächste Zuchtstufe produziert.

In dieser zweiten Phase, der sogenannten Vermehrung, werden die „Zuchtsauen“ aus der Kernzucht mittels künstlicher Besamung vermehrt. Zudem sollen Daten über die Reproduktion und Marktleistung der Tiere zusammengetragen werden. In der Vermehrungsstufe wird ferner eine sog. Zuchtreserve angelegt, sollte beispielsweise eine Seuche ausbrechen.

In einer dritten Stufe, der Produktion, geht es darum, möglichst marktkonforme „Schlachtschweine“ zu erzeugen. In aller Regel erfolgt auch das mit künstlicher Besamung. Nachdem die Ferkel im Alter von 3 bis 4 Wochen von ihren Müttern getrennt werden – manche Studien empfehlen sogar, sie bereits am 18. Tag abzusetzen –, kommen sie 7 bis 9 Wochen in die Aufzuchtställe.

Schliesslich werden die Schweine im Alter von 70 bis 90 Tagen an die Mästereien abgegeben, wo sie um die 800 Gramm pro Tag zunehmen, das entspricht einem Gewichtszuwachs von rund 90 Kilogramm in 110 Tagen. Nach 180 bis maximal 220 Tagen sind die Schweine nach den Massstäben der Branche „schlachtreif“ und landen beim Metzger bzw. den Verarbeitungsbetrieben.

Abb. 1: Die Schweinepyramide; Darstellung: tier-im-fokus.ch (tif)

Sackgasse Schweinezucht

Wie in anderen Sektoren der Nutztierindustrie – der Geflügelhaltung zum Beispiel –, wird auch in der Schweinezucht eine strikte Arbeitsteilung angestrebt:

Während die Tiere aus der Mutterlinie auf Eigenschaften wie Fruchtbarkeit oder optimale Zitzenlage gezüchtet werden, besteht bei der Vaterlinie das Ziel in einer maximalen Fleischqualität (v.a. hoher Magerfleischanteil). Dabei werden diese Vater- und Mutterzuchtlinien in der Produktionsstufe (s.o.) gezielt miteinander gekreuzt, um auf diese Weise die erwünschten Hybriden zu erhalten.

Die Hybridisierung ist ein Verfahren, das im 20. Jahrhundert an Nutzpflanzen entwickelt und bereits früh in der Hühnerzucht erprobt wurde. Inzwischen ist es weit verbreitet. Das Prinzip ist simpel: Es geht darum, zwei unterschiedliche Rassen so zu kreuzen, dass sich die Produktivität der Nachkommen erhöht. Allerdings kann dieser „Hybrid-Effekt“ nicht an weitere Generationsfolgen weiter gegeben werden. So führt die Schweinezucht in eine Sackgasse: Verwertbar sind nur die direkten Nachkommen aus der Kreuzung reinrassiger Elterntiere, weitere Nachkommen sind unerwünscht.

Das hat weit reichende Folgen: Die Zuchtfirma bleibt auf diese Weise Eigentümerin des Erbgutes. Um markttaugliche Schlachtschweine zu erhalten, müssen die Mästereien folglich immer wieder neues „Material“ bei den Vermehrungsbetrieben einkaufen. Diese Abhängigkeit führt zu einer wirtschaftlichen Machtkonzentration, die durch exklusive Kaufverträge zwischen Mast- und Zuchtbetrieben gefestigt wird. Bisweilen geht die Verfügungsmacht gar so weit, dass unabhängige Veterinäre durch firmeneigene Tierärzte ersetzt werden.

Globale Monopolisierung

Tatsächlich ist die Tierzucht kein regionales Unterfangen mehr, sondern untersteht infolge internationaler Freihandelsabkommen den Gesetzmässigkeiten des globalen Marktes. Und den diktieren inzwischen nur noch einige wenige Grosskonzerne. Dabei beschränken sich diese Unternehmen längst nicht mehr auf nur eine Tierart. Auch möchten sie nicht bloss ein Segment der Tierzucht kontrollieren, sondern vorzugsweise die gesamte Produktionskette.

Ein Beispiel dafür ist die niederländische Firma Hypor. Bis vor wenigen Jahren gehörte das Unternehmen mit hohen Marktanteilen in Europa, Japan und Mexiko dem weitweit grössten Tierfutterproduzenten Nutreco, der auch die Zuchtfirma Euribrid in seinem Besitz hatte. Inzwischen wurde Euribrid von Hendrix Genetics übernommen, dem Marktleader in Sachen Genetik für braune Legehennen und weltgrösstem Putenzüchter. Zudem besitzt Hendrix seit 2005 auch PIGS-Online, die erste funktionstüchtige Datenbank für Schweinegene.

Ähnliche Verhältnisse herrschen bei der Pig Improvement Company (PIC), dem weltweit grössten Schweinezüchter mit Marktanteilen in den USA von bis zu 40 Prozent. Der Konzern gehörte zu Sygen und wurde 2005 von der britischen Firma Genus plc übernommen. Sie ist inzwischen die grösste Aktiengesellschaft in der Tierzüchtung: Neben PIC gehört Genus plc auch noch der weltgrösste Rinderzüchter ABS. 2010 hat das Unternehmen fast eine halbe Milliarde US-Dollar Umsatz erwirtschaftet.

Schliesslich mischt auch der Saatgut-Multi Monsanto seit geraumer Zeit in der Schweinezucht mit. So kaufte der Konzern bereits 1998 das Unternehmen DeKalb und dessen Schweinezucht auf. 2001 folgte der kanadische Züchter Unipork und drei Jahre später sicherte sich Monsanto den Zugriff auf eine Schweinegenom-Datenbank der Genforschungsfirma MetaMorphix. Im Jahre 2005 liess Monsanto prompt ein Schweinegenom patentieren, das in sämtlichen europäischen Schweinerassen vorhanden ist und die Mästereien entsprechend zwingt, exklusive Produktionsrechte zu erwerben. Inzwischen ist das Patent im Besitz von Newsham Choise Genetics, einem US-Konzern für Schweinegenetik.

Abb. 2: Globale Macht über die Schweine; Darstellung: tier-im-fokus.ch (tif), basierend auf „Tierzucht-Monoploy“ (2007) von Susanne Gura

Schweinezucht in der Schweiz

In der schweizerischen Schweinezucht gibt SUISAG den Ton an. Das Dienstleistungszentrum für Schweineproduktion mit Sitz im luzernischen Sempach kontrolliert 80 Prozent des einheimischen Marktes.

Eine zentrale Aufgabe besteht im Führen des Herdenbuches, für das SUISAG von staatlicher Seite subventioniert wird. Es geht dabei um die Erfassung, Aufarbeitung, Sortierung, Auswertung und Weitergabe der für die Schweinezucht erforderlichen Daten, kurz: um die Basis profitabler Zuchtprogramme.

Ein solches Zuchtprogramm hat SUISAG bereits vor vielen Jahren lanciert, und zwar mit dem Ziel, die Rassen „Schweizer Edelschwein“ (ES) und „Schweizer Landrasse“ (SL) weiterzuentwickeln und zu optimieren. Sie bilden inzwischen die Grundlage der beiden SUISAG-Markenprodukte „Premo®“ und „Primera®“, die das Unternehmen beim Institut für Geistiges Eigentum patentieren liess und an der Ausstellung „Suisse Tier 2009“ der Öffentlichkeit präsentierte.

Premo®-Eber sind Schweine aus der Schweizer-Edelschwein-Vaterlinie (ESV), die seit 2002 getrennt von den Schweizer-Edelschwein-Mutterlinien gezüchtet werden. Nach Angaben von SUISAG zeichnen sie sich durch hohe Tageszunahmen der Nachkommen, homogene Schlachtkörper und einen optimalen Fleischanteil aus.

Auch die Primera®-Muttersauen sollen über beste Qualitäten verfügen: Hervorragende Zitzenlage, gutes Aufzuchtvermögen, robuste Fundamente und exzellente Muttereigenschaften sind offenbar ein Garant dafür, dass diese Schweine „pro Jahr ein halbes Ferkel mehr absetzen als reinrassige Edelschweinsauen“, wie Henning Luther, Zuchtleiter bei SUISAG, sagt.

Premo®-Eber © SUISAG

Die höchste Rentabilität aber erzielen die Schweineproduzenten, wenn sie die beiden Markenprodukte kombinieren, sprich: alle Primera®-Sauen mit Premo®-Ebern paaren. In den meisten Fällen geschieht das über künstliche Besamung, SUISAG spricht von mittlerweile 70 Prozent. Aus den Paarungen werden ausschliesslich Mastferkel geboren, eine weitere Selektion gibt es auf dieser Stufe nicht; bei Bedarf werden Primera®-Jungsauen hinzugekauft.

Das Zuchtprogramm scheint bisher ein Erfolg und das Copyright auf Premo- und Primera-Schweinen ein guter Markenschutz zu sein, wie Ruedi Mani, Geschäftsführer von SUISAG, sagt: „Für die Züchter garantieren die Labels Qualitätsmerkmale.“ Den Rest regeln exklusive Markenverträge. Sie betreffen nicht allein den Gebrauch etwa von Premo®-Ebern, sondern schliessen deren Sperma gleich mit ein. Inzwischen hat SUISAG seine Marken noch in fünf anderen Ländern schützen lassen.

Die Kehrseite der Medaille

Dass es mit der Gesundheit von Tieren in der Landwirtschaft nicht gut bestellt ist, ist ein offenes Geheimnis. Die Ursachen sind komplex, doch ist erwiesen, dass viele der Erkrankungen zuchtbedingt sind.

So werden Mastschweine typischerweise auf schnelles Wachstum und einen hohen Magerfleischanteil gezüchtet. Inzwischen müssen sie in weniger als einem halben Jahr ein Gewicht von über 100 Kilogramm erreichen. Unter diesem rasanten Fleischzuwachs leidet vor allem das Skelett, das bei Hausschweinen normalerweise erst mit vier oder fünf Jahren voll ausgebildet ist. Die Folgen sind Gelenkschäden sowie Lahmheit (leg weakness), eine der häufigsten „Berufskrankheiten“ von Mastschweinen (B. Hörning, Auswirkungen der Zucht auf das Verhalten von Nutztieren, 2008).

Zudem kommt es vor, dass die Muskeln der Schweine degenerieren oder sogar partiell absterben. Auch diese „Schäden“ sind weitgehend zuchtbedingt. Die Herzkapazität von Mastschweinen ist durch Selektion nämlich so verringert worden, dass sie es nicht mehr schafft, die Muskulatur ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Herzversagen gehört denn auch zu einer verbreiteten Todesursache bei Mastschweinen.

In der Branche ebenfalls bekannt und gefürchtet ist das Maligne-Hyperthermie-Syndrom (MHS). Dieser genetisch bedingte Defekt führt zu einer erhöhten Stressanfälligkeit, die ihrerseits aus der raschen Gewichtszunahme resultiert und Formen des Kannibalismus (Schwanz- und Ohrenbeissen) zur Folge haben kann – so vor allem, wenn die Tiere unter reiz- und bewegungsarmen Bedingungen gehalten werden, wie das bei Schweinen beinah die Regel ist.

Das Beste optimieren, das Schlimmste korrigieren

Trotz negativer Auswirkungen für die Tiere sowie der Kritik, die bisweilen an der Tierzucht geübt wird („Qualzuchten“), setzt man alles daran, das System weiter zu entwickeln und zu optimieren.

So wird dem sogenannten „Sperma-Sexing“ hohes Potenzial zugesprochen, denn genauso wie in anderen Nutztierbereichen, sind auch in der Schweinezucht weibliche Tiere gefragter als ihre Brüder. Auch die In-vitro-Fertilisation, die künstliche Befruchtung der Eizelle ausserhalb des weiblichen Körpers, ist Gegenstand intensiver Forschung. Besonders bei Rindern ist diese Methode bereits regelmässig in Anwendung. Allerdings ist sie mit Komplikationen verbunden. Dazu gehören „Schwergeburten“ (Large Offspring Syndrome, LOS), die eine hohe Sterblichkeitsrate innerhalb der ersten Lebenswoche zur Folge haben oder gar zu Totgeburten führen.

In manchen Fällen wird versucht, unliebsame Folgen der Hochleistungszucht selbst wiederum per Züchtung zu beheben oder wenigstens zu „korrigieren“. So ist ein hoher Fleischzuwachs und geringer Fettanteil bei Sauen negativ mit ihrer Fruchtbarkeit korreliert. Der Grund besteht darin, dass Fett notwendig ist für den Eisprung, die Empfängnis, das erfolgreiche Einnisten des Eis sowie für das Säugen grösserer Würfe. Um Fruchtbarkeitsproblemen entgegenzuwirken, werden daher gezielt „fleischreiche“ Vaterlinien mit „fetteren“ Mutterrassen gekreuzt. Oder man versucht, die durch die hohe Gewichtszunahme mitverursachten Herzprobleme der Mastschweine zu mindern, indem man sie auf Stressresistenz selektioniert.

Nicht immer lassen sich aber negative Auswirkungen der Züchtung selbst wiederum züchterisch beheben. Dann bleibt offenbar nichts anderes übrig, als die Schweine mit handfesten Eingriffen den ökonomischen Rahmenbedingungen anzupassen: Um Verhaltensstörungen wie Schwanz- oder Ohrenbeissen zu verhindern (s.o.), werden den Tieren die Zähne abgeschliffen oder die Schwänze kupiert – Massnahmen, die in einigen Ländern (wie der Schweiz) inzwischen verboten sind oder nur unter bestimmten Auflagen durchgeführt werden dürfen.

Mehr Produktivität, weniger Kosten

Nicht nur in Anbetracht solcher Auswüchse drängt sich die grundlegende Frage auf, wieso den Tieren per Züchtung immer höhere Leistungen abverlangt werden muss. Für Ruedi Mani, Geschäftsleiter von SUISAG, liegt die Antwort auf der Hand: „Aufgrund des allgemeinen Kostendrucks und der zunehmenden internationalen Konkurrenz, ist es entscheidend, dass die Produktivität weiter gesteigert und damit die Produktionskosten gesenkt werden.“

Für die Tiere, so viel dürfte feststehen, verheisst das nichts Gutes.

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