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Reflexion

Lust auf Heinz? Zu einer Werbekampagne der Frifag

Voll im Trend: Die Fleischindustrie will in ihrer Werbung die Brücke schlagen zwischen den Produkten und den Lebewesen, die dafür sterben müssen. Und gibt den Tieren Namen, behandelt sie nicht weiter als anonyme Masse, sondern als Individuen. So auch der Geflügelfleischproduzent Frifag. Bei ihm heissen die Poulets Heinz und Erwin. Dazu einige Gedanken von Angela Martin.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Zuerst hatte ich an einen verspäteten Aprilscherz gedacht. Oder an einen genialen subversiven medialen Schachzug der Tierrechtsbewegung gegen die Fleischindustrie. Doch dann musste ich irritiert feststellen, dass das Ganze ernst gemeint ist.

Die Rede ist von drei Werbespots des Schweizerischen Geflügelfleischproduzenten Frifag Märwil AG. Das Ziel scheint klar vorgegeben zu sein. Vertrauen soll im Verbraucher geweckt und der Konsum angeregt werden. Gelockt wird mit der Produktion von Schweizerischem Poulet im familiären Rahmen. Keine Massenhaltung, selbstverständlich. Tierfreundliche Aufzucht, kombiniert mit bewusstem und gesundem Konsum: „Die Natur liegt uns am Herzen, eine artgerechte Haltung ist Ausdruck unserer Philosophie“, verkündet das Unternehmen auf seiner Website.

Doch die Umsetzung scheitert kläglich: In diesen kurzen Werbesequenzen, die im Grunde den Pouletfleischproduzenten von seiner besten, also verführerischsten Seite zeigen sollten, mag die Perversion der Tierausbeutungsindustrie nicht verborgen bleiben. Der Zuschauer bleibt verunsichert vor dem Fernsehbildschirm zurück und beginnt, sich Fragen zu stellen, die er sich gemäss der Frifag wohl niemals hätte stellen dürfen.

Der Heinz im Supermarkt

=> Video leider nicht mehr vefügbar!

Denn Befremden beschleicht einen beim Betrachten der Werbespots. So ruft ein Junge angesichts einer Reihe hygienisch verpackter, nackter, gerupfter, uniform aussehender Poulets im Supermarkt aus: „Hee, Papi, lueg, de Heinz!“ Und sein Vater nickt bestätigend: „Ah jo, de Heinz!“ Das persönliche Verhältnis zwischen Produzent und Tier soll betont werden: Fürsorglich kümmern sich die Bauern um ihre Hühner, ja, kennen sie gar mit Namen. Dies wird durch den eingeblendeten Slogan „Die Bauern von Frifag kennen ihre Poulets von klein auf“ am Ende des Werbefilmes nochmals unterstrichen.

Doch beruhigt dies wirklich mein Gewissen als Konsumentin? Kann ich nun vor mir den Genuss von Hühnerfleisch rechtfertigen? Und ist dies wirklich das, was ich als aufgeklärte Verbraucherin will? Dass das gerupfte Huhn im Supermarkt einen Eigennamen hatte? Dass es also eine Identität hatte, ein Individuum war, bevor es im Strombad betäubt, dann geköpft, ausgeblutet und gerupft wurde?

Mir wird langsam klar, dass das Produkt, das ich zuhause in der Küche verarbeite, neben Bratkartoffeln, geschälten Karotten, Knoblauch, Zwiebeln und Rosmarin in den Bräter lege, nicht mehr ein anonymes Wesen ist, dem ich als tierliebende Konsumentin noch versucht war, Ding-Status zuzuschreiben. Nein, nun weiss ich: Das Poulet hatte einen Namen. Es hatte eine Identität. Es war Heinz. Und Heinz hatte einst ein Leben. Dieses habe ihm genommen, weil ich gerne diesen Mittwoch ein Hähnchen zu Mittag essen wollte. Ein Leben für eine Mahlzeit. Eine Identität ausgelöscht für eine kurze Zeitspanne Genuss. Ist es das, was ich als Konsumentin wirklich wollte?

Verwundert ist man ausserdem ab der Nonchalance, die sich im Umgang des Jungen mit dem toten Tier, zu dem er ja scheinbar eine enge Beziehung hatte, zeigt. Es öffnet sich an dieser Stelle eine Asymmetrie zwischen „Nutztieren“ und „Haustieren“.

Wir pflegen und hegen unsere Haustiere, geben ihnen Namen, glauben an ihre individuellen Charaktereigenschaften und wollen nur das Beste für sie. An biologischem Tierfutter, Tierarztkosten und nutzlosen Gadgets für Fifi, Bello und Konsorte wird nicht gespart. Wir sind überzeugt, dass wir das Leben unseres Haustieres schützen sollten um seiner selbst willen, und dass wir ihm allen unnötigen Schmerz ersparen müssen.

Anders verhält es sich bei Nutztieren. Sie haben normalerweise keine Namen. Sie sind bestenfalls Nummern, ersetzbare Körper, die nicht um ihrer selbst willen, sondern lediglich für unsere Geschmacksknospen leben.

Mit dieser Vorstellung scheint die Frifag zu brechen. Doch dass ein Tier mit Hingabe, viel Liebe, Sorgfalt und Begeisterung grossgezogen wird, um ihm dann den Garaus zu machen, damit es in meinem Kochtopf landen kann, scheint mir irgendwie eine abstruse, gar perverse Vorstellung zu sein. Und so bleibt ein schales Gefühl in mir zurück. Die unangenehme Frage drängt sich auf: War es richtig, dass ich Heinz getötet habe, um ihn zu verspeisen?

„Jöö, so härzig!“

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Der zweite Werbespot führt uns in den Stall eines Hühnerproduzenten: „Jöö, so härzig. Die Flögeli!“, ruft eine Frau ganz entzückt aus angesichts eines Küken. Ihr Partner schiesst begeistert Fotos und seelig betrachten die Beiden das Jungtier. Und wieder werden wir belehrt: „Die Bauern von Frifag kennen ihre Poulets von klein auf.“

Betrachtet man die Szene genauer, so stellt man fest, dass nur ein – nervös zitterndes – Küken im Bild ist. Wo sind Mama Huhn sowie allfällige Geschwister? Sind sie während des Drehs per Zufall aus dem Bild geflogen? Nein. Mama ist nicht da. Mama ist nie da in der Industrie der Hühnerfleisch- und Eierproduktion. Weder bei Frifag noch sonst wo.

Das Sprichwort von der liebevollen Glucke ist hinfällig geworden. Die Mastküken schlüpfen in Brütereien und werden – wider ihre Natur – in Gruppenverbänden von gleichaltrigen Tieren gehalten. Die Mutter bekommen die Junghühner nie zu Gesicht. Dabei hätten Hühner einen sehr engen Bezug zu ihrem Nachwuchs. Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie nachwies, kann man erwachsenen weiblichen Hühnern gar empathisches Verhalten zuschreiben. Die Chance, dieses an ihrem Nachwuchs auszuleben, bekommen die Hühner jedoch in der heutigen Geflügel- und Eierindustrie nicht. Diese traurige Realität zeigt uns die Werbung nicht. Und so sind wir immer wieder versucht, im Supermarkt das Poulet in den Einkaufskorb zu legen.

Ein zweiter nennenswerter Punkt betrifft die Umgebung des fiependen Kükens im Hühnerstall. Es ist nur ein Küken im Bild, was darüber hinwegtäuscht, dass auch bei Bodenhaltungs- und Freilandhühnern die Tiere oft sehr gedrängt aufeinander leben. Aggressionen, Federpicken und gar Kannibalismus sind damit insbesondere bei Legehennen, aber auch bei Zuchtpoularden, keine Seltenheit.

Dem wird oftmals Einhalt geboten durch das Kürzen der hochsensiblen Kükenschnäbel. Diese Praxis, Touchieren genannt, darf in der Schweiz von fachkundigen Personen ohne Schmerzausschaltung (wie beispielsweise lokale Betäubung) durchgeführt werden – so steht es in der Tierschutzverordnung, Art. 15c. Dabei wird der Haken am Oberschnabel der Tiere mithilfe einer heissen Platte oder eines Lichtbogens zwischen zwei Elektroden entfernt. Die Tiere sollten nach dem Eingriff noch fähig sein, den Schnabel zu schliessen. Nicht erlaubt ist hingegen das Coupieren (TSchV, Art 20a), bei welchem der Schnabel oftmals bis auf wenige Millimeter weggeschnitten wird. Die Praxis des Touchierens stellt jedoch keineswegs Ursachen-, sondern lediglich Symptombekämpfung dar und bedeutet Schmerzen und Stress für die Küken.

Erwin in love

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Der dritte Werbespot dringt ins Liebesleben der Hühner vor. Besorgt fragt ein Bauer seinen Sohn über ein bedrückt scheinendes Huhn im Stall: „Was esch denn metem Erwin los? De hed meini ned so en guete Tag?!“ Um dann die Antwort zu erhalten: „Jo weisch, em Erwin sini Berta god etz äbe metem Freddy. Aber das chond scho weder.“

Doch nein, es wird mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht wieder alles gut werden. Denn viel Zeit hat Erwin in seinem Leben als Hahn nicht, um die geliebte Berta zurück zu gewinnen: Im Alter von ca. 2 bis 3 Monaten, welche im krassen Gegensatz zu seiner Lebenserwartung von 12 Jahren stehen, wird er nämlich geschlachtet werden. Da zählt jeder Tag.

Doch wahrscheinlicher ist es, dass sich Erwin gar nie wirklich für Berta interessiert hat. Denn Hühner werden erst etwa im Alter von 5 bis 7 Monaten geschlechtsreif. Und wenn Erwin dann endlich im Alter wäre, um amouröse Gefühle für seine Berta zu entwickeln, ist er leider schon längst tot. Zwar die geliebte Berta und sein Widersacher Freddy auch. Doch das nützt dem armen Erwin dann auch nichts mehr.

Doch auch wenn wir Erwin ein langes Leben wünschen würden, so wäre dies nicht möglich. Erwin ist zu einem frühzeitigen Tod verdammt. Er ist so hochgezüchtet, dass er sehr schnell Gewicht – Fleisch – ansetzt. Dies wirkt sich negativ auf seine Gesundheit aus. Je älter Erwin wird, desto mehr Atembeschwerden und Kreislaufprobleme entwickelt er. Zudem wird er je älter desto unbeweglicher. Dies liegt daran, dass er so gezüchtet ist, dass er vor allem in der Brustregion viel Fleisch ansetzt – würde er sich auf die Sitzstangen im Stall setzen, liefe er in Gefahr, vorüber zu kippen. Lang kann Erwin sich also so oder so nicht bester Gesundheit erfreuen.

Nachdenken statt gedankenlos Konsumieren

Was bezweckt die Frifag mit diesen Werbespots? Ansonsten verhält es sich doch eher so, dass der Konsument tunlichst zu verdrängen sucht, dass hinter tierlichen Nahrungsmitteln einst ein lebendiges, fühlendes, ja gar niedliches Lebewesen stand. Wir versuchen auszublenden, dass das Huhn einst Subjekt eines Lebens war, soziale Kontakte zu anderen Hühnern hatte und Freude, Stress sowie Schmerzen empfinden konnte. Denn ja, was die KonsumentInnen vornehmlich wollen, ist anonymes, hygienisch verpacktes Fleisch, dem man nichts mehr von dem Tier ansieht, das es einst war. Zerlegt, entblutet, gesäubert, frisch, gar unkenntlich, das muss es sein. Nichts soll an das Leben erinnern, das dem Huhn einst innewohnte.

Die Frifag scheint in ihrer Werbung mit dieser Vorstellung zu brechen, wenn sie das Huhn als liebenswertes Individuum mit Eigennamen und Gefühlen darstellt. Aber ob es zu ihrem Vorteil gereicht? Ratlos bleibt der Zuschauer vor dem Fernsehbildschirm zurück.

Es scheint, dass die Frifag ihr Ziel verfehlt hat. Statt zum gedankenlosen Konsum hat sie zum Nachdenken angeregt. Und das ist gut so.

© 2011 Angela Martin

Angela Martin hat Philosophie studiert, betreibt Bunburying zwischen Genf und Luzern und schreibt zurzeit an einer Dissertation in Biomedizinischer Ethik.

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4 Kommentare

Lukha
vor 12 Jahre
Johanna M.
vor 12 Jahre

Liebe(r) ‚Achso‘! Danke für den Gedankenanstoss mit den fünf Konsumentenkategorien. Besonders gut gefallen mir die „nachdenklichen“ Fleischkonsumenten und Vegetarier. Nur glaube ich, dass hauptsächlich Werbestrategen sich solche Kategorien zurechtlegen. Aufklärungsarbeit und Diskussionen funktionieren in der Regel anders: durch mitgeteilte Beobachtungen, Wertungen, Vergleiche, Argumente, Rückgriff auf Common Sense. Gemeint sind alle, die der menschlichen Sprache mächtig sind; Vegetarier hin, Fleischesser her. Der Beitrag von Angela Martin ist im besten Sinne ein aufklärerischer Diskussionsbeitrag. Besten Dank für die präzisen Beobachtungen und Beschreibungen!
Ich glaube wie Angela Marti auch, dass die Frifag-Werbung ein Problem hat:
In der Regel sind wir ruhig bei folgenden Wirklichkeitsaussagen:
„Kevin steht vor dem Kühlregal.“
„Heinz kauft eine Wurst.“
„Achso schöpft aus dem Suppentopf“.

Wenn es nun aber heisst:
„Kevin liegt im Kühlregal.“
„Heinz ist in der Wurst.“
„Achso dampft im Suppentopf.“,
könnte da nicht auch der Fleischesser unangenehm berührt sein?!, ganz einfach, weil auch er glaubt, dass man seine Bekannten und Freunde, und die Freundinnen anderer Leute nicht ins Kühlregal legt oder in der Suppe wiederfinden sollte? Das macht die Personifizierung von Lebewesen aus; wir sind anders, aber gleichwertig.

Der Erwin, der im Kühlregal liegt, gehört ins augenzwinkernde Cabaret, ist Ergebnis von Gewalt, Teil eines makaberen Krimis oder Horrorfilms.
Sehr wahrscheinlich meint die Frifag ihre Werbung auch ein bisschen augenzwinkernd (wobei sie nicht den Horror beabsichtigt, den sie mit der Werbung laut Angela Martin erzeugt).
Die Frifag-Werbung versucht vielmehr ein Lächeln beim Konsumenten zu erzeugen, indem sie ein Bild vom Schweizer Landwirt abruft und zitiert: Der ist ein bisschen doof und ungeschickt (wie alle SchweizerInnen), hat aber ein ausgesprochen gutes Herz für Tiere. Ein bisschen übertrieben eben, wie wir hier in der Schweiz mit den Tieren umgehen, aber lieber übertrieben gütig und leicht naiv, als rationell und lieblos, wie das Ausland.
Dass die Schweiz mehr als 5 000 000 Mastküken produziert – Tendenz steigend – wird nicht gesagt. Und all das auch nicht, was Angela Martin hervorhebt. Werbung eben für ein Publikum, das man im Grunde für ein bisschen blöd hält und will, dass es so bleibt: Schweizer Pouletkonsumenten, die sich auf der sicheren Seite wissen (Kategorie 2!).
Aufklärungsarbeit hält KonsumentenInnen eben gerade nicht für blöd, auch den Fleischesser nicht.

achso
vor 12 Jahre

aus der Sicht eines Veganers ist der Artikel schon verständlich. Leider entsprechen aber alle gezogenen Schlussfolgerungen überhaupt nicht der Realität. Ganz grob:
1. Fleischesser : alles egal, hauptsache Fleisch
2. nachdenklicher Fleischesser, wird jeden Strohhalm nehmen um, wenn vielleicht auch weniger, noch Fleisch essen „zu dürfen“
3. Vegetarier : alles egal, Fleisch isst er aber nicht mehr.
4. nachdenklicher Vegetarier : wird jeden Strohhalm nehmen um, wenn vielleicht auch weniger, noch Milchprodukte etc, essen „zu dürfen“
5. Veganer …

Für wen ist jetzt diese Werbung? Klar Kategorie 2 und wie unter 2 nachzulesen, wird diese Kategorie alles „nehmen“ was sich „gut“ anfühlt. Es fühlt sich gut an etwas richtiges zu tun. Es ist zwar falsch ein Tier zu töten, aber es richtig es gut zu behandeln und zu „kennen“.

Kategorie 1 ist nicht bereit für einen „namen“ mehr zu zahlen.
Kategorie 2 freut sich über den Strohhalm und zahlt auch gern dafür.
Kateogire 3 denkt vielleicht sogar : naja dann kann ich ja wieder Fleisch essen
Kategorie 4 und 5 regen sich drüber auf?!…

So einfach ist die Welt.

Maya Conoci
vor 12 Jahre

guten Tag!
vielen herzlichen Dank für diesen tollen Text – er trifft den Nagel auf den Kopf! Ich werde ihn liebend gern weiter verbreiten 🙂
Freundliche Grüsse Maya Conoci, Tierethiklehrerin der Stiftung DAS TIER + WIR

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