Lausige Produkte
Was haben Uhren, Schallplatten, Haarsprays und Granny Smiths gemeinsam? tif-Mitglied Florian Wüstholz hat sich darüber Gedanken gemacht.
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Ein unauffälliges Produkt mit einem noch unauffälligeren Namen: E 904.
Was sich harmlos anhört, ist das Resultat der Kultivierung und anschliessenden Vernichtung von hunderttausenden von Lackschildläusen (Kerria lacca). Denn diese Tiere aus der Familie der Pflanzenläuse scheiden die Vorform des begehrten Schellacks aus und werden bei der „Ernte“ fast komplett ausgelöscht.
Für jedes Kilogramm Schellack werden in den Wäldern Südostasiens 300.000 Läuse von Bäumen abgeschabt, zerhackt und später wieder herausgefiltert. Nur wenige dürfen überleben, damit auch weiterhin Nachschub garantiert ist.
Von Läusen und Uhren
Fast niemand weiss, wie E 904 zustande kommt, und wohl die wenigsten möchten es auch genau wissen. Denn E 904 ist in einer ganzen Bandbreite von Produkten enthalten: als Überzugsmittel in Konditoreiwaren oder Medikamenten, in der Lackherstellung für den Instrumentenbau, als Trennmittel, im Haarspray, in Zigaretten, in Uhren oder als Isolatorlack in elektrischen Geräten.
Schellack ist aber nur ein beinahe unbedeutendes Beispiel für die tiefe Verankerung der Tiernutzung in unserer Gesellschaft. So ist die Verwendung von tierischen Produkten auch in der Herstellung von Kristallzucker oder Wein weit verbreitet. Die Gründe dafür sind letztlich banal. Es ist einfach, es ist billig und es wird seit Jahrzehnten so gemacht. Insbesondere der letzte Grund ist oft dafür verantwortlich, dass wir so wenig über die Herstellungsverfahren wissen. Je länger etwas funktioniert, desto unscheinbarer wird es und desto schwieriger ist es, die Produktion zu ändern. Selbst die Ersetzung von Überzugsmitteln ist den meisten Herstellern schlicht zu aufwändig. Denn dafür müssten neue Verfahren getestet, geprüft und zertifiziert werden. Doch warum kompliziert, wenn es auch einfach geht? Und solange sich die KonsumentInnen nicht einschalten, wird auch nichts daran geändert.
Nicht erstaunlich, aber doch erschreckend
Erstaunlich finde ich bei all dem weniger, dass es tierische Verwendungszwecke massenweise gibt. Viel eher erschreckt mich, dass ich über versteckte Tierprodukte trotzdem manchmal staunen muss. Offenbar ist die Tiernutzung so tief in uns verankert, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Stattdessen sehen wir ein Produkt, eine Nummer oder eine Bezeichnung, die uns eigentlich gar nichts sagt. Was sich zum Beispiel hinter „Glucono-Delta-Lacton“ verbirgt, ist völlig undurchsichtig.
Woher die Produkte stammen, wie und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden, vergessen wir völlig. Das gilt bei weitem nicht nur für Tierprodukte, sondern im Allgemeinen. Wichtig ist lediglich, dass die einzelnen Dinge möglichst wenig kosten, dass sie schmecken und gut aussehen.
Und so macht es eben einen grossen Unterschied, wenn uns beim Einkauf die mit Schellack verschönerten Granny Smith Äpfel freundlich ins Gesicht strahlen.
© 2010 Florian Wüstholz
Florian Wüstholz ist Aktiv-Mitglied von tier-im-fokus.ch (tif) und studiert gegenwärtig an der Uni Bern Philosophie.
7 Kommentare
Schade, dass die Diskussion hier schon zu Ende zu sein scheint. Laut Lavera kommt es zu keinem Läusetod bei der Herstellung der von Ihnen verwendenten Schellacke.
http://www.olionatura.de/_rohstoffe/index.php?id=67
schreibt dazu:Bevor der Schellack geerntet wird, werden rechtzeitig einige mit Jungläusen »bewohnte« Zweige (der »Brutlack«) abgeschnitten und auf neue Bäume gesetzt, um Nahrung für die nächste Generation zu bieten.
Zur Gewinnung des Schellacks werden die von den Jungläusen verlassenen Zweige der Wirtsbäume mit dem so genannten Stocklack abgeschnitten, der Lack abgeschlagen und, je nach Anwendungsbereich, zu unterschiedlichen Qualitäten weiterverarbeitet.
Danke Kamikatze für Deinen Beitrag und auch für Deinen Ratschlag, den ich natürlich beherzige.
Woher hast Du deine Informationen bezüglich dem tatsächlichen Vorgehen bei der Ernte von Schellack? Hast Du verlässliche Daten, welche zeigen, dass wirklich alle Tiere tot sind, bevor sie verhäckselt werden? Mich würde das alles sehr interessieren, denn ich will keine Unwahrheiten verbreiten. Nur hat meine Recherche leider diesbezüglich keine klaren Aussagen geliefert.
Aber Du hast natürlich auch recht, dass man sich nicht über Nichtigkeiten aufregen soll. Nur darum gings ja im Artikel gar nicht primär: „Woher die Produkte stammen, wie und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden, vergessen wir völlig. Das gilt bei weitem nicht nur für Tierprodukte, sondern im Allgemeinen.“ Die Sache mit E904 war sozusagen ein Paradebeispiel.
Vielleicht hatte ich Unrecht damit, dass bei der Gewinnung von einem Kilogramm Schellack 300’000 Tiere draufgehen. Vielleicht sind es nur 100’000, oder 1’000 oder 2. Wie viele dürfen es denn sein, dass wir das alles guten Gewissens rechtfertigen können?
Und hier kommt der Punkt, wie viel dürfen es sein, wenn es offensichtliche Alternativen gibt zur massenhaften Reproduktion und Nutzung dieser Tiere? Ich würde sagen, jedes zerhäckselte Tier, dessen Tod wir durch Nutzung von Alternativen verhindern können, ist eins zu viel.
Die Lackschildlaus (Kerria lacca) ernährt sich vom Saft verschiedener Bäume, den sie im Körper umwandelt zu einer klebrigen Masse, die sie dann ausscheidet. Diese Masse – der rohe Schellack – umhüllt die Insekten und schützt die Larven, die alten Tiere sterben von selbst ab. Die Larven schlüfen schließlich durch die Schellackschicht. DANACH wird der Lack geerntet.
Durch Schellack kommt also keine der ach so armen Läuse um ihr ach so wertvolles Lausleben – das hat sie nämlich schon vorher ausgehaucht.
Mein Ratschlag: Vorher informieren und dann erst empörte Artikel schreiben, in denen man sich über Nichtigkeiten echauffiert.
Danke, Beat, für deine Infos!
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