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Reflexion

„Wer Tiere isst, muss sie töten können“

Wenn man schon Tiere isst, dann sollte man das blutige Geschäft nicht an andere delegieren, sondern den Mut haben, sie eigenhändig zu töten. Wenigstens einmal im Leben. Eine Ansicht, die man häufig antrifft und die auch im Dokumentarfilm "Fleisch" vertreten wird. tif-Mitglied Tobias Sennhauser hat sich darüber Gedanken gemacht.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Kürzlich bin ich auf einen Dokumentarfilm mit dem prägnanten Titel „Fleisch“ gestossen. Er thematisiert unser Verhältnis zu Tieren und wirft eine interessante Frage auf: Muss, wer Tiere isst, diese auch töten können?

Das Töten delegieren

Die im Film befragten KonsumentInnen waren sich mehrheitlich einig: Man sollte tatsächlich in der Lage sein, ein Tier zu töten, wenn man es essen will. Einig war man sich aber auch darin, dass man das Töten lieber dem Metzger oder einer Metzgerin überlässt.

MetzgerInnen erledigen das Töten zwar ohne Murren, präsentieren sich aber in der Dokumentation erstaunlich sensibel: Mitgefühl lässt sich offenbar nicht verdrängen, so dass auch abgebrühte MetzgerInnen, gerade bei Jungtieren, mit schlechtem Gewissen zu kämpfen haben.

Besonders eindrücklich ist der eine Metzger, der es nicht übers Herz bringt, seine eigenen Kaninchen, die er natürlich alle kennt, selbst zu schlachten. Und deshalb fürs Töten seiner liebgewonnenen Tiere vorzugsweise einen Kollegen bezahlt.

Das Schlachten von Tieren scheint also auch für Profis kein Zuckerschlecken zu sein.

Erst selbst schlachten, dann geniessen

Tiere zu töten ist nichts Schönes. Gerade weil es nichts Schönes ist, sind nun viele Leute der Ansicht, dass, wer tierliche Produkte konsumiert, zumindest mal selbst Hand anlegen und einem Tier den Garaus machen sollte. Wer also genügend Mumm aufbringt, ein Tier zu töten, darf es sich mit gutem Gewissen schmecken lassen.

Mit Logik hat diese Ansicht nichts zu tun. Sicherlich gibt es Unterschiede, ob ein Tier von einem Konsumenten oder von einer Metzgerin geschlachtet wird, sie sind aber nicht moralischer Natur.

Für den Konsumenten mag es subjektiv durchaus einen Unterschied machen, ob er das Tier selbst schlachten muss oder dies von einer Metzgerin erledigen lässt. Selbst Hand anzulegen und ein Leben auszulöschen oder der Anblick des Blutes und der Eingeweide dürfte manchen die Lust auf Fleisch vergehen lassen.

Auch praktisch gesehen gibt es Unterschiede, ob ein Laie oder ein Profi das Handwerk des Tötens ausübt. Aus Sicht des Tieres dürfte der Fall klar sein: Wenn schon Todesstrafe, dann wenigstens von einem Routinier.

Am eigentlichen Problem vorbei

Die Frage, ob es subjektiv oder praktisch gesehen einen Unterschied gibt, wer nun Tiere tötet, ist jedoch müssig. Die wirklich zentrale Frage wird stillschweigend bejaht: Man darf Tiere töten!

Es gibt keinen moralischen Unterschied zwischen der Tötung eines Tieres durch eine nicht-fachkundige oder durch eine fachkundige Person. Es ist nebensächlich, wer ein Tier tötet oder wie dies geschieht. Natürlich ist es besser, wenn das Tier (sofern möglich) mit Liebe und routiniert in den Tod begleitet wird. Aber was ändert das an der Tatsache, dass es ohne sinnvollen Grund sein Leben lassen muss? Um es polemisch auszudrücken: Dem Schwein ist es Wurst, von wem es getötet wird.

Die Logik hinter der Idee, dass, wer Tiere tötet, diese auch essen darf, gerät noch weiter ins Wanken: Angenommen, eine Person meistert die Tötung eines Kalbes erfolgreich. Was heisst das nun für die anderen Tiere, die von MetzgerInnen oder Maschinen getötet und zerlegt werden? Wieso sollte diese eine Prüfung des Tötens den weiteren Konsum tierlicher Produkte legitimieren?

Moralische Schizophrenie

Die Botschaft des Filmes, wer Tiere isst, soll eines davon auch töten können, vermag nicht zu überzeugen. Trotzdem ist die Dokumentation insofern wertvoll, als sie unser Verhältnis zu Tieren aufzeigt: Menschen mögen Tiere, und eigentlich will sie niemand töten.

Diese Diskrepanz zwischen Mitgefühl und Fleischeslust wird vom amerikanischen Tierrechtler Gary Francione als „moralische Schizophrenie“ bezeichnet. Während Francione den Begriff primär auf die Doppelmoral unseres Umgangs mit Haus- und Nutztieren bezieht, macht die Dokumentation deutlich, dass Menschen auch für die sogenannten Nutztiere Mitgefühl aufbringen.

Erstaunlicherweise aber ist dies nur so lange der Fall, wie sie noch als Tiere zu erkennen sind. Zerteilt und vakuumiert hingegen beflügeln sie die Fleischeslust der KonsumentInnen – und offenbar auch den Stolz der MetzgerInnen.

Tobias Sennhauser ist aktiv-Mitglied von tier-im-fokus.ch (tif) und studiert gegenwärtig an der Uni Fribourg. Weitere Texte von ihm:

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