26
Rezension

„Der Hund und sein Philosoph“ (Martin Balluch)

Martin Balluch ist der bekannteste Tierschützer Österreichs. Inspiriert durch seinen Hund Kuksi legt er nun eine neue Tierrechtsethik vor, die im zentralen Begriff der Autonomie gipfelt. Eine Buchbesprechung von Tobias Sennhauser (TIF).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Martin Balluch, Der Hund und sein Philosoph, Promedia 2014, Taschenbuch, 192 Seiten, ca. CHF 25.– Martin Balluch prägt seit Jahrzehnten die Tierschutz-Agenda Österreichs. Der Aktivist mit dem zweifachen Doktortitel legt nun eine neue Tierrechtsethik vor, die im zentralen Begriff der Autonomie gipfelt. Seine Freundschaft zu Kuksi, seinem hündischen Lebensgefährten, inspirierte Balluch, dieses Buch zu schreiben. So begleiten Schilderungen des Zusammenlebens die LeserInnen durch die Lektüre.

Zielpublikum

Balluchs Tierrechtsethik ist grossteils auch für jene bekömmlich, die keinen Philosophie-Abschluss ihr Eigen nennen. Allerdings erfordern gerade die für seine Theorie relevanten Passagen über das Bewusstsein gesteigerte Konzentration. Ein Personen- und Sachregister erleichtern das Arbeiten mit der Lektüre.

Inhalt

Die Grundlage der Freundschaft von Balluch und Kuksi bildet die anti-autoritäre Hundeerziehung. Diese beruht auf emotionaler Kommunikation, die sich im Tonfall sowie in der Körpersprache äussert. Konditionierung oder Strafe haben dabei keinen Platz. Dafür braucht es mitunter gegenseitiges Verständnis. „Wenn ich Kuksi bitte zu kommen, wird er das auch tun, ausser, er hat wichtige andere Angelegenheiten zu erledigen“ (S. 23). Durch das Zeigen von Gefühlen würden Hunde ein Verständis für richtiges oder falsches Handeln im Sinne der Gesellschaft entwickeln. Die Regeln des Zusammenlebens erarbeiten Balluch und Kuksi übrigens gemeinsam. Eine Regel besagt etwa, dass Kuksi keine Tiere jagen soll. Eine andere verpflichtet Balluch dazu, sein Essen mit Kuksi zu teilen. Dann greift Balluch bestehende Theorien der Philosophie des Geistes auf. Damit will er zeigen, dass Kuksi über ein körperliches, ein soziales und ein erweitertes Selbstbewusstsein verfügt, aber auch über verschiedene Formen der Empathie. Selbst zu nicht-sprachlichen Gedanken sei Kuksi fähig. „An seinen längeren Nachdenkpausen ist klar abzulesen, dass Kuksi bei Schnüffelspielen ein hochkomplexes Problem durch Nachdenken löst, das auch logische Schlüsse umfasst“ (S. 59). Balluch erkennt bei Kuksi dutzende (!) verschiedene Lautäusserungen sowie Ausdrücke in der Körpersprache. Auch habe Kuksi  ein „Verständnis von Fairness“ (S. 69). Dies zeigt sich für Balluch in den gemeinsam erarbeiteten sozialen Regeln. Die beiden können „abseits der menschlichen Gesellschaft eine egalitäre Beziehung leben. Alles wird ganz anders, wenn wir unter die Menschen zurückkehren“ (S. 115). Das heutige Mensch-Tier-Verhältnis beschreibt Balluch als historisch gewachsene, sozio-philosophische Kluft zwischen Menschen und anderen Tieren. Das zeige sich auch juristisch: „Tierschutzrecht ist Kosmetik, solange Tiere weiterhin als Sachen gelten“ (S. 132). Die völlige Rechtlosigkeit liefere die Nutztiere dem Profitmaximierungsprinzip aus. In diesem Zusammenhang dokumentiert Balluch ausführlich die Haltungsbedingungen in der industriellen Tierproduktion – die Folgen des „Raubtierkapitalismus“ (S. 132). Als nächstes versucht Balluch Kant zu widerlegen, der glaubte, die Fähigkeit zu Freiheit und Autonomie würde den Menschen von anderen Tieren unterscheiden. „Tiere sind in der Lage, auf der Basis des bewussten Verstehens eines Sachverhalts eine bewusste Entscheidung zu treffen und intentional zu handeln“ (S. 148). Bewusstsein bringe deshalb Freiheit und Autonomie mit sich. Diese Eigenschaften sieht Balluch auch bei Kuksi: „Diese soziale Intelligenz emöglicht ihm sowohl ein rationales Verständnis im obigen Sinne, als auch sich an seine eigenen Regeln zu halten“ (S. 173). Darauf aufbauend formuliert Balluch einen neuen kategorischen Imperativ, dass alle Tiere mit Bewusstsein immer auch als Zwecke an sich zu betrachten sind. Das hätte fundamentale Konsequenzen: Als Zwecke könnten Tiere nicht länger Eigentum sein – und damit auch keine sogenannten Nutztiere. In Anlehnung an Zoopolis sinniert Balluch auch über eine gleichberechtigte Multi-Spezies-Gesellschaft. Für ihn zeigen Gnaden- und Lebenshöfe, dass auch mit Hühnern ein Zusammenleben möglich ist, ohne ihre Grundrechte zu verletzen – selbst wenn man ihre Eier konsumiert. Was heisst das für Kuksi? „Die Gesellschaft wurde bislang für Menschen gemacht und Hunde müssen sich einfügen, möglichst ohne zu stören“ (S. 195). Heute sei Kuksi noch ein Wesen zweiter Klasse. Künftig solle die Stadtplanung auch das Leben von Hunden berücksichtigen.

Kommentar

Ebenso interessant wie umstritten ist Balluchs anti-autoriäre Hundeerziehung, die er mit seinen bisherigen tierlichen Weggefährten erarbeitete. Bei aller Sympathie für die propagierte emotionale Kommunikation: es braucht für eine fundierte Theorie über Hundeerziehung mehr empirische Daten als etwa die pseudo-wissenschaftlich anmutende Aufzählung von Kuksis Vokabular. Angesichts der mangelhaften empirischen Grundlage bietet Balluch mit der starken Gewichtung der Hundeerziehung unnötig Angriffsfläche. Auch der Vorwurf der Vermenschlichung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Zwar gibt Balluch selbst zu bedenken, dass wir „sehr darauf achten [müssen], nicht zu viel von uns und unseren Wünschen und Ängsten in unsere Hunde hinein zu interpretieren“ (S. 44). Ein paar Seiten später will er bei Kuksi einen „Hinweis auf Selbstbewusstsein“ (S. 52) erkennen, weil dieser aus dem fahrenden Auto VelofahrerInnen anbellt. Das sei Kuksis Humor. Gleichzeitig liegt in den persönlichen Anekdoten und Gedanken über Kuksi auch die Stärke der Lektüre. Sie nehmen der Tierrechtsethik die andernorts verbreitete Trockenheit. Gekoppelt mit dem visionären letzten Kapitel ergibt sich ein anderer, erfrischender Blick auf das vorherrschende Mensch-Tier-Verhältnis.

Weitere TIF-Materialien

Starte eine Diskussion

Noch keine Kommentare

Ähnliche Beiträge

Die Zutaten einer Revolution
Weiterlesen

Die Zutaten einer Revolution

Weiterlesen
Die Ankunft der Tiere in der Welt des Geistes
Weiterlesen

Die Ankunft der Tiere in der Welt des Geistes

Weiterlesen
Kommunismus mit nichtmenschlichem Antlitz
Weiterlesen

Kommunismus mit nichtmenschlichem Antlitz

Weiterlesen
«Human-Animal Studies» (Gabriela Kompatscher, Reingard Spannring & Karin Schachinger)
Weiterlesen

«Human-Animal Studies» (Gabriela Kompatscher, Reingard Spannring & Karin Schachinger)

Weiterlesen
«Harte Kost» (Valentin Thurn & Stefan Kreutzberger)
Weiterlesen

«Harte Kost» (Valentin Thurn & Stefan Kreutzberger)

Weiterlesen
«Manifest des veganen Humanismus» (Bernhard H. F. Taureck)
Weiterlesen

«Manifest des veganen Humanismus» (Bernhard H. F. Taureck)

Weiterlesen
„Die Wegwerfkuh“ (Tanja Busse)
Weiterlesen

„Die Wegwerfkuh“ (Tanja Busse)

Weiterlesen
„Animal Suffering: Philosophy and Culture“ (Elisa Aaltola)
Weiterlesen

„Animal Suffering: Philosophy and Culture“ (Elisa Aaltola)

Weiterlesen
„Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen“ (Melanie Joy)
Weiterlesen

„Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen“ (Melanie Joy)

Weiterlesen