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Rezension

„Ethik im ausserhumanen Bereich“ (Klaus Peter Rippe)

Wer verdient unsere moralische Berücksichtigung? Sind es nur Menschen oder auch andere Tiere, vielleicht sogar Pflanzen? Und warum sollten wir gegenüber diesen Lebewesen überhaupt moralisch handeln? Der Ethiker Klaus-Peter Rippe hat sich mit diesen Fragen auseinander gesetzt und seine Antworten in dem lesenswerten Buch "Ethik im ausserhumanen Bereich" zur Diskussion gestellt. Eine Rezension von tif-Mitglied Urs Müller.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Klaus Peter Rippe,
Ethik im ausserhumanen Bereich, Paderborn 2008, ca. CHF 45.–

Wer sich mit Ethik auseinandersetzt, wird schnell merken, dass es nicht nur eine Ethik gibt, sondern eine Vielzahl von verschiedenen Ansätzen, die sich teilweise sehr voneinander unterscheiden. Dabei versuchen sie alle, Antworten auf die gleichen Fragen zu liefern: Wer verdient unsere moralische Berücksichtigung? Nur Menschen oder auch andere Tiere, vielleicht sogar Pflanzen? Und warum sollten wir überhaupt moralisch handeln? Der Ethiker Klaus-Peter Rippe hat sich genau diesen Fragen gestellt und seine Ergebnisse in dem 2008 erschienenen Buch Ethik im ausserhumanen Bereich veröffentlicht.

Die Herausforderung

Der Zweck seines Buches besteht laut Rippe in der Herausforderung zu ermitteln, welche Wesen zur moralischen Gemeinschaft gehören, d.h. welche Wesen um ihrer selbst willen moralisch berücksichtigt werden müssen, sowie herauszufinden, welche Wesen als moralisch Gleiche zu behandeln sind. Zur Erfüllung dieser Aufgabe macht sich Rippe auf die Suche nach derjenigen Moraltheorie, die sich argumentativ am besten begründen lässt. Das Kriterium, an dem sich die verschiedenen Ansätze und Theorien zu messen haben, liegt für den Autor in der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit. Das bedeutet, dass alle untersuchten Moraltheorien daran geprüft werden müssen, ob sie für alle Menschen – unabhängig von ihren kulturellen, religiösen oder weltanschaulichen Auffassungen – verständlich und damit verbindlich sind.

Für dieses Unterfangen wird der Leser auf einen Rundgang durch alle möglichen Ethikkonzeptionen mitgenommen. Dabei liefert Rippe jeweils zuerst einen guten, nicht allzu ausführlichen Überblick über die Hauptargumente der einzelnen ethischen Ansätze, um sie anschliessend der erwähnten Prüfung zu unterziehen.

Wer zählt denn nun moralisch?

Um diese Frage dreht sich die erste Hälfte des Buches. Um sie zu beantworten, nimmt Rippe unterschiedliche Standpunkte unter die Lupe. Dazu gehören Ansätze, denen zufolge jeweils alle Menschen (Anthropozentrismus), alle empfindungsfähigen Wesen (Sentientismus), alle Lebewesen (Biozentrismus) oder auch unbelebte Gegenstände (Öko- oder Physiozentrismus) um ihrer selbst willen moralisch berücksichtigt werden sollen. Diese Auffassungen werden anhand von anschaulichen Beispielen erläutert und miteinander verglichen, so zum Beispiel hinsichtlich der Artenschutz-Problematik.

Nach sorgfältiger Prüfung der Argumente pro und contra kommt Rippe zum Schluss, dass sich nur der Ansatz des Sentientismus intersubjektiv begründen lässt. Alle anderen Ansätze würden auf religiösen, metaphysischen, naturphilosophischen oder sonstigen Argumenten beruhen, die sich nicht intersubjektiv nachvollziehen lassen. Dieses Ergebnis hat für Rippe unter anderem zur Folge, dass eine moralische Sonderstellung des Menschen nicht mehr aufrecht zu erhalten ist.

Würde, Allgemeinwohl oder Vertrag?

Der zweite Teil des Buches dreht sich um die Frage, warum man überhaupt jemanden moralisch berücksichtigen sollte. Auch darauf gibt es unterschiedliche Antworten. Hierbei geht Rippe auf die klassischen Moraltheorien ein: Kantianismus, Utilitarismus und Vertragstheorie.

Kantianer sind der Meinung, dass man den Eigenwert (Würde) eines Lebewesens achten muss; Utilitaristen dagegen meinen, man müsse das Glück oder die Interessenbefriedigung aller von seinen Handlungen Betroffenen maximieren; und Vertragstheoretiker sind der Auffassung, die moralische Verpflichtung entspringe aus einem (hypothetischen) Vertrag zwischen Akteuren zum Schutz des Eigeninteresses der Vertragsschliessenden.

Diese Theorien werden nun wiederum von Rippe geprüft, wobei sich herausstellt, dass sich nur die Vertragstheorie als begründungsfähig erweist. Der Kantianismus fällt weg, weil der Eigenwert eines Wesens ohne Metaphysik und Postulaten nicht begründet werden kann, und der Utilitarismus scheitert daran, dass er ohne Begründung voraussetzt, dass man Pflichten gegen andere Wesen hat.

Auf der Grundlage dieses Ergebnisses entwirft Rippe anhand eines Gedankenexperiments eine vertragstheoretische Ethik, bei der allen empfindungsfähigen Tieren moralische Rechte zukommen. Im Rahmen dieser Position werden abschliessend noch verschiedene ethische Probleme untersucht, so etwa die Frage, wie sich ein Tötungsverbot begründen lässt, oder wann ethische Güterabwägungen zulässig sind.

Eine lohnenswerte Lektüre

Klaus Peter Rippe hat mit „Ethik im ausserhumanen Bereich“ ein ausführliches und gleichermassen einführendes Buch in die Thematik geschrieben. Dabei geht es längst nicht nur um nichtmenschliche Tiere und die übrige ausserhumane Natur, sondern grundsätzlich darum, weshalb Menschen überhaupt moralisch handeln sollen (auch im Hinblick auf andere Menschen). Interessant ist hierbei, dass Rippe nicht von vornherein eine bestimmte Ethik verteidigt, wie man das aus den meisten tierethischen Büchern kennt, sondern dass er vorbehaltlos die verschiedenen Ansätze auf ihre Begründungen prüft, und sich aufgrund der daraus folgenden Ergebnisse für die am besten gerechtfertigte Position entscheidet.

Der Schreibstil und die Sprache des Buches sind klar und verständlich, wobei Fachbegriffe in der Regel jeweils kurz erläutert werden. Aus diesem Grund ist es auch für Personen geeignet, die über keine Fachkenntnisse im Bereich Ethik verfügen. Dasselbe gilt auch für den Inhalt. Obwohl die verschiedenen Positionen oftmals etwas komplexer sind, versteht es Rippe sehr gut, die Sachverhalte in verständlichen Worten, übersichtlichen Gliederungen und anhand von zahlreichen anschaulichen Beispielen aufzuzeigen.

Auch für diejenigen Leser, die im Bereich Tierethik und Moralphilosophie schon etwas bewanderter sind, hat das Buch eine Menge zu bieten. Insbesondere Rippes sorgfältige Prüfung der ethischen Standpunkte und Moraltheorien, wie auch sein eigener vertragstheoretischer Entwurf zur Begründung von Tierrechten bieten viele neue Argumente und Denkanstösse für die eigene Perspektive.

Alles in allem ist Klaus Peter Rippes „Ethik im ausserhumanen Bereich“ ein sehr empfehlenswertes Buch für alle, die an (Tier-)Ethik interessiert sind. Als Schwachpunkt wäre höchstens anzuführen, dass der Autor etwas zu wenig auf die praktischen Konsequenzen seiner Ergebnisse eingeht. Aus diesen folgt nämlich unzweideutig, dass die menschliche Nutzung von nichtmenschlichen Tieren ethisch nicht zu rechtfertigen ist.

Klaus Peter Rippe ist Professor für Praktische Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Zudem hat er Lehraufträge an der Fachhochschule Nordwestschweiz (Wirtschaftsethik) und an der VetSuisse, den veterinärmedizinischen Fakultäten Bern und Zürich (Tierethik). Ausserdem ist er Geschäftsführer des Ethikbüros ethik im diskurs mit Sitz in Zürich. Weitere Arbeiten von Rippe (Auswahl): Tugendethik (2005), Ethik in der Wirtschaft (2010). Eine tierethische Debatte mit dem Neurowissenschaftler Wolf Singer findet sich hier.

Urs Müller ist Aktiv-Mitglied von tier-im-fokus.ch (tif) und studiert derzeit an der Uni Luzern Philosophie. Weitere Texte von ihm:

Lesen Sie zu diesem Thema auch unser Info-Dossier Mensch, Tier, Natur.

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