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Wahlen

Der Nationalrat lässt den Tier- und Artenschutz im Stich

Eine Auswertung der 16 wichtigsten Abstimmungen des Nationalrates der 50. Legislatur zeigt, dass es Anliegen im Bereich Tier- und Artenschutz schwer hatten. Die grosse Kammer lehnte die meisten Tierschutzbegehren ab oder befürwortete gar Verschlechterungen. Daraus lässt sich eine klare Wahlempfehlung ableiten.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Der Nationalrat hat sich seit der Wintersession 2015 zu 16 wichtigen Tier- und Artenschutzanliegen geäussert (siehe Übersicht in Anhang 1). Diese Abstimmungen erfolgten aufgrund von Motionen und parlamentarischer Initiativen aus dem Parlament, aufgrund kantonaler Initiativen, Gesetzesvorlagen des Bundesrates und sogar zweier Volksinitiativen. Doch trotz zahlreicher Möglichkeiten, Tier- und Artenschutzanliegen vorwärts zu bringen, lassen sich derzeit im Nationalrat kaum Mehrheiten finden.

Wenig übrig für Artenschutz

Im Bereich internationaler Artenschutz befasste sich der Nationalrat am 15. März 2016 mit der Motion Barazzone zur Verschärfung der strafrechtlichen Sanktionen wegen illegalem Handel mit bedrohten Arten (15.3958) sowie am 7. Juni 2017 mit der Motion Trede zum Importverbot von Jagdtrophäen (15.3736). Die Motion Barazzone nahm der Nationalrat auf Empfehlung des Bundesrates mit klarer Mehrheit an, die Vernehmlassung zur entsprechenden Gesetzesrevision wurde am 14. August 2019 eröffnet. Die Motion Trede hingegen wurde klar mit 118 zu 72 Stimmen abgelehnt. Die Trophäenjagd geht in vielen Ländern einher mit Landenteignungen, illegalen Abschüssen, Tierquälerei und Schmuggel. Trotzdem erklärte der Bundesrat vor der Abstimmung, dass Massnahmen im Rahmen der Artenschutzkonvention CITES ausreichend seien.

Auf nationaler Ebene sieht die Bilanz des Nationalrates punkto Artenschutz keineswegs besser aus. Geprägt wurde diese durch die anhaltende Debatte wie wir in der Schweiz mit dem Wolf umgehen wollen. Bereits die Annahme der Motion Niederberger zur Regulierung des Höckerschwans (15.3534) am 2. März 2016 gab einen bitteren Vorgeschmack. Die vom Walliser Grossen Rat eingereichte Kantonale Initiative «Wolf. Fertig lustig!» (14.320) wurde vom Nationalrat am 14. September 2016 klar angenommen. Der Ständerat stoppte die Motion zwar in der Herbstsession 2017, dies jedoch nur um das Anliegen in abgeschwächter Form wieder aufzunehmen.

Als Konsequenz daraus hat die Schweiz am 16. August 2018 bei der Berner Konvention des Europarates offiziell einen Antrag um Rückstufung des Wolfs von «streng geschützt» zu «geschützt» eingereicht. Die eigentliche Debatte zur Revision des Jagdgesetzes (17.052) mündete vorläufig in der sehr deutlichen Abstimmung im Nationalrat vom 8. Mai 2019. Mit fast einer 2/3-Mehrheit stimmte der Nationalrat für die «Regulierung» des Wolfes, aber auch anderer geschützter Tier wie der Steinböcke, der Höckerschwäne, der Biber sowie der Luchse. Verbesserungen des Jagdgesetzes durch das Verbot der Baujagd oder die statistische Erfassung von Fehlschüssen wurden abgelehnt.

Die ablehnende Haltung des Nationalrates zeigte sich schlussendlich auch in der Motion Chevalley zur Verbesserung des Herdenschutzes (16.3191) sowie in der Motion Schmidt zur Regulierung von Wolfsmischlingen in der Schweiz (15.4101).

Während die Debatte zum Jagdgesetz in der Herbstsession sowohl im National- wie auch im Ständerat weiterging, kündigten die Umweltorganisationen WWF, Pro Natura und Birdlife das Referendum an.

Nationalrat bekämpft den Tierschutz

Anliegen zur Verbesserung des Tierschutzes in der Schweiz hatten es in dieser Legislatur besonders schwer. Der Nationalrat verhinderte mit der Ablehnung der Motion Graf am 11. Dezember 2017 ein Verbot von belastenden Tierversuchen an Primaten (15.4241) und mit der Ablehnung der Motion Kälin am 5. Juni 2019 ein Verbot die Zitzen von Milchkühen an Viehschauen mit Sekundenkleber zu verschliessen (18.3990).

Mit der Ablehnung der «Hornkuh-Initiative» am 15. Juni 2018 legte er des Weiteren die Grundlage für den knappen Ausgang (54.7% Nein) am 25. November 2018 (17.024). Neben diesen Versäumnissen, den Tierschutz zu verbessern, befürwortete der Nationalrat am 12. September 2016 mit der Annahme der Motion Regazzi zur Zulassung von Widerhaken in Fliessgewässern sogar eine Verschlechterung des Tierschutzes (14.4045). Glücklicherweise stellte sich der Ständerat in der Frühjahrssession 2017 gegen diese Motion.

Kein Importverbot für Tierquälerei

Im Nationalrat hat der internationale Handel bei Tierschutzfragen an Bedeutung gewonnen. Gleich in fünf entsprechenden Sachfragen mussten die Nationalräte in dieser Legislatur Stellung nehmen. Im Zentrum dieser Debatte steht die Frage, ob die Schweiz zum Schutz der Tiere den Import von lebenden Tieren oder Fleisch stärker regulieren soll. Der Nationalrat lehnte hierzu am 27. April 2016 die parlamentarischen Initiative Rusconi zur Einführung einer Deklarationspflicht zur Haltung und Produktion von importiertem Fleisch und Fisch ab (13.449). Die parlamentarische Initiative Buttet zum Importverbot von Halalfleisch nahm der Nationalrat am 3. Mai 2017 mit sehr grosser Mehrheit an (15.499). Auch der Ständerat befürwortete diese Initiative und die zuständigen Kommissionen werden nun eine Gesetzesanpassung erarbeiten, dies obwohl viele Tierschützer im Parlament die Einseitigkeit der Initiative kritisierten.

Am 7. Juni 2017 akzeptierte der Nationalrat die Motion Aebischer zum Importverbot von tierquälerisch erzeugten Produkten (15.3832). Der Ständerat kippte die Vorlage in der Wintersession 2017 zwar wieder, aber das Anliegen ist mit der Motion Keller-Inhalder seit Dezember 2018 bereits wieder auf dem Tisch. Die Alliance Animale Suisse bereitet derweil eine Volksinitiative zur gleichen Frage vor.

In eine ähnliche Richtung zog die «Fair-Food-Initiative», welche der Nationalrat am 28. September 2017 wiederum klar ablehnte (16.073). Auch das Volk sprach sich am 23. September 2018 mit 61.3% klar gegen die Initiative aus. Bereits am 15. Juni 2017 hatte sich der Nationalrat gegen die Motion Graf zum Importverbot von lebendem Hummer ausgesprochen (15.3860). Damit duldet der Nationalrat, dass auch 2019 weit mehr als 100’000 lebende Hummer unter himmeltraurigen Umständen in die Schweiz importiert werden.

Wer unterstützt im Nationalrat den Tier- und Artenschutz?

Insgesamt hat sich der Nationalrat nur in 4 von 16 untersuchten Abstimmungen im Sinne des Tier- und Artenschutzes ausgesprochen. Im Hinblick auf die Wahlen vom 20. Oktober 2019 stellt sich daher die Frage, wer sich im Nationalrat für oder gegen den Tier- und Artenschutz einsetzt. Die statistische Auswertung dieser Abstimmung zeigt, dass nicht viel bräuchte, um im Nationalrat bessere Resultate zu erzielen. Die 200 Nationalräte und Nationalrätinnen votierten in insgesamt 16 Abstimmung nämlich zu 41.48 % zugunsten des Tier- und Artenschutzes.

In Anhang 2 sind alle 225 in der aktuellen Legislatur an Abstimmungen teilnehmenden Nationalräte und Nationalrätinnen aufgeführt. Das Resultat zeigt, in wieviel Prozent der Abstimmungen der jeweilige Nationalrat oder die jeweilige Nationalrätin sich für den Tier- und Artenschutz eingesetzt hat. Die Ergebnisse zeigen, dass viele bezüglich Tierschutzanliegen ein klares Profil haben.

43 der Nationalrät*innen stimmten in über 90% der untersuchten Abstimmungen für den Tier- und Artenschutz währenddessen 45 weitere sich in weniger als 10% der untersuchten Abstimmungen für den Tier- und Artenschutz. Fast die Hälfte der Nationalrät*innen haben daher ein klares Pro/Contra-Tierschutzprofil.

Alle Stimmen für den Tier- und Artenschutz Keine einzige Stimme für den Tier- und Artenschutz
Crottaz Brigitte, SP, VD Schläpfer Therese, SVP, ZH
Aebischer Matthias, SP, BE Haab Martin, SVP, ZH
Kälin Irène, Grüne, AG Egger Thomas, CSPO, VS
Girod Bastien, Grüne, ZH Brunner Hansjörg, FDP, TG
Allemann Evi, SP, BE Egger Mike, SVP, SG
Töngi Michael, Grüne, LU Cattaneo Rocco, FDP, TI
Frei Daniel, GLP, ZH Stahl Jürg, SVP, ZH
Wasserfallen Flavia, SP, BE Gutjahr Diana, SVP, TG
Marti Min Li, SP, ZH Bregy Philipp Matthias, CVP, VS
Fehlmann Rielle Laurence, SP, GE Roduit Benjamin, CVP, VS
Rochat Fernandez Nicolas, SP, VD Wobmann Walter, SVP, SO
Carobbio Guscetti Marina, SP, TI Kutter Philipp, CVP, ZH
Steiert Jean-François, SP, FR Rime Jean-François, SVP, FR
Trede Aline, Grüne, BE Paganini Nicolo, CVP, SG
Jans Beat, SP, BS  

Diese Nationalrät*innen haben sich in der aktuellen Legislatur immer beziehungsweise gar nie für den Tier- und Artenschutz ausgesprochen.

Ein wichtiger Hinweis, wer im Nationalrat für den Tier- und Artenschutz stimmt, liefert die Aufschlüsselung der Resultate nach Parlamentsfraktion. Parlamentarier*innen der grünen Fraktion und der sozialdemokratischen stimmten sehr deutlich für den Tier- und Artenschutz. Auch die grünliberale Fraktion stimmte mehrheitlich für Tierschutzanliegen, jedoch ist diese Fraktion weniger geschlossen und einige wenige Mitglieder trüben das Bild.

Die Resultate der BDP-Fraktion sowie der CVP-Fraktion liegen in der Mitte. Die einzelnen Nationalräte und Nationalrätinnen haben jedoch sehr unterschiedlich abgestimmt, diese Parteien haben offensichtlich eine weniger strikte Parteilinie bezüglich Tier- und Artenschutz. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass Nationalräte dieser beiden Fraktionen sich grundsätzlich eher für oder gegen Tierschutzanliegen einsetzen.

Die FDP-Liberalen Fraktion sowie die Fraktion der Schweizerischen Volkspartei weisen sehr eindeutige Resultate auf. In diesen beiden Fraktionen wird fast geschlossen gegen den Tier- und Artenschutz gestimmt. Ausnahmen sind Regine Sauter bei der FDP sowie Alfred Heer, Barbara Keller-Inhelder und Lukas Reimann.

Design: Jessica Ladanie

Die Aufschlüsselung der Resultate nach Alterskategorie gibt keinen bedeutenden Hinweis auf das Abstimmungsverhalten. Die Ergebnisse sind nahe beieinander. Am ehesten kann beobachtet werden, dass die jungen Nationalräte sich eher für die Tierschutzanliegen einsetzen. Die 39 in diese Alterskategorie fallenden Nationalräte weisen aber ausserordentlich unterschiedliche Abstimmungsverhalten aus, eine klare Aussage ist damit nicht zu machen.

Design: Jessica Ladanie

Die Aufschlüsselung der Resultate nach Geschlecht gibt vielleicht die spannendste Erkenntnis wieder: Die Frauen im Nationalrat setzen sich doppelt so stark für Tierschutzanliegen ein wie die männlichen Kollegen. Der Unterschied ist sehr hoch und zieht sich fast durch das ganze Parteienspektrum. Mit Ausnahme der grünen und der sozialdemokratischen Fraktion – in welchen die Zustimmung zu Tierschutzanliegen bei beiden Geschlechtern sehr gross ist – stimmten in allen anderen Parlamentsfraktionen die Frauen viel häufiger für Tierschutzanliegen als die Männer.

Design: Jessica Ladanie

Am 20. Oktober 2019 finden die nächsten Parlamentswahlen statt. Die Abstimmungsresultate der Nationalräte in den 16 untersuchten Abstimmungen sowie deren Aufschlüsselungen geben eine gute Grundlage für die Entscheidung, wer wiedergewählt werden sollte.

Michael Meier hat in Freiburg ein lic. phil. I Studium absolviert und arbeitet als Freiwilliger bei diversen Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen mit.

Anhang

  1. Übersicht über die untersuchten Abstimmungen (PDF) – [zurück zum Text ↑]
  2. Abstimmungsresultate per Nationalrat und Nationalrätin (PDF) – [zurück zum Text ↑]

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