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Reflexion

Die zynische Branche. Am Beispiel Swissmilk

Ob die Werbung überhaupt etwas mit der Realität zu tun hat, kümmert die Tierindustrie bekanntlich nur wenig. Ganz besonders gilt das für die Schweizer Milchproduzenten. Sie machen auf Heidiland und zelebrieren familiäre Vertrautheit zwischen der Kuh und ihrem Kälbchen. Besonders am Muttertag. Dabei hat die Branche längst vergessen, wie arrogant, selbstgefällig und zynisch sie geworden ist, findet Klaus Petrus von TIF.

Text: Tier im Fokus (TIF)

„Trinkt Milch!“

Ich persönlich meine, die Schweizer MilchproduzentInnen können das richtig gut: ständig für sich werben. Schon in den 1920er Jahren hiess es von den hohen Plakaten herab: „Trinkt Milch!“ Damals gab es plötzlich zu viel vom weissen Saft. Doch die Branche wusste sich zu helfen. Man muss den Leuten nur lange genug einreden, dass sie genau das brauchen. Dann kaufen die es auch!

Stimmt: Eigentlich ist niemand auf diesen „Muntermacher der Natur“ angewiesen. Am wenigstens in einem Wohlstandsland wie der Schweiz, wo es tonnenweise Alternativen gibt (und noch gesunde dazu). Trotzdem verkauft sich die Milch gut. 90 Liter werden hierzulande pro Kopf und Jahr getrunken, das sei ein „konstant hohes Niveau“. Nun gut, das Geschäft mit der Milch ist hart und zwischendurch tönt es so, als sei kollektives Mitleid mit den Milchbauern (ich übernehme hier die männliche Form) patriotische Pflicht. Gottlob gibt es immer wieder einen Zustupf von oben. Allein im Jahr 2010 wurde die Milchindustrie mit über 300 Millionen Schweizer Franken subventioniert.

Viel mehr Schein als Sein, doch: wen kümmert’s?

MUTTERTAG © Swissmilk

Auch darum muss, wie gesagt, ordentlich geworben werden. Zum Beispiel am Tag der Pausenmilch, am nationalen Milchtag oder an einem Tag wie diesem: „Milch. Alles Gute zum Muttertag“. Auf dem Plakat ist ein Kalb zu sehen, allem Anschein nach das Kind von Lovely. Das kleine süsse Tierli gratuliert seiner Mutter, den Blumenstrauss trägt es im Mund. Die wird sich freuen. Oder auch nicht. [1]

Egal: Ob die Werbung mit der Realität etwas zu tun hat, kümmert die Milchbranche reichlich wenig. Prozesse nimmt sie in Kauf. Wie anno 2001, als Lovely plötzlich vor Gericht musste. Auf Beschwerde des Bundesamts für Gesundheit (BAG) befand das Bundesgericht, es sei jetzt aber wirklich genug: Der Genossenschaftsverband Schweizer Milchproduzenten (SMP) dürfe künftig nicht mehr so tun, als ob die Milch der Osteoporose vorbeuge. Das sei nämlich durchaus umstritten.

Ansonsten gilt bei Swissmilk offenbar die Devise: Erlaubt ist, was gefällt. So zum Beispiel die geschwungenen Hörner auf Lovelys Haupt. Die Nutztierschutz-Organisation Kagfreiland findet das einen „Beschiss“, weil krass an der Wirklichkeit vorbei. Immerhin seien in der Schweiz inzwischen schon 9 von 10 Rindern ohne Hörner.

Doch Hand aufs Herz: wen kümmert das? Dass die Enthornung ein Verstoss gegen die „Würde des Tieres“ ist, wie ein Rechtsgutachten bis ins hinterletzte Detail nachgewiesen hat, dürfte die Milchbranche nur wenig beeindrucken. Tatsächlich habe ich so einen offiziellen Milchvertreter auf einem Podium erlebt, der sich – als das Gespräch auf die Tierwürde kam – sein Lachen kaum verkneifen konnte. Was als Verletzung der tierlichen Würde gelte, sei schlussament subjektiv!, gab er zum Besten. Ohne Zweifel, das war selbstgefällig und arrogant. An diesem Mann ist eine Volksdebatte mitsamt Revision des Tierschutzgesetzes vorbeigegangen. [2]

Kuhfamilyglück, hausgemacht

Nicht minder realitätsfremd ist die Anzeige mit dem Kalb, das zum Muttertag gratuliert. Als würden Kälber noch irgendetwas mit Milchkühen zu tun haben! Kaum auf der Welt, werden sie ihren Müttern weggenommen und einzeln in „Kälberiglus“ gesperrt. Wieso das? Diese Kühe wurden mühselig darauf gezüchtet, möglichst viel Milch zu geben – und zwar für uns, für den menschlichen Bedarf. Säugende Kälber wären da bloss lästige Konkurrenten! Nicht allein, dass sie uns einen Teil der Milch wegtrinken, sie erschweren einem noch das Melken. Aus Studien weiss man nämlich, dass sich Kühe nur ungern melken lassen, wenn sie wissen, dass ihr Kalb noch zum Trinken kommt.

Kälberiglus: Kaum geboren, schon alleine © tier-im-fokus.ch (tif)

Die Rede ist nicht von einer Handvoll Ausnahmen, sondern von der Regel. Und die trifft immerhin 650.000 Schweizer Kühe. Jedes Jahr werden sie aufs Neue künstlich besamt, ohne dass sie nur ein einziges ihrer Kinder gross ziehen dürfen. Dabei ist seit Urzeiten bekannt und auch wissenschaftlich erhärtet: Rinder sind ausgesprochen soziale Tiere und gerade die Mutter-Kind-Beziehung nimmt einen hohen Stellenwert ein. Dass diese familiären Bande nach allerbestem Wissen und Gewissen – also mutwillig – zerstört werden, nur um an artfremde Milch zu kommen, ist ein grosses Unrecht. Und wird sogar von einigen als ethisch fragwürdig empfunden, die auf dem Buckel der Kühe und Kälber ihr Geld machen.

Echte – und das heisst hier immer: rentable – Alternativen sind keine in Sicht. [3] „Bio“ macht jedenfalls keinen nennenswerten Unterschied, wie mir Denise Marty von Kagfreiland schreibt: „Manche Kag-Bauern trennen die Kälber sofort nach der Geburt von ihren Müttern, andere nach ein paar Tagen. Der Trennungsschmerz wird nach längerer gemeinsamer Zeit immer schlimmer.“ Tatsächlich erkennen Kühe ihre Kinder schon wenige Stunden nach deren Geburt. Dass sie unter der Trennung leiden, ist längst bewiesen. Unklar ist allenfalls, ob sie diesen Verlust als Totgeburt empfinden.

Das grosse Palaver der Milchexperten

Was, wenn die KonsumentInnen wüssten, dass im Heidiland der Milchbauern am laufenden Band Familien auseinander gerissen werden? Ich richte die Frage an Christoph Grosjean von der Kommunikationsabteilung der Schweizer Milchproduzenten SMP. Eine halbwegs sinnige Antwort erhalte ich nicht. [4]

Dann versuche ich es so: Ob dieses „Alles Gute zum Muttertag“-Plakat mit dem Kalb nicht zynisch anmute, ich meine: in Anbetracht der Tatsache, dass allein in der Schweiz über eine halbe Million Kälber ihren Kühen weggenommen werden und sogesehen „mutterlos“ aufwachsen müssen? „Selbstverständlich hat auch dieses Kalb eine Mutter, und sogar auch einen Vater“, belehrt mich Herr Grosjean. Dass ich mich ausgerechnet bei Swissmilk über ein biologisches Wunder erkundige („Liebe MilchproduzentInnen! Wie geht das: ein Kalb ohne Mutter, ja sogar ohne einen Vater?“), war freilich nicht die Intention hinter meiner Frage. Und liess in mir den Verdacht aufkeimen, dass es wieder einmal harzen könnte mit der Kommunikation zwischen uns anderen und der Milchbranche.

Wenigstens das wollte ich dann doch noch wissen: Wie der Milchexperte eine solch massive Beeinträchtigung des Sozialverhaltens dieser Tiere aus Sicht des Tierschutzes einstufe, also sozusagen: wie das zu legitimieren sei? „Die gesetzliche Basis ist die Richtschnur für gesellschaftliche Fragen“, gibt Grosjean trocken zurück.

Irgendwie ist es immer so: Die grössten Tierausbeuter verweisen einen aufs Gesetz, wenn man es etwas genauer wissen möchte. Und damit basta. Eine eigene Meinung haben sie offenbar nicht. Und ein Gewissen?

Anmerkungen

[1] Für die LeserInnen ennet der Landesgrenze: Die Werbekuh von Swissmilk namens Lovely ist die beliebteste, die sportlichste, die intelligenteste Kuh aller Zeiten (sagt natürlich Swissmilk selber). Seit 1994 ist die Comicfigur immer wieder auf Plakaten und in Spots zu sehen und zeigt, was sie so alles drauf hat: Yoga, Snow- und Skateboarden, Fussball spielen, Seilspringen, Klettern, und so fort. Das ist wirklich beeindruckend. Dennoch habe ich diese Kuh einmal eine „Witzfigur“ genannt. Was ich bis dato nicht bereue. Ohnehin ist Lovely nur ein müder Abklatsch der tanzenden Milpa-Kuh aus den 50ern des vorigen Jahrhunderts.

[2] Am 17. März 1992 wurde die „Würde der Kreatur“ in der Bundesverfassung verankert; eine bisher weltweit einzigartige Sache. Selbstverständlich schliesst dieser Begriff die tierliche Würde mit ein. Folgerichtig ist im revidierten Tierschutzgesetz (TSchG) von 2005, das am 1. September 2008 in Kraft trat, ausdrücklich von der „Würde des Tieres“ die Rede. Zweck dieses Gesetzes sei es, so Art. 1 TSchG, „die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen“ – und in Art. 3 TSchG wird der Würdebegriff dann auch noch eigens definiert: „Würde: Eigenwert des Tieres, der im Umgang mit ihm geachtet werden muss. Die Würde des Tieres wird missachtet, wenn eine Belastung des Tieres nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann. Eine Belastung liegt vor, wenn dem Tier insbesondere Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, es in Angst versetzt oder erniedrigt wird, wenn tief greifend in sein Erscheinungsbild oder seine Fähigkeiten eingegriffen oder es übermässig instrumentalisiert wird.“

[3] Um Missverständnissen vorzubeugen: Die sogenannte Mutterkuhhaltung ist keine Alternative zur „Milchviehhaltung“, und zwar einerlei, wie sehr die Werbung das mitunter suggerieren mag (natürlich unbeabsichtigt). Zwar bleiben die Kälber in der Mutterkuhhaltung bei ihren Müttern und das Kalb darf die Milch seiner Mutter trinken. Doch geht es bei dieser Haltungsform gerade nicht um Milch, vielmehr ist eine gute „Fleischleistung“ gefragt. Entsprechend werden die Kühe in der Mutterkuhhaltung gar nicht gemolken. Gibt eine Kuh mehr Milch als ihr Kalb braucht, werden ihr je nachdem zusätzliche Kälber zum Saugen gegeben. Die Kuh nimmt dann die Rolle einer „Ammenkuh“ ein. Derzeit leben in der Schweiz um die 60.000 Rinder in der Mutterkuhhaltung.

[4] Oder etwa doch? Urteilen Sie selbst: „Die Haltung von Tieren unterliegt bekanntlich der Schweizerischen Tierschutzgesetzgebung. Im Bereich der Nutztierhaltung wissen wir, dass im Rahmen der Agrar- und Tierschutzgesetzgebung sämtliche Tierhaltungsbetriebe registriert sind und nach den bestehenden Vorschriften periodisch kontrolliert werden. Sinngemäss gibt auch die einschlägige Gesetzgebung konkrete Antworten, die Ihnen sicherlich bekannt sind und auf deren Zitation ich deshalb hier verzichten kann. Freundliche Grüsse“ (Email von Christoph Grosjean vom 09.05.2012).

Der Blick hinter die Kulissen der Milchindustrie
Wir haben eine Website speziell mit Information rund um den Milchkonsum aufgeschaltet. Dort informieren wir über das Schicksal der Kühe und Kälber, über negative Auswirkungen der Milch auf unsere Gesundheit und Umwelt, über leckere Alternativen und darüber, weshalb es Sinn macht, tierliche Produkte ganz auf die Seite zu lassen!

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2 Kommentare

Denise Marty, Leiterin KAG-Projekt «Horn auf!»
vor 11 Jahre

Es ist richtig, dass KAGfreiland ihren Bauern das Enthornen von Kälbern nicht verbietet. Das Enthornen von Kühen ist aber verboten. Die Nutztierschutz-Organisation gewichtet den Laufstall höher als das Enthornungsverbot. KAGfreiland ist das einzige Bio-Label, das den Laufstall vorschreibt und den Anbindestall verbietet. Behornte Kühe im Laufstall zu halten ist anspruchsvoll. Deshalb hat KAGfreiland nicht gleichzeitig zum Laufstallobligatorium (2010) ein Enthornungsverbot eingeführt, sondern eine Vermarktungsrichtlinie. Diese lautet, dass alle Rindvieh-Produkte, die mit dem KAG-Label ausgezeichnet werden, garantiert nicht von enthornten Tieren stammen, sondern von behornten oder genetisch hornlosen.
KAGfreiland hat ihren Bauern kommuniziert, dass sie sich mit dieser Vermarktungsrichtlinie und dem Projekt «Horn auf!» für mehr behornte Kühe – auch auf den eigenen Betrieben – einsetzen will. Mehrere Bauern haben deshalb den Vertrag gekündigt.
Heute halten die allermeisten KAG-Rindviehbetriebe behornte oder genetisch hornlose Kühe. Die Betriebe, die enthornen, stehen grundsätzlich hinter der Strategie von KAGfreiland. Langfristig will KAGfreiland weg vom Enthornen. Deshalb werden keine neuen Betriebe akquiriert, die enthornen. Ausser, wenn sie sich dafür entscheiden, in Zukunft auf diesen Eingriff zu verzichten.
KAGfreiland hat auch ein Ebermast-Projekt und zwingt trotzdem nicht alle KAG-Schweinebauern zum Verzicht auf die Kastration der männlichen Ferkel. Mit unseren Projekten setzen wir uns ein für die tierfreundliche Haltung und in Zusammenarbeit mit möglichst vielen KAG-Bauern zeigen wir, dass unsere Forderungen praxistauglich sind.
50 KAG-Bauern gehen mit gutem Beispiel voran und zeigen, dass und wie es möglich ist, Hornkühe im Laufstall zu halten.
Hut ab – eh, Horn auf!

Adrian
vor 11 Jahre

Und was ist mit KAGfreiland? Sie machen ständig Werbung und Kampagnen für „Horn auf“, aber erlauben in ihren Tier-Richtlinien explizit das Enthornen von Kälbern. (http://www.kagfreiland.ch/media/e_Bauern/01_Tier-Richtlinien/b_mitte/KAG_RL2012.pdf), Seite 3 „Allgemeine Grundsätze der KAGfreiland Tierhaltung“, bei Punkt 2.7.
Demeter ist im Moment das einzige konsequente Label, weil Enthornung generell verboten ist.
Wenn tierische Produkte, nur von Demeter!

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