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Nutztierhaltung

Die Kuh und das Klima

Die Nutztierhaltung verursacht gewaltige Mengen an Treibhausgasen. Mitverantwortlich ist auch die Milchwirtschaft, darin sind sich die ExpertInnen einig. In Bezug auf Lösungsansätze gehen die Meinungen jedoch weitauseinander, wie ein Artikel von Tobias Sennhauser (TIF) zeigt.

Text: Tier im Fokus (TIF)

Gemächliche Wiederkäuerinnen und latentes Glockengebimmel gehört für viele zum Landleben dazu. Seit einigen Jahren wird diese durch die Kuh geprägte Idylle aber durch mediales Unwetter gestört. Plötzlich gilt das Rind als „Umweltsünder“ und „Klimakiller“ Nr. 1. Der Grund ist die Bildung des Klimagases Methan im Pansen, das über 20 Mal klimaschädlicher ist als das gefürchtete CO2.

Die Food and Agriculture Organization (FAO) rechnet bis zum Jahr 2050 mit einer stark erhöhten Nachfrage nach Milch- und anderen tierlichen Produkten. Die wachsende Weltbevölkerung und die steigende Nachfrage aus den sogenannten Schwellenländern macht die Tochterorganisation der UNO für den zusätzlichen Bedarf verantwortlich.

Der „weisse Saft“ der Kuh soll also dazu beitragen, die Menschheit auch künftig zu ernähren. Wie aber sollen die ökologischen Probleme reduziert und die Milchmenge gleichzeitig gesteigert werden? Drei Antworten aus drei Büchern über die Kuh.

Bloss nicht Bio

Georg Keckl: Die globalisierte Kuh. Milchwirtschaft im 21. Jahrhundert. Ölbaum Verlag 2011

Für den Agrarstatistiker Georg Keckl ist der Fall klar: „Die klimafreundlichste Kuh ist die mit der höchsten Milchleistung“ (Keckl 2011, 63). Denn damit würde pro Liter Milch am wenigsten Methan ausgestossen. Zudem spielt für Keckl die Fütterung eine wichtige Rolle in der Klimabilanz. Weil Gras durch die Verdauung von Zellulose den Methanausstoss fördere, würde Kraftfutter weniger Klimagase produzieren.

Die Behauptung, dass Rinder durch das Kraftfutter aus Brasilien den Urwald abgrasen, weist Keckl zurück. Das Soja-Kraftfutter stamme „allenfalls aus Randbereichen des Regenwaldes“ (Keckl 2011, 65), und überhaupt seien die Monokulturen für Palmöl noch schlimmer.

Auch von Bio-Milch will Keckl nichts wissen. Diese würde bloss mehr Tiere benötigen. Bio wirft nämlich „geringere Erträge ab, was das Angebot verknappen und verteuern“ (Keckl 2011, 71) und die Hungerproblematik deshalb noch verstärken würde.

Die globale Landschaftsgärtnerin

Anita Idel: Die Kuh ist kein Klima-Killer. Wie die Agrarindustrie die Erde verwüstet und was wir dagegen tun können. Metropolis Verlag, 3. Aufl. 2011

Die Tierärztin und Professorin Anita Idel spricht dagegen von einem „fundamentalen Dissens in der politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Diskussion“ (Idel 2011, 54). Sie sieht das Problem der Milchwirtschaft vielmehr in der industriellen Landwirtschaft und deren Abhängigkeiten von fossilen Ressourcen. In der konventionellen Landwirtschaft, die vor allem Tierfutter produziert, wird nämlich synthetischer Stickstoffdünger – der wichtigste Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel – eingesetzt.

Zu den verdeckten Kosten der industriellen Landwirtschaft zählt Idel die Zerstörung der biologischen Vielfalt, die Verschmutzung von Gewässern und Böden sowie Rückstände von Pestiziden im Gemüse.

Folglich hält Idel die Intensivierung der Milchwirtschaft für fatal, da die zusätzliche Leistung nur durch mehr klimaschädliches Kraftfutter erreicht werden kann. Zudem rechnet sie vor, dass Hochleistungskühe, die bereits mit wenigen Jahren geschlachtet werden, eine schlechtere Klimabilanz aufweisen als „herkömmliche“ Rinder. Der Grund liegt darin, dass eine solche „Milchkuh“ schneller durch eine andere ersetzt werden muss, die dann parallel Ressourcen verbraucht und Emissionen verursacht.

Idel plädiert deshalb dafür, die Graser grasen zu lassen und das „Rind als globalen Landschaftsgärtner zu nutzen“ (Idel 2011, 16). So könne auf die ressourcenintensiven Futtermittel weitestgehend verzichtet werden und die Wiederkäuer würden der Bewaldung entgegenwirken.

Die Kuh im Partnerschaftsvertrag

Martin Ott: Kühe verstehen. Eine neue Partnerschaft beginnt. Fona Verlag, 3. Aufl. 2012

„Die Zukunft der Milchproduktion liegt nicht in der Massentierhaltung“ (Ott 2012, 148), ist sich auch der Schweizer Bio-Bauer Martin Ott sicher. Das Tier habe besseres verdient. Ihm schwebt gar ein Partnerschaftsvertrag mit der Kuh vor. Die Aufgabe der Kuh in dieser Partnerschaft liegt in der Milchproduktion. Im Gegenzug soll ihr der Mensch ein würdiges Leben ermöglichen. Darunter versteht Ott, dass die Kuh einen „Eigenwert zugesprochen bekommt, der über den Wert der gelieferten Rohstoffe hinausgeht“ (Ott 2012, 148).

Heutzutage droht die Kuhfütterung aus dem Gleichgewicht zu geraten, denn durch das Kraftfutter werden Kühe zu Nahrungsmittelkonkurrentinnen von Menschen. Ott weist zudem darauf hin, dass Palmölmonokulturen u.a. für Tierfutter angebaut werden „mit dem Ziel, dem steigenden Fettbedarf der Kühe Rechnung zu tragen“ (Ott 2012, 137). In der Intensivierung der Milchwirtschaft sieht Ott ein Problem für die ProduzentInnen, weil dadurch die Preise sänken.

Pro Gras Schweiz

In der Schweiz wird das Thema nicht nur von Bauer Ott aufgegriffen. Unter dem Motto „Feed no Food“ präsentierten im vergangenen Jahr der Grossverteiler Coop, das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) und Greenpeace ein aufwendiges und kostenintensives Forschungsprojekt, das den Kraftfutterbedarf von „Milchkühen“ reduzieren soll. Finanziert wird die Langzeitstudie zum grossen Teil vom Coop Fonds für Nachhaltigkeit, der jährlich 15 Millionen Schweizer Franken für Innovationen für nachhaltigen Konsum bereitstellt.

Auch die Erklärung von Bern (EvB) möchte den Kraftfuttereinsatz reduzieren. Der Anteil von 40% an importiertem Kraftfutter, das primär aus Brasilien stammt, ist der globalisierungskritischen Organisation ein Dorn im Auge. Im Gegensatz zu den anderen AkteurInnen in der Futtermitteldebatte will die den Fleischkonsum reduzieren – und zwar um 50 Prozent.

Konsumverhalten ändern

Der Kuh bringt diese Fleischreduktion freilich wenig. Als „Milchlieferantin“ würde sie ihren Job behalten. Doch die Richtung stimmt: Im Sinne der Nachhaltigkeit muss sich unser Konsumverhalten ändern – auch auf dem Teller.

In einer Welt mit globalisierten Agrarmärkten hat die kulinarische Entscheidung weitreichende Konsequenzen. Schuld daran sind immer komplexere Vorgänge in der Nahrungskette. Als KonsumentIn hat man glücklicherweise die Möglichkeit, ökologisch verwerfliche Produkte zu boykottieren und beispielsweise auf (bio-regionale) vegane Alternativen auszuweichen.

So könnten die landwirtschaftlichen Schadstoffemissionen massiv reduziert werden. Und es käme auch der Kuh zugute.

Weitere TIF-Materialien zum Thema

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