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Rezension

«Harte Kost» (Valentin Thurn & Stefan Kreutzberger)

Die Weltbevölkerung wächst. Das Essen könnte knapp werden, so die Befürchtung der Welternährungsorganisation (WHO). Gefragt sind deshalb neue Formen der Lebensmittelproduktion. Der Filmemacher Valentin Thurn und Journalist Stefan Kreutzberger reisen um die Welt und suchen nach Lösungen. Sie stossen dabei auf zwei Trends: die industrielle und die bäuerliche Landschaft. Eine Rezension von Tobias Sennhauser (TIF).

Text: Tier im Fokus (TIF)

Valentin Thurn & Stefan Kreutzberger, Harte Kost. Wie unser Essen produziert wird, Ludwig Verlag 2014, Taschenbuch, 320 Seiten, ca. CHF 25.– Inhalt
Nomen est omen: Wohlfühllektüre ist «Harte Kost» nicht. Die beiden Autoren nehmen angesichts der Ernährungskrise kein Blatt vor den Mund: sie sprechen von einem «globalen Kollaps» (S. 15). Der gegenwärtige Raubbau überschreite bereits die Belastungsgrenzen des Planeten, das «vorherrschende neokoloniale Wirtschaftssystem» (S. 27) führe dazu, dass jeder dritte Mensch hungern müsse oder mangelernährt sei. Das habe weniger mit planetarischen Grenzen als vielmehr mit den Konsumansprüchen privilegierter Minderheiten zu tun. Zu den Profiteuren in der Lebensmittelproduktion gehöre die Agrochemieindustrie. Mit Saatgut, Dünger und Pestiziden verkaufe diese den BäuerInnen ein «Rundum-sorglos-Paket» (S. 59). VertreterInnen dieser Industrie, so die Autoren, zeigen sich technikfreundlich und nutzen grüne Argumente. Nur ihre neuesten Technologien könnten den Ressourcenbedarf in der Lebensmittelproduktion sinnvoll senken. Auch KleinbäuerInnen sollten in den Augen der Agrochemie in den Weltmarkt integriert werden. Den Schlüssel zur weltweiten Ernährungssicherung/ Ernährungssicherheit sehen die Autoren indes nicht im genetisch verarmten Hybrid-Standard, sondern in der landwirtschaftlichen Biodiversität: Dank genetischer Vielfalt könnten sich Nutzpflanzen an die Folgen des Kilmawandels anpassen. Doch dazu später. Vorerst dominiert industrielle, genetisch arme Lebensmittelproduktion. Als einen wesentlichen Motor des zunehmenden Ressourcenverbrauchs bezeichnen die Autoren dabei vor allem auch den Heisshunger auf Fleisch. Am Beispiel der Skandal-Firma Wiesenhof diskutieren die Autoren die industrielle Fleischproduktion. International agierende Konzerne liefern den BäuerInnen alles, was sie brauchen: Hochleistungstiere, Futter, Impfstoffe. Die VertragsbäuerInnen werden damit zu Lohnarbeitern. Davor ist niemand gefeit. «Besonders schockiert mich, dass auch Biobetriebe dieselben Hybride mästen» (S. 175), bemängelt Filmemacher Thurn. Thurn widmet sich als nächstes dem amerikanischen Agrarkapitalismus: der Chicagoer Börse. «Steigende Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel und Energie treiben viele Familien in Entwicklungsländern in Verschuldung, Hunger und Knechtschaft.» (S. 189) Gerade die Schwankungen der Preise an den Börsen würden den KleinbäuerInnen das Genick brechen. Dass es Gegenentwürfe zur globalen Finanzherrschaft gibt, zeigt Thurn am Beispiel der Regionalwert AG. Das ist eine Bürgeraktiengesellschaft im Raum Freiburg (D), die auf Ernährungssouveränität der Bevölkerung in regionalen Wirtschaftsräumen abzielt. In Japan entsteht derweil die vertikale Landwirtschaft. In riesigen Pflanzenfabriken wird die Umwelt optimal auf die Pflanzen abgestimmt. Obwohl die Kosten zur Regulierung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit noch hoch sind, verfügen die Hydrokulturen über eine deutlich höhere Produktivität im Vergleich zum Feld- oder Treibhausanbau. Ferner verbrauchen Pflanzenfabriken wesentlich weniger Wasser und reduzieren Transportwege. Nicht zuletzt gibt es in der vertikalen Landwirtschaft «keine witterungsabhängigen Ernteausfälle aufgrund von Dürren, Überschwemmungen oder Seuchen […] und städtische Ballungsräume könnten so weitgehend autark in ihrer Lebensmittelproduktion werden» (S. 220). Über ähnliches Potenzial verfügt auch Laborfleisch. Der Niederländische Forscher Mark Post erklärt, warum: «Wir haben errechnet, dass die Herstellung von Laborfleisch 90 Prozent weniger Land braucht, 90 Prozent weniger Wasser, 70 Prozent weniger Energie und 60 bis 70 Prozent weniger Nährstoffe.» (S. 253) Das löse das Welthungerproblem im Globalen Süden. Doch Thurn zweifelt: «Diese Produkte müssten aus den Industrieländern importiert werden und würden die Abhängigkeiten nur vergrössern.» (S. 255) Wohlgesonnen ist Thurn hingegen der regionalen Vertragslandwirtschaft (D: Solidarische Landwirtschaft, SoLaWi). Das sei mehr als eine wöchentliche Gemüsekiste: BäuerInnen und KonsumentInnen begegnen sich auf Augenhöhe. Preise werden dabei gemeinsam festgelegt, was BäuerInnen vor unvorhersehbaren Schwankungen auf dem Weltmarkt schützt. «Wir gehen raus aus dem Kapitalismus und schaffen unser eigenes kleines System» (S. 269), erklärt eine Aktivistin gegenüber Thurn.

Kommentar

Anders als beim (ebenfalls gemeinsam geschriebenen) Bestseller Die Essensvernichter entschieden sich die Autoren in «Harte Kost» gegen eine scharfe Trennung von Beschreibung und Bewertung. Obwohl beide landwirtschaftlichen Lager – das industrielle und das regional verankerte und vertragsbäuerliche – gleichermassen zu Wort kommen, fehlt oft eine fundierte Bewertung – und damit eine wichtige Hilfe für LeserInnen. «Vegetarier aller Länder vereinigt euch!» (S. 154) – so der subversive Titel eines Unterkapitels. Tatsächlich machen die Autoren wiederholt die Fleischproduktion mitverantwortlich für Schäden an Mensch, Tier und Umwelt. Angesichts dessen enttäuscht, dass in «Harte Kost» den Tierrechten und verschiedenen Formen des Vegetarismus lediglich drei Seiten Raum zugestanden wird. Doch gerade hier wäre doch strategisches Potenzial in Sachen Ernährungszukunft vorhanden – zumal die fleischlos-vegane Küche derzeit im Trend liegt. Nichtsdestotrotz ermöglichen die zahlreich diskutierten Ernährungs- und Anbaualternativen persönliches Engagement. Mit seinen anschaulichen Info-Grafiken und seitenlangen Quellenangaben sowie einem Register eignet sich das Buch auch zum Nachschlagen.

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